Э (E)
EBZEEV, Boris Safarovich
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VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII (sowjet. u. russ. Jurist u.
Politiker. Geboren in
einem Dorf in der Kirgisischen SSR in einer Karatschajer-Familie, die mit
anderen Landsleuten 1943 deportiert wurde u. 1957 in seine
Heimat zurückkehrte.
Absolvent des Rechtsinstituts Saratov. Kandidat der
Rechtswissenschaften mit einer Dissertation über
"Verfassungsrechtliche Grundlagen der individuellen Freiheit
der Sowjetbürger“, Doktor der Rechtswissenschaften mit einer
Dissertations über "Verfassungsrechtliche Probleme der
Menschenrechte u. Pflichten in der Sowjetgesellschaft“. Andrej Zajakin, ein Aktivist der
Dissernet-Gemeinschaft, warf Boris Ebzeev vor, „sich
zu weigern, völlig offensichtliche Plagiate u. Fälschungen
von Sachdaten zu erkennen“ u. die Praxis der Verteidigung
gefälschter Dissertationen zu vertuschen.
Seit 1990 trägt Ebzeev den Professorentitel. Ehem.
Professor der Abteilung für Staats- bzw. Verfassungsrecht am
Saratover Rechtsinstitut, Leiter der Abteilung für
Menschenrechte u. Verfassungsjustiz.
Autor von über 200 wissenschaftl. Werken, darunter 25
Büchern, u.a. Monographien u. Lehrbüchern. 1991-2008
war er vom
5. Kongress der Volksabgeordneten der RSFSR gewählter
Richter am Verfassungsgericht RF.
Mitautor verschiedener Gesetze u.
Gesetzentwürfe in den 1990er Jahren, u.a.
des Bundesverfassungsgesetzes "Über das Verfassungsgericht
RF“, eines Verfassungsentwurfs für die RF u. einer
Verfassung der Karatschaj-Tscherkessischen Republik. Ebzeev
äusserte wiederholt abweichende Meinungen zu den vom Gericht
geprüften Fällen u. betrachtete die Menschenrechte als eines
der wichtigsten Kriterien. Seiner Meinung nach hatte das
Gericht zu voreilig beschlossen, die Dekrete des Präsidenten
RF über die Beendigung der Tätigkeit der Kommunist. Partei
der RSFSR als verfassungsgemäss anzuerkennen. 1995 gab er
eine abweichende Meinung im Zusammenhang mit der
Entscheidung des Gerichts ab, die Dekrete des Präsidenten RF
von 1993 u. 1994 "Über die wichtigsten Bestimmungen der
Militärdoktrin RF“ u. "Über Massnahmen zur Wiederherstellung
von verfassungsmässigem Recht u. Ordnung auf dem Territorium
der Tschetschen. Republik“ als verfassungsgemäss
anzuerkennen. Laut Ebzeev konnten die Ziele der Dekrete die
schwerwiegenden Folgen, die sich aus ihrer Umsetzung
ergaben, nicht rechtfertigen. Er war der Ansicht, dass das
Gericht die Dekrete unter Berücksichtigung ihrer praktischen
Umsetzung hätte prüfen müssen.
Präsident von Karatschaj-Tscherkessien: 1999
nahm Ebzeev an den
Präsidentschaftswahl in der nordkaukasischen Republik
Karatschaj-Tscherkessien teil, schied jedoch nach der ersten
Runde aus. Ende Juli 2008 nominierte der Präsident RF s.
Dmitrij Medvedev Boris Ebzeev zur Prüfung durch die
Volksversammlung von Karatschaj-Tscherkessien, um ihm die
Befugnisse des Präsidenten der Republik zu verleihen. Im Aug.
2008 übertrug die Volksversammlung der Republik Ebzeev diese
Befugnisse. Von Sept. 2008 bis Feb. 2011 war er
Präsident der Karatschaj-Tscherkessischen Republik. 2010 war
er Mitglied des Präsidiums des Staatsrats RF. Im Feb. 2011
trat Ebzeev, der im Internet wegen des Tonfalls seiner Stimme
als „neuer Brezhnev" verspottet wurde,
freiwillig von diesem Amt zurück. Es wurde berichtet, dass der
Rücktritt auf die Tatsache zurückzuführen sei, dass „die
sozioökonomische Situation in Karatschaj-Tscherkessien u. die
von der Führung der Republik ergriffenen Massnahmen nicht
ausreichten, um die vom Präsidenten des Landes gestellten
Aufgaben zu erfüllen“. Ab März 2011/16
ist er Mitglied der Zentralen Wahlkommission RF.
2006-8 war er Mitglied u. 2013-16 war er Vorsitzender des
Expertenrats der Höheren Beglaubigungskommission RF für
Recht des Ministeriums für Wissenschaft u. Hochschulbildung
RF. Im Dez. 2017 legte er auf der Sitzung der ZWK RF
Nr. 118 einen Entwurf der ZWK RF vor, der die Ablehnung der
Registrierung der Initiativgruppe zur Nominierung von s.
Aleksej Navalnyj als Kandidat für die Präsidentschaft RF
"empfahl". Damit hatte auch er sich der Kremllinie angepasst.
Seit 2018 ist er auch
Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Staat u. Recht.
s.
Ljubov Sobol von der Antikorruptionsstiftung "FBK" warf
Ebzeev im Aug. 2019 im Navalnyj-Kanal vor, dass der
Wissenschaftler, Professor, ehem. Verfassungsrichter RF u.
ehem. Präsident der Karatschaj-Tscherkess. Republik u. das
langjährige ZWK-Mitglied Ebzeev, egal in welcher Funktion er
gerade sei, als Säule des Putin-Regimes das Gesetz in einer
Weise biege u. drehe, bis die verbrecherischen Beschlüsse
des Regimes aus jurist. Sicht einigermassen akzeptabel
aussehen. Ausserdem toleriere er offen Wahlfälschungen zur
Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten RF V.V. Putins
sowie die Farce der demokrat. Wahl der Partei "Einiges
Russland". Dass er als ZWK-Mitglied insbes. die Kandidatur
Navalnyjs nicht zuliess, wird ihm übel genommen. Im Übrigen
wird Boris Safarovich Ebzeev von der "FBK" u. von Sobol der
illegalen Bereicherung beschuldigt. Den Ermittlungen zufolge
hat Boris Ebzeev einen
Enkel, Artur
Borisovich Ebzeev, der 4 Jahre alt war, als er einen
Vertrag über den Kauf einer Elitewohnung in der Moskauer "Goldenen Meile" an der Ostozhenka mit einer Fläche von 274,2
m² abschloss, deren Marktwert auf rd. 500 Mln. Rubel
geschätzt wurde. Ausser dieser Wohnung besitze Artur eine
weitere in Krylatskoe. Später machte das fast 8-jährige Kind
einen Deal mit einem Offshore-Unternehmen auf den Britischen
Jungferninseln, verkaufte die Wohnung in der Ostozhenka u.
reinvestierte das Geld in ein Haus im Moskauer Villenviertel
Rubljovka im Dorf Gorki-8, wie aus einem Grundstückauszug hervorgeht, in dem
jedoch
nur der Eigentümer u. nicht der Käufer verzeichnet ist. Ausser der Aktivitäten von Boris
Safarovich u. von dessen Sohn u. Arturs Vater Boris
Borisovich Ebzeev, der als Generaldirektor der staatl.
Energiegesellschaft "MRSK Juga", eines Teils von "Rosseti", arbeitet, berücksichtigte
die FBK-Untersuchung nicht die Zahlungsfähigkeit anderer
Verwandter des Schülers. 2021 wurde Boris Safarovich
Ebzeev durch Beschluss des Föderationsrats RF für eine weitere
fünfjährige Amtszeit zum stimmberechtigten Mitglied der ZWK RF
ernannt. Die Ukraine setzte Ebzeev auf ihre
Sanktionsliste, weil „die
Zentrale Wahlkommission RF im
Sept. 2022 in den von Russland kontrollierten Gebieten der
Ukraine bei der Überwachung u. Durchführung von
Scheinreferenden half, bei
denen es häufig zu offener Nötigung u. Einschüchterung von
Wählern kam", u. überhaupt, weil die ZWK RF bei
Bundes- u. Kommunalwahlen in Russland, einschliesslich
Referenden, Unregelmässigkeiten u. manipulierte
Wahlerrgebnisse zu verantworten hat, obwohl sie sich rühme,
wie sauber u. transparent die Wahlen in Russland seien.
Ausserdem wurde Ebzeev auf die entsprechende Liste des "Office of Foreign Assets
Control" OFAC gesetzt.)
ECKSTEIN,
Karl II
III IV V
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VII
VIII
IXa
IXb
IXc
X XI XII XIII (1949-, dt.-schweiz. diplom.
Lehrer, Rechtsanwalt, Notar u.
Geschäftsmann mit russ. Staatsbürgerschaft. Russlandfan u.
Prophet
des Zusammenbruchs des westlichen Finanzsystems.
Schulen im
Kanton St. Gallen, Schweiz.
Absolvent der Jurist. Fakultät der Universität Basel,
Schweiz, Doktor der
Rechtswissenschaften.
Nach
der Promotion begann er in der Rechtsabteilung
des damaligen Eidg. Energiedepartements in
Bern zu arbeiten u. war dort für
völkerrechtliche Fragen im Zusammenhang mit
der Nutzung der Atomenergie u. der Genehmigung
für den Bau des AKW Leibstadt zuständig.
Das Schweizer Anwaltspatent wurde ihm 1980 vom
Obersten Gericht in Basel verliehen.
Geschäftl.
Aktivitäten in der Sowjetunion, in Russland u. der
GUS: Seit 1982 unterstützt u. berät Eckstein
westliche Unternehmer und Firmen bei ihren geschäftl.
Aktivitäten in Russland u. den ehem. Republiken der
UdSSR. Zu Sowjetzeiten leitete er das Moskauer Büro
eines Schweizer Industriekonsortiums im Rahmen des
"Vororts", heute Economiesuisse, wo er die Interessen
von berühmten Schweizer Unternehmen wie Nestlé, Sulzer,
SIG, Bührle Oerlikon, Hilti Liechtenstein u.a. vertrat.
Zu Beginn der Perestrojka Gorbachjovs 1986, als die
Aussicht auf den Zugang westlicher Firmen zum riesigen
Sowjetmarkt bestand, gründete Eckstein seine eigene
Beratungskanzlei "Eckstein & Partner“, die sich
hauptsächlich mit der Ansiedlung westlicher Firmen in
der SU u. mit Rechts- u. Buchhaltungsdienstleistungen
befasste sowie als Treuhandverwaltung in Erscheinung
trat. 1995 gründete er die Schweizer Firma "Dr. Eckstein
u. Partner AG". 2000 wurde die Tätigkeit der Firma um
den Schutz von Geschäftsinteressen vor dem Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte u. die Vertretung der
Interessen von Klienten bei "Interpol" erweitert. Somit
spezialisierte sich die Firma auf die Rechtsberatung von
Anwälten u. Unternehmen unter Nutzung der Europäischen
Menschenrechtskonvention zum Schutz ihrer Rechte u.
Interessen, indem sie ihnen dabei half, die
Rechtssprechung des Gerichtshofs vor nationalen Behörden
erfolgreich anzuwenden oder eine Klage beim Gerichtshof
einzureichen. Ecksteins Rechtsportfolio umfasst ein
breites Spektrum von Verstössen gegen Konventionsrechte
von Unternehmen wie Verstösse bei strafrechtl.
Ermittlungen, Unternehmensüberfällen, beim mangelnden
staatl. Schutz vor Eingriffen Dritter, bei
Durchsuchungen u. Beschlagnahmungen, Anordnungen zur
Vermögenssperre, Steuer- u. Aktionärsstreitigkeiten,
Lizenz- u. Genehmigungsverfahren, Enteignungen,
Konkursverfahren u. beim Investitionsschutz. 1992-93
beriet Eckstein die Kommission für Fragen der
Schulreform im Parlament RF juristisch. 1992-94 war er
Berater der Regierung Tadschikistans u. leitete in ihrem
Auftrag mit zwei Professoren der Universität St. Gallen
das
Projekt "Wirtschaftsreform Tadschikistans“.
Ab
1995 war Eckstein am "Moskauer Staatl. Institut
für Internationale Beziehungen MGIMO" als Dozent
für Verfassungs- u. Verwaltungsrecht tätig. 2001
erhielt er gemäss dem Beschluss der
Beglaubigungskommission in Moskau die Urkunde
als Professor
auf der Grundlage einer Habilitation. 2002
erhielt er die russ. Staatsbürgerschaft. 2004 gründete
er mit einem Freund in Berlin die Gesellschaft
"Schmieder-Eckstein". 2000 veröffentlichte er das Buch
"Wie arrangiert man die Beziehungen zwischen einem
Bürger u. einem Beamten?“ Eckstein war einer der ersten,
der in Russland die Schaffung eines einheitlichen
Kodexes von Verwaltungs- u. Verfahrensregeln u. -vorschriften
zur rechtlichen Regelung
der Beziehungen zwischen Behörden u. Bürgern auf
föderaler Ebene vorschlug,
um die Korruption einzudämmen. 2001
erschien Ecksteins Buch "Business mit Russland", das
er mit Walter Denz verfasste, im
Verlag Paul Haupt, Bern, 2.
aktual. Aufl. ebd. 2005. 2007
erschien das - durchaus lesenswerte - Buch
"Geschäftserfolg in Russland. Business-Tipps vom
Russland-Kenner Nummer 1" im Verlag
Orell Füssli, Zürich. 2007 wurde Eckstein erster
Honorarkonsul der RF in der Schweiz. Im Juni dieses
Jahrs fand in Zürich die offizielle Eröffnung des
Honorarkonsulats der RF statt, an der über 300 Personen
teilnahmen. Die Hauptziele Ecksteins als Honorarkonsul
der RF waren die Entwicklung u. Stärkung der
geschäftlichen, wirtschaftlichen u. kulturellen
Beziehungen zwischen Russland u. der Schweiz. Sein Amt als Honorarkonsul der RF
in der Schweiz übte er bis Okt. 2018 aus. Eckstein ist
noch Inhaber anderer Firmen oder einer anderen Firma,
so 100%-Aktionär der Firma "Presor Token AG" im Fürstentum
Liechtenstein. In einem Video aus Moskau vom Mai 2018
erläuterte er, wie die skurrile Welt des Rechts im „rechtsnihilist."
Russland funktioniere u. wie die rechtlichen Probleme
gelöst würden. In einem zweiten Video aus Moskau vom Okt. 2018
erklärte Eckstein einige bürokrat. Auswüchse des
bizarren russ. Arbeits- u. Steuerrechts. In einem
weiteren Video aus Moskau vom Nov. 2018
verkündete Eckstein, dass in naher Zukunft der
Zusammenbruch des westlichen Finanzsystems, begleitet
von einer Hyperinflation u. einer immensen
Geldentwertung, zu erwarten sei. Es gebe also mehrere
gute Gründe, sein Vermögen nicht mehr in einer
westlichen Staatswährung wie USD, Euro oder CHF auf
einem westlichen Bankkonto zu halten. Niedrige oder
Negativzinsen u. die vollkommene Auflösung des
Bankgeheimnisses mit dem automat.
Informationsaustausch machten eine herkömmliche
Kapitalanlage auf einem Bankkonto uninteressant. Bei
dieser Gelegenheit rief er die Zuschauer auf, ihr
Vermögen in realem Gold u. Silber anzulegen, denn
einzig diese Wertmetalle verkörperten seit
Jahrtausenden den
realen Gegenwert als Tauschmittel, wobei er den
Anlegern riet, das physische Gold u. Silber in einem
privaten Depot u. nicht in Banktresoren zu lagern.
2022 gründete Eckstein u. seine Partner in Taschkent,
Usbekistan, unter dem Namen "Eckstein u. Partner" eine
weitere Gesellschaft. Ecksteins Ehefrau stammt aus
Usbekistan.
Interviews
mit Roger Köppel:
Im
April 2023 traf s. Roger Köppel,
Chefredaktor der Schweizer Zeitung Weltwoche,
Karl Eckstein in Moskau,
mit dem er sich gut
gelaunt u. mit ironischem
Ton
vor der Kulisse des berühmt-berüchtigten
KGB/FSB-Hauptsquartiers Lubjanka über die
Sowjetzeit, Wirtschaftsthemen, das Leben in
Moskau, die Situation in Russland, Putin u.
über den
Ukrainekrieg ausliess.
Für Putin kennt Eckstein eigentlich nur
Bewunderung. Dieser habe den Russen nach
Ablauf der Elcyn-Zeit wieder das
Selbstbewusstsein zurückgegeben. Die
psycholog. Wirkung sei grossartig gewesen.
Zweitens habe er die Oligarchen gestoppt.
Putins gereiztes Verhältnis zum Westen sei
damit zu erklären, dass seine Initiativen von
diesem stets abgewiesen worden seien. Dieser
Prozess der Abwendung vom Westen Russlands
habe bei Putin sehr lange gedauert, wobei die
Menschen in Russland Putin heute vorwerfen
würden, dass er nicht schon früher durchgriff.
Putin sei vom Westen immer belogen u.
hintergangen worden, z.B. bei der NATO-Osterweiterung.
Die Gründe für den heutigen Ukrainekrieg
gingen noch in die Sowjetzeit zurück. Eine NATO-Osterweiterung
in Richtung der Ukraine käme
für Russland nicht in Frage.
Putin
habe keinen Krieg in der Ukraine gewollt, denn
Russland habe in der Vergangenheit genug
Kriege gehabt. Man habe auch nicht länger
zuschauen können, wie die ethnischen Russen im
Donbass abgeschlachtet würden. Ecksteins
Prognose von damals war, dass der Ukrainekrieg
spätestens Ende Jahr /2023/ zu Ende sein werde
u. Russland dann der Ukraine diktieren werde,
was mit ihr geschehen soll. Russlands Sieg in
der Ukraine sei 100% sicher. Nach anfänglichem
militär. Misserfolg bei Beginn des von
Putin im Feb.
2022
entfesselten russ.
Angriffskriegs
gegen die
Ukraine
hätten die
Russen ihre Taktik geändert, so dass sich ihr
Kriegsglück zum Besseren gewendet habe. Er,
Eckstein, glaube aber nicht, dass dieser
Konflikt zu einem grossen Weltkrieg führen
werde. Das „angelsächsische
Imperium mit seinen Vasallen u.
Kolonialgebieten in Westeuropa stehe vor einem
katastrophalen ökonomischen Zusammenbruch",
wenn die BRICS-Staaten ihr
eigenes Währungssystem einführen werden. Die
Schweiz müsse aufpassen, dass sie sich nicht
zu fest an der angelsächsischen Welt
orientiert, denn diese stehe s.E. vor dem
Untergang. Dann werde sich die Schweiz neue
Märkte suchen müssen. Die Schweiz habe die
Neutralität, ihr eigentliches Erfolgsrezept, „billig
u. dumm aufgegeben". Köppel widersprach den
Untergangsvisionen Ecksteins u. warnte davor,
den Westen zu früh abzuschreiben, trotz der „temporären
Formschwäche", die der Westen mit s. Joe Biden
usw. z.Zt. durchmache. Die Russen seien ein
intelligentes Volk, sagte Eckstein, u. hätten
trotz aller Schwierigkeiten ein „lebenspositives
Weltbild" mit einem grossartigen Humor. Das
polit. System müsse in Russland adäquat den
Verhältnissen dieser Nation u. Kultur
angepasst werden. Das aktuelle
Verfassungssystem sei ein für Russland
adäquates System. Putin sei kein
unangefochtener Alleinherrscher, als der er im
Westen dargestellt werde, sondern auch er
müsse überall Rücksichten nehmen. Die
Reduzierung auf einen Herrn Putin sei „sehr
weit weg von der faktischen russ. Realität".
Eckstein sei froh, wenn Putin möglichst lange
bleibt, denn das bedeute eine gewisse
Stabilität. Wenn
er abtreten würde,
wäre zu befürchten, dass ein Hardliner kommen
könnte, der mehr Macht an sich ziehen will.
Wenn den Europäern die Munition u. Waffen
ausgehen, die sie in die Ukraine geliefert
hatten, u. sie in Amerika keinen Nachschub
mehr kaufen können, weil ihnen das Geld
ausgegangen ist, dann wäre ein Durchmarsch der
russ. Armee bis
zum Rhein binnen
3-4 Wochen
vorstellbar. Der Lichtblick sei die Hoffnung,
dass es ziemlich bald klar sei, dass diese
[westliche] Kriegspolitik zu keinem Erfolg
führen kann.
In
einem weiteren Interview Köppels mit Karl Eckstein vom
März 2024 erzählte der kuriose Russlandschweizer, dass er
schon als 10-Jähriger Russisch gelernt habe u. im Schweizer
Militär Russisch-Übersetzer gewesen sei. Nach Abschluss seines
Studiums des Verfassungsrechts habe er 1982 ein vom "Vorort"
/heute Economiesuisse/ ein Angebot bekommen, die Schweizer
Industrie in Moskau zu vertreten. 1986 habe er in Moskau seine
eigene Firma eröffnet. Wegen der westlichen Sanktionen laufe
in seiner Moskauer Firma im Moment gar nichts, weshalb er ein
Büro in Usbekistan eröffnet habe. Als Verfassungsrechtler habe
er bei der Präsidentschaftswahl in Russland im März 2024 die
Aufgabe gehabt, zu überprüfen, ob die Wahl nach den Prinzipien
des Verfassungsrechts ordentlich abläuft. Er sei beeindruckt
gewesen, denn in mancher Hinsicht habe er das Gefühl gehabt,
dass es in Russland sogar besser läuft als in der Schweiz. In
jedem Wahllokal seien TV-Kameras installiert gewesen, auf die
jedermann wie auch die Oppositionsparteien Zugriff gehabt
hätten. Also rein technisch-organisatorisch seien diese Wahlen
perfekt organisiert gewesen. Dass es in Russland einen krassen
Unterschied zwischen einer technisch korrekten Wahl u. einer
korrekten Stimmenauszählung u. dass es dort zahlreiche
bewährte Manipulationsmechanismen gibt –
auf die etwa s. Leonid Volkov in seinem Buch "Putinland" im
Kapitel über die Bürgermeisterwahl in Moskau von 2013 hinwies
–
erwähnte Eckstein natürlich nicht. Die russ. Demokratie sei
natürlich nicht eine Kopie der Schweizer Demokratie. Die
Normen seien den russ. Prämissen u. Verhältnissen angepasst.
Die Leute seien sich gewohnt, in einer Hierarchie zu leben. Es
entspreche der Natur der Russen, eine strenge Führung zu haben
u. keine Verantwortung übernehmen zu müssen. Die Behauptung
von der Diktatur des Putin-Regimes sei „absoluter Nonsense".
Diese Regierung entspreche dem Wunsch der russ. Bevölkerung.
Ein Wahlergebnis von 88% sei „wirklich echt". Putin
geniesse eine breite Unterstützung, wobei es auch Leute gebe,
die von Putin nichts hielten. Auch der Einmarsch in die
Ukraine erfreue sich grosser Popularität. Zum Fall s. Aleksej
Navalnyj sagte Eckstein: Er habe mehrere Jahre Navalnyj mit
Geldzuwendungen unterstützt, weil er seine Opposition für gut
befunden habe, die etwas gegen die Korruption unternommen
habe. Als er, Eckstein, aber gemerkt habe, dass Navalnyj seine
Informationen nur von einem westlichen Geheimdienst haben
könne, habe er vor etwa 4 Jahren aufgehört, ihn zu
unterstützen. Navalnyjs Tod nütze niemandem, am wenigstens
Putin selbst. Eckstein habe das Gefühl gehabt, dass er von
einem westlichen Geheimdienst umgebracht wurde, da es kein
Kunststück sei, etwas Gift zu verabreichen, wenn man einem
Wärter dafür einige Tsd. USD zahle, aber offenbar sei Navalnyj
eines normalen Todes gestorben. Putin u. der Kreml hätten „null
Interesse" gehabt, ihn umzubringen. Navalnyj sei in Russland
ein „Nobody"
u. keine Schlagzeile wert gewesen. Wie gross sein Rückhalt in
Russland gewesen sei, könne er nicht richtig beurteilen, aber
Navalnyj sei ein „Instrument
westlicher Geheimdienste" gewesen. s. Mikhail
Khodorkovskij sei ein „Gauner
sondergleichen" gewesen, denn er habe die Kunden der Bank
"Menatep" um ihre Einlagen betrogen, um wohl mit diesen
Geldern seine Ölfirmen zu kaufen. Moskau zeichne sich heute
durch eine hohe Lebensqualität aus, die man wohl nirgends mehr
finden würde. Die wunderbaren Restaurants Moskaus stünden im
Service u. Angebot weit über demjenigen durchschnittlicher
Schweizer Restaurants. Es gebe auch ein exzellentes Konzert-
u. Kulturangebt. Auch der öffentliche Verkehr Moskaus stehe
heute demjenigen in der Schweiz keineswegs mehr nach. In
Moskau merke man den Ukrainekrieg überhaupt nicht, die Läden
seien voll trotz Sanktionen, auch Schweizer Uhren könne man
kaufen, z.B. im GUM. Viele Waren würden über Umwegen, so über
Dubai u. asiatische Länder eingeführt. Trotz den von ihnen
verhängten Sanktionen habe man nichts gegen die Deutschen oder
Schweizer, denn die Russen würden zwischen Völkern u. ihren
Regierungen unterscheiden. Die Sanktionen würden von vielen
russ. Unternehmern im Gegenteil als Geschenk betrachtet, denn
jetzt würden viele Waren wie Zahnpasta, Seife oder Käse, die
früher importiert wurden, in Russland selbst hergestellt u.
das Geschäft für Kleinunternehmer laufe hervorragend. Die
ganze russ. Wirtschaft boome mit einem BIP-Wachstum von 3,6%,
was zum grossen Teil auf die Sanktionen zurückzuführen sei.
Repression u. Kriegszensur habe er selbst nie erlebt. Er habe
in russ. Zeitungen nur gelesen, dass „gewisse defätistische
Massenpropaganda gegen die russ. Interessen strafbar" sei.
Aber im persönlichen Umgang könne man nach wie vor alles
sagen, auch das Wort Krieg. Der Begriff "Militär. Spezialoperation"
sei nur eine „bewusste polit. Benennung, Umschreibung". Wenn
man offiziell das Wort Krieg verwendet hätte, hätte man
sich dazu bekennt, dass der Krieg sich auch gegen die NATO
richten könnte, zumal es in der Ukraine NATO-Soldaten
gegeben habe. Dies wäre zu einer Atombombengefahr
geworden. Was die [westlichen]
Medien
betrifft, wüsste er nicht, welche von ihnen in Russland
verboten wären. Die angelsächsische Geopolitik leide an
einem enormen Selbstwertverlust, während die Gründung der
BRICS-Gruppe eine Herausforderung darstelle. Die
angelsächsische Geopolitik verglich er mit einem
Ertrinkenden. Es sei deshalb „nicht
im Interesse der Schweiz, sich diesem untergehenden
Finanz- u. Dominanzsystem der unipolaren Welt
anzuschliessen, denn die Zukunft liege in einer
multipolaren Welt".
Kommentar:
In
seinen Videogesprächen betreibt
Eckstein mit
dieser
Positionierung eine
klare
Fakten-Umkehrung,
denn nicht der
Westen führt Krieg
gegen Russland,
sondern Russland
führt Krieg gegen
die Ukraine,
die sich - mit der
Hilfe des Westens
- zu verteidigen
versucht, u. droht
dem Westen
regelmässig mit
Atomkrieg, was
Eckstein natürlich
nicht erwähnt. Als
verblendeter Vertreter
der
Kreml-Narrative,
die alte
Wahrheiten
verzerrt u. in
ihr Gegenteil
umgedreht
haben, sieht
Eckstein, der alle Fakten unerwähnt
lässt, die dem Ansehen Russlands schaden
könnten, die ganze Schuld für Putins
Kriege gegen die Nachbarn Russlands zu
Unrecht im Westen, dem er eine
Kriegspolitik unterstellt. Für einen
promovierten Schweizer Juristen mit
langer Sowjetunion- u. Russlanderfahrung
geziemt es sich nicht, die gravierenden
Rechtsverstösse u. eklatanten
Wahlfälschungen in Putins Unrechtsstaat
nicht deutlich zu erkennen u. zu
erwähnen oder mit fadenscheinigen
Erklärungen u. Ausreden zu verharmlosen.
Auch ist Eckstein einer von diesen
kuriosen Russland-Gläubigen, die nur die
Kriege der USA erwähnen u. kritisieren
u. über all die histor. Verbrechen,
Kriege u. Invasionen der Sowjetunion u.
Russlands im Ausland nach dem 2.WK u.
nach 1992/99 schroff hinwegsehen. Die
von ihm in dieser Form vorgenommenen
Einschätzungen Putins u. Russlands sind
oberflächlich, einseitig, unseriös u.
keine qualifizierten Beurteilungen oder
Analysen, sondern wiedergeben die
allgemeine Mainstream-Meinung des
Pöbels. Das Bankgeheimnis wurde in der
Schweiz teilweise abgeschafft, um
reichen Russen zu erschweren, ihr
zweifelhaft erworbenes Geld auf
Schweizer Konten zu verstecken.
Ecksteins Verzicht auf die Unterstützung
Navalnyjs ist wohl weniger wegen dessen
angeblichen Verbindungen zu westlichen
Geheimdiensten zu erklären, sondern auf
das Risiko zurückzuführen, dass Personen
u. Organisationen, die Navalnyj
unterstützten, in Russland auf die
berüchtigten staatl. Listen "ausländ.
Agenten" u. "extremist. Organisationen"
gesetzt werden können. Es stimmt nicht,
dass Navalnyj ein Nobody war - jedermann
in Russland kannte seinen Namen.
Ecksteins Zusammenbruchs- u.
Untergangsphantasien für den Westen sind
reine, verantwortungslose Spekulation u.
entsprechen schnöden
Verschwörungstheorien u. plumpen
Stammtischgesprächen,
wie sie wohl in Russland u. in
antiwestlichen Kreisen geführt werden.
Eckstein sollte sich vielmehr ernste
Gedanken über einen möglichen neuen
Zusammenbruch Russlands machen, wie er
sich in der Vergangenheit in diesem Land
schon mindestens 2x ereignete.
Viele
westliche
Firmen haben
Russland
fluchtartig
verlassen, u.
es dürfte
vorläufig kaum
neue Schweizer
oder deutsche
Unternehmer
geben, die
sich dort
ansiedeln
wollen,
angeblicher
Wirtschaftsboom
hin oder her -
auch dies
erwähnt
Eckstein mit
keinem Wort.
Ob seine Firma
unter den
Bedingungen des
heutigen
Putin-Regimes
noch das oben
angeführte
Geschäftsportfolio
anwenden u.
anbieten kann,
ist unklar. Auf
der Website
seiner Firma,
die sich als „Netzwerk
von prinzipiell
selbständigen
Firmen"
ausweist, findet
man keine
Geschäfts- oder
Projektreferenzen.
Im Mitarbeiterstab,
der vorwiegend
aus RussInnen
besteht, wird
auch der ehem.
Generalstaatsanwalt
RF s. Jurij
Skuratov
aufgeführt.
Insgesamt
hinterlässt
Eckstein den
Eindruck, dass
es sich bei ihm
um einen
schlauen Fuchs,
eventuell auch
um einen Angeber
handelt, der
zumindest in der
Öffentlichkeit
wichtige Fakten
über Russland
unterschlägt,
vom russ. System
u. dessen
Propaganda voll
verschlungen
wurde u. trotz
widriger u.
gefährlicher
polit. Umstände
offenbar nicht
darauf
verzichten
möchte,
weiterhin
standhaft u.
redlich auf der
Seite Moskaus
auszuharren.
osteuropa.ch) 09.24
EDELGERIEV,
Ruslan Said-Khusajnovich
II
III (russ. Kommunal- u.
Staatspolitiker in der Republik Tschetschenien. Seine Mutter Vera Afanasevna Derjabina war
Abgeordnete des Parlaments der Tschetschen. Republik der
2. u. 3. Einberufung u. Schullehrerin des tschetschen.
Oberhaupts s. Ramzan Kadyrov. Der Vater, ein Tschetschene
aus Tsentaroj, arbeitete als Sportlehrer. Absolvent
der Rechtswissenschaften am Krasnodarer Rechtsinstitut des
Innenministeriums RF. 1994-2004 arbeitete er in der
Abteilung für innere Angelegenheiten der Stadt Slavjansk am
Kuban im Land Krasnodar u. 2004-7 in der Polizeibehörde des
Kurchaloj-Rayons in Tschetschenien.
2007 war er Leiter der Abteilung "R“ des SOBR "Terek", vom Dez. 2007 bis Jan.
2008 1. stv. Landwirtschaftsminister der Republik
Tschetschenien, vom 11.-22. Jan. 2008 amtierender
Landwirtschaftsminister der Republik Tschetschenien u. vom
22. Jan. 2008-Mai 2012 stv. Vorsitzender der Regierung u.
Landwirtschaftsminister der Republik Tschetschenien. 2010
studierte er an der Tschetschen. Staatsuniversität die
Fächer Technologie der Produktion u. Verarbeitung
landwirtschaftlicher Produkte.
2014 absolvierte er an der Staatl. Agraruniversität des
Kuban ein weiteres Studium im Fach Gartenbau. Vom
Mai 2012 bis Juni 2018 war er Vorsitzender der Regierung der
Tschetschen. Republik. Danach wurde er zum Berater des
Präsidenten RF für Fragen des Klimawandels u. im Juli 2018
zum Sonderbeauftragten des Präsidenten RF für Klimafragen ernannt.
Mitglied der Partei "Einiges Russland“, Sekretär der
tschetschen. Regionalabteilung.)
EGGERT, Konstantin Petrovich II III IV V VI (russ. Journalist, Publizist,
Kolumnist. Absolvent des Instituts
für asiat. u. afrikan. Länder der MGU, wo er Arabisch u. die
Geschichte des Nahen Ostens studierte. Als Student war er
1985 als Dolmetscher für die jordan. Delegation beim XII. Weltfestival der Jugend u. Studenten
in Moskau tätig. 1987-90 diente er als Dolmetscher in
der Militärmission in der Arab. Republik Jemen. In den
1990er Jahren arbeitete er für die Zeitung
Izvestija, war
Auslandskorrespondent u. später stv. Redaktor für auswärtige
Angelegenheiten. Ab 1998 arbeitete er für die BBC u. war 2002-9 Chefredaktor des Moskauer Büros des "BBC
Russian Service". Er moderierte die Sendung "Der Morgen
auf BBC", berichtete über wichtige Ereignisse, darunter
die Geiselnahme im Moskauer Dubrovka-Theater, die
G8-Gipfel u. die Präsidentschaftswahl 2008 in den USA.
Mitglied des Royal Institute of International Affairs in
London. 2008 wurde ihm von Königin Elizabeth II. der Titel
eines Ehrenmitglieds der Zivilabteilung des "Order of the
British Empire" verliehen. Im selben Jahr verlieh ihm der
litauische Präsident Valdas Adamkus das "Kommandeurskreuz
des Ordens für Verdienste für Litauen". 2009 wechselte er
zur russ. Abteilung des
US-amerikan. Mineralölkonzerns "ExxonMobil", für den er als
Vizepräsident für Beziehungen mit der Öffentlichkeit u.
mit Regierungsbehörden tätig war. 2010
wurde er unabhängiger Analyst u. Berater u. begann als
polit. Kommentator u. Moderator beim neuen russ.
Radiosender "Kommersant FM" zu arbeiten, für den
er mit Unterbrechungen bis Ende 2015 tätig war, 2013
einige Monate als Chefredaktor. 2016 moderierte er eine
Sendung über die US-Präsidentschaftswahl auf dem TV-Sender
"Dozhd". Ausserdem war er Redaktionsmitglied bei zwei
Zeitschriften. Seit 2014 schreibt oder schrieb er eine
wöchentliche Kolumne für das Medienunternehmen "Deutsche Welle", bei dem er seit
Aug. 2020 die russ. Sendung "vTRENDde" betreut. Seit 2014 lebt er
in Litauen. Träger des Moskauer Journalisten-Union-Preises
/2012/ u. des Preises der Regierung RF im Bereich
Massenmedien /2013/. Mitglied des öffentl. Rats des Russ.
Jüdischen Kongresses. Im Sept. 2020 unterzeichnete er
einen Brief zur Unterstützung der Proteste in
Weissrussland. Von Seiten seiner Mutter, deren Namen er
annahm, ist Eggert deutschbaltischer Abstammung. Er ist
der Enkel von Konstantin Vladimirovich Eggert,
sowjet. Schauspieler, Regisseur u. Drehbuchautor, der in
den 1930-40er Jahren von der stalinist. Repression
betroffen war.)
EIGENDORF-SCHUT, Katrin II III IV
V VI VII (dt. Fernsehjournalistin.
Studium der Journalistik in Dortmund u.
Paris am Institut français de presse IFP. Seit den
1990er-Jahren ist sie als Auslandskorrespondentin u.
-reporterin tätig, arbeitete als Redaktorin im ARD-Studio Paris u. bei
den "Tagesthemen". Als RTL-Korrespondentin
in Moskau berichtete sie über die Länder der
ehem. Sowjetunion u. den Tschetschenienkrieg. Ab 1999
arbeitete sie für das ZDF in Mainz als
aussenpolit. Reporterin mit den
Schwerpunkten Russland, Kaukasus u. Naher
Osten. Ferner berichtete sie für ZDF u. ARTE aus Georgien, Israel, Ägypten,
Türkei u. Afghanistan. Ab 2001 moderierte sie
das "auslandsjournal extra". 2015-17 war sie
Korrespondentin im ZDF-Auslandsstudio in Moskau; seit 2014
berichtet sie über den ab diesem Jahr laufenden Krieg Russlands in der Ukraine. Für
ihre herausragende Arbeit wurde die Journalistin mit
verschiedenen Preisen ausgezeichnet. 2022 veröffentlichte
der S. Fischer Verlag ihr Buch "Putins Krieg – Wie die Menschen in der
Ukraine für unsere Freiheit kämpfen".) 04.24
EICHWEDE,
Wolfgang
II III IV V VI VII VIII (dt. Historiker mit
Schwerpunkten Osteuropa,
Sowjetunion
u. Russland. Studium der
Geschichte, Politik, Philosophie
u. Slavistik in Tübingen, Heidelberg u. Berlin.
Ehem. Professor für Politik u. Zeitgeschichte Osteuropas
an der Universität Bremen. Mit der Gründung
der Forschungsstelle Osteuropa an
der Universität Bremen 1982 übernahm Eichwede die
Leitung des Instituts, die er bis 2008 innehatte
– seine Nachfolgerin ist die
Russland-Historikerin Susanne Schattenberg. Im
Zusammenhang mit seinem engen persönl. Verhältnis zur
osteuropäischen Dissidentenbewegung ist Eichwede mit der
russ. Menschenrechtsorganisation "Memorial" eng
verbunden. Das Bemühen um Freundschaft mit
Russland, so Eichwede, müsse der Machtpolitik Putins
„auch seine Grenzen zeigen – Grenzen, die sich aus dem
Völkerrecht u. den Rechten der kleineren, weniger
mächtigen Staaten ergeben“.)
EJDMAN, Igor Vilenovich
II III IV V VI VII VIII IX (russ. Historiker u. Soziologe,
Experte für die Soziologie des Internets u. die Entwicklung
sozialer Netzwerke. Prominenter kritischer Analyst u.
Kommentator des Systems Putin, des sog. "Putinismus". Absolvent
der Fakultät für Geschichte
der Lobachevskij-Staatsuniversität.Gorkiij,
heute Nizhnij Novgorod. Ejdman arbeitete als Journalist für
mehrere Medien In NN, war Literaturredaktor des Almanachs "Дирижабль“,
Chefredaktor der Wochenzeitung Russkij klub.
Anschliessend entwickelte er die Idee u. das Konzept des
staatl. Wohnungsbaudarlehens NN u. setzte es als stv.
Direktor des Immobilienfonds NN um. 1995-2002 leitete er die
PR-Agentur "Zentrum für soziale Innovationen“, war in der
Politikberatung tätig, beriet namhafte Politiker, liberale
Abgeordnete der Staatsduma RF u. Führer von Bundesparteien.
Insbes. schlug er Ende 1997/Anfang 1998 eine
"antioligarchische Kampagne" unter der Leitung seines
Cousins s. Boris Nemcov vor. 2007 war er
Kommunikationsdirektor bzw. PR-Direktor des VCIOM.
Internetrevolution u. E-Demokratie: Ejdman befasst
sich schwerpunktmäässig mit Ideen u. Konzepten wie
„Netzwerkdemokratie", „Oppositionsbewegung 2.0"
– eine polit. Vereinigung, die auf
direkter E-Demokratie basiert, „Markt 2.0“
– ein neuartiger Online-Markt, der
auf Kooperation basiert u. Verbraucher in sozialen
Netzwerken zusammenbringt, um über Grenzen u.
Zwischenhändler hinweg Einkäufe mit kollektiven Rabatten
direkt beim Hersteller tätigen zu können, „Direkte
Wikidemokratie“ – eine
Technologie, die auf der gemeinsamen Arbeit an Dokumenten u.
der allgemeinen Abstimmung über die Genehmigung aller
Vorschläge u. Änderungsanträge basiert, „Erklärung der
Menschenrechte im Zeitalter der Internetrevolution“, die das
Grundrecht eines jeden Menschen beinhaltet, frei zu
entscheiden, wozu er sein Leben widmet. Weitere von Ejdman
vorgeschlagene Projekte betreffen das „Offene
Internet-Parlament der Opposition“, das „Polit. Wikipedia“
u. die „Internetwahlen eines Kandidaten für das
Präsidentenamt u. das Mandat eines Oppositionsabgeordneten“.
Im wirtschaftlichen Bereich hält Ejdman es für notwendig,
das von den Wählern geforderte Ziel der Opposition der
Sozialisierung der Rohstoffmassnahmen im Interesse aller
Bürger Russlands zu verwirklichen. 2007 veröffentlichte er
ein Buch mit dem Titel "Durchbruch in die Zukunft. Soziologie der
Internet-Revolution". Das Buch ist gemäss einer
Rezension von Dmitrij Paramonov „eine Darstellung einer
neuen u. eher radikalen Version der linken antibürgerlichen
demokrat. Ideologie, die auf den Traditionen der
rationalist. u. positivist. Sozialphilosophie basiert“. Das
Buch behandelt die futurologische Vision des Autors der
zukünftigen „Internetgesellschaft, die auf direkter
Demokratie, freier Informationsverbreitung, auf
horizontalen, nicht hierarchischen sozialen Bindungen u. auf
einer Gesellschaft ohne Privateigentum, Lohnarbeit,
Ausbeutung u. Manipulation basiert. Bis 2010 veröffentlichte
er in der russ. Presse eine Reihe von Artikeln über die
gesellschaftspolit. Folgen der Internetrevolution. 2010-11
veröffentlichte er eine Artikelserie zum Thema "E-Demokratie"
im offiziellen Organ der SPD Vorwärts. In der von
ihm beschriebenen globalen sozialen Internetrevolution sagte
Ejdman diverse Strömungen u. Bewegungen wie die
internationale Bewegung gegen den Kapitalismus "Occupy!“ im
Internet, im Internet organisierte Volksaufstände u. aktive
Entwicklung von Parteien u. Bewegungen, die nach den
Prinzipien der direkten E-Demokratie organisiert sind, sowie
das schnelle Wachstum von Netzwerken u. Diensten für
kollektive Einkäufe mit Rabatten u. gegenseitige
Verbraucherinformation u. den Aufbau mehrsprachiger
internationaler sozialer Netzwerke voraus.
Kritik des Putin-Regimes u. Emigration nach Deutschland: Im
März 2010 unterzeichnete Ejdman den Aufruf der russ.
Opposition "Putin muss gehen“ u. beteiligte sich
aktiv an der Entwicklung eines sozialen Netzwerks der
Unterzeichner des Aufrufs. 2011 zog Ejdman nach Deutschland
u. liess sich in Leipzig nieder, wo er als Journalist
arbeitet u. sich mit Internetprojekten in den Bereichen
Verbraucher- u. polit. Nutzerkooperationen befasst. Eine
Reihe antiklerikaler Artikel, die Igor Ejdman 2012 auf der
Website von "Echo Moskaus“ veröffentlichte, veranlasste eine
Reihe orthodoxer Aktivisten, darunter s. Arkadij Mamontov u.
Kirill Frolov, sich an die Staatsanwaltschaft RF u. das
Ermittlungskomitee RF mit der Bitte zu wenden, gegen Ejdman
ein Strafverfahren gemäss Art. 282 StGB RF wegen "Schürens
von Hass oder Feindschaft" einzuleiten. Bis 2014 führte er
ein Live-Tagebuch, das regelmässig in der Online-Publikation
"Kasparov.ru" veröffentlicht wurde, u. er ist einer der
Autoren der Medienressourcen von "InoSMI" u. "Deutsche
Welle". Auch in der NZZ erschienen
Ejdmans Beiträge u. Gastkommentare, z.B. "Russland ohne Putin" im Aug. 2015,
in dem er die
unnatürliche Situation Russlands erläuterte, das
Putin-Regime mit der Aggressivität Hitlerdeutschlands oder
von Mussolinis Italien verglich u. für die Russen eine
demokrat u. europäische Perspektive forderte. Im Aug. 2016
befasste er sich mit dem Thema wie Putin versucht, Deutschland zu
verändern. Im Nov. 2016 widmete er sich dem "homo putinicus" u. meinte, dass sich die Russen nicht
ewig ducken würden.
Im Juni 2017 erschien ein weiterer Beitrag Ejdmans über
die Einflussnahme Russlands auf die
Bundestagswahlen u. die Rolle der Russlanddeutschen.
Im März 2018 folgte sein Gastkommentar unter dem Titel "Russland probt den ersten hybriden
Weltkrieg". Die These lautete, dass der
Westen dem hybriden Krieg des Kremls wenig
entgegenzusetzen habe, weil er sich gewöhnlich an
traditionelle Verhaltensregeln u. ethische Normen halte.
In seinem 2016 im Münchner Ludwig Verlag in dt.
Übersetzung
erschienenen Buch "Das System Putin".
Wohin steuert das neue russ. Reich?"
/II/ erläuterte Ejdman, dass
die Russen unter der Herrschaft V.V.
Putins –
er verwendete den Begriff
„homo putinicus“ in Anlehnung an „homo soveticus“
–
„Anti-Westler“ geworden seien, bei denen sich sowjet.
Revanchismus mit neu angenommener Religiosität paare.
Dies sei das Resultat der „totalen Putinschen
Propaganda“ parallel zur Übernahme einer
entsprechenden Staatsideologie, die die Atmosphäre
einer „belagerten Festung“ schaffe. Ejdman ist
trotzdem der Meinung, dass die russ. Bürger die Angst
in Putins Regime genauso wie unter der kommunist.
Diktatur verlieren werden, zumal mehr oder weniger
alle Diktaturen in der modernen Welt irgendwann
scheitern würden. Gleichzeitig
warnte er vor der Gefahr der Unterwanderung des
europäischen demokrat. Staats- u. Rechtswesens durch
korrupte russ. Geschäftspraktiken, wie dieses Problem
u.a. auch von s. Mikhail Khodorkovskij ähnlich
thematisiert wurde bzw. wird. Seit
Dez. 2019 ist Ejdman Chefredaktor der internationalen
mehrsprachigen Online-Publikation "M.NEWS", deren Ziel es sei,
russischsprachige Menschen in Russland u. im Ausland zu
informieren u. zu vereinen, die sich für Menschenrechte,
Demokratie u. Humanismus einsetzen. Die Veröffentlichung
stellt eine klare Opposition gegen das Putin-Regime dar.)
ELBAKJAN, Aleksandra Asanovna
II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX XXI XXII (aus
Kasachstan stammende Computer-Programmiererin u.
-Hackerin mit - nach eigenen Angaben - armenischen,
slavischen u. asiatischen Wurzeln. Mit 14 Jahren führte
sie ihren ersten Hacking-Versuch beim privaten
Internetprovider durch, der ihren Internetzugang
sperrte. Absolventin der Kasachischen
Nationalen Technischen Universität namens "K.I. Satpajev"
in Almaty, Kasachstan, wo sie
ihr Studium mit einem Bachelor of Science in Informatik mit
dem Schwerpunkt Informationssicherheit abschloss. An
der Universität befasste sie sich mit der Entwicklung
einer Neurocomputer-Schnittstelle. 2009 zog sie nach
Moskau, wo sie im Bereich Informationssicherheit
arbeitete. 2010 schloss sie sich einem Brain-Computer-Interface-Projekt an
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.,
Deutschland, an
u. begann sich für Transhumanismus zu
interessieren. Nach einem
Praktikum am Georgia Institute of Technology in den USA
kehrte sie nach Kasachstan zurück, wo sie 2011 die
Website "Sci-Hub" ins
Leben rief /s. unten/.
2012-14 studierte sie im
Masterstudiengang an der Wirtschaftshochschule in Moskau.
"Sci-Hub":
Als sie 2009 an der Universität an ihrem Diplom arbeitete,
stellte sie fest, dass viele der Artikel in wissenschaftl.
Zeitschriften, die sie für ihre Arbeit benötigte,
kostenpflichtig waren, was sie sich nicht leisten konnte.
Diese Artikel mussten unter Umgehung des Paywall-Systems
heruntergeladen werden. Allerdings kostete das manuelle
Herunterladen von Artikeln viel Zeit u. Mühe. Dies
veranlasste sie, den Prozess mithilfe ihres
Programmierhintergrunds zu automatisieren u. "Sci-Hub" zu
erstellen, das im Sept. 2011 gestartet wurde. Damals liess
sich Elbakjan zudem von der Idee der Entwicklung des
Internetprojekts "offene Regierung" inspirieren, die vom
Präsidenten RF s. Dmitrij Medvedev angeregt wurde u. als
neuartige Informationstechnologie in die öffentl.
Verwaltung RF eingeführt werden sollte.
Das Ziel von "Sci-Hub" ist, Forschungsergebnisse
allgemein leichter u. v.a. kostenlos zugänglich zu
machen. Die blosse Existenz von "Sci-Hub" sollte
Elbakjans Meinung nach wissenschaftl. Verlage dazu
ermutigen, auf ein Open-Access-Modell umzusteigen. "Sci-Hub"
ist im Grunde aber als eine sog. Schattenbibliothek
zu
betrachten, in der wissenschaftl.
Artikel,
die teilweise sonst nur hinter einer Bezahlschranke online
verfügbar sind, auf Abruf bereitgestellt werden. Daher ist die
Legalität u. Legitimität eines solchen Dienstes
umstritten.
Betrieb, Kapazität, Nutzung u. Hauptbenutzerländer: In
den 6 Monaten bis zur Jahreswende 2015/16 lieferte
"Sci-Hub" 28 Mln. Dokumente aus allen wissenschaftl.
Fächern aus.
Im Dez. 2016 wies "Sci-Hub" einen Bestand von etwa 60
Mln. wissenschaftl. Artikeln auf. Etwa
70 Tsd. Nutzer griffen täglich auf 200 Tsd. Artikel
zu. Einer
Studie zufolge, die im Okt. 2017 veröffentlicht wurde,
vermittelte "Sci-Hub" insgesamt Zugriff auf 85,2%
aller wissenschaftl. Artikel, die hinter einer Paywall
vertrieben werden. Die Nutzer kamen aus der ganzen
Welt: 2,6 Mln. Anfragen stammten aus dem Iran, 3,4
Mln. aus Indien u. 4,4 Mln. aus China, während
Russland auf dem 4. Platz vor den USA folgte u. ein
Viertel der Abrufe aus den OECD-Staaten
stammten.
Konflikte mit dem Projekt
u. Reaktionen Elbakjans auf Kritik: Insbes.
im russischsprachigen Teil des Internets ist
Aleksandra Elbakjan immer wieder in Konflikt mit
der Gemeinschaft der Servicenutzer u.
"Sci-Hub"-Besucher geraten. Kritiker monierten,
dass Elbakjan unterschiedliche Standpunkte nicht
akzeptiere u. jegliche Kritik unzureichend
behandle. In diesem Zusammenhang wurde ihr auch
vorgeworfen, Benutzer von "Sci-Hub" in den
sozialen Netzwerken blockiert zu haben. Im
Sept. 2017 schloss Elbakjan plötzlich den
Site-Zugang in Russland u. nannte es einen Streik.
Als Grund für diesen Schritt nannte sie „äusserst
unangemessenes, beleidigendes Verhalten russ.
Wissenschaftler gegenüber dem Schöpfer des
Dienstes“. Laut Elbakjan sollte ihr Vorgehen als
Protest gegen die Tatsache verstanden werden, dass
in Russland Massnahmen ergriffen werden, die auf die
Zerstörung der Wissenschaft abzielen. Noch im
gleichen Monat öffnete Elbakjan die Website in
Russland wieder. Im Nov. 2017 entsperrte Elbakjan
fast alle Benutzer einer Gruppe, die auf eine
schwarze Liste gesetzt worden waren. Später wies
Elbakjan in einer Nachricht in der Gruppe darauf
hin, dass jederzeit absolut jeder Benutzer einen
Artikel von der Website herunterladen könne,
unabhängig von seinen polit. Ansichten, seinem
sozialen Status, seinem Geschlecht u. Alter usw. Auf
die Registrierung wurde bewusst verzichtet, alle
Artikel können anonym von jedermann heruntergeladen
werden.
2016 bestand Elbakjan die für den Erhalt der
Staatsbürgerschaft RF erforderliche
Russisch-Sprachprüfung nicht. Beim nächsten Versuch
sollte sie dem Gesetz nach bei der Erlangung der
Staatsbürgerschaft RF einen Eid auf die Verfassung
u. Gesetzgebung RF leisten. Laut Elbakjan sei die
Verbreitung wissenschaftl. Informationen, die die
Hauptaktivität ihres Projekts "Sci-Hub" darstellt,
in Russland illegal, u. daher schienen wiederholte
Versuche, die Staatsbürgerschaft RF zu erlangen, aus
prinzipiellen Gründen unmöglich. 2017-19 absolvierte
sie das MA-Programm der Philolog. Fakultät der
Staatsniversität St. Petersburg mit einem Abschluss
in Sprachen der Bibel u. verteidigte ihre
Abschlussarbeit mit der Note "3“. Derzeit lebt sie
angeblich in Moskau u. studiert Philosophie an der
Russ. Akademie der Wissenschaften.
Rechtliche Fragen u. Klagen: "Sci-Hub"
geriet unweigerlich in Konflikt mit dem
international geltenden bzw. in den einzelnen
Staaten gültigen Urheberrecht/Copyright,
dessen Verletzung "Sci-Hub" nach dem
Prinzip des sog. Guerilla Open Access
offenbar in Kauf nimmt. Im Juli 2018 wurde in
einem Blog der Washington
Post auf
die lange Tradition des Raubkopierens von
wissenschaftl. Werken in der Sowjetunion u.
im späteren Russland hingewiesen.
Da "Sci-Hub" die Bezahlschranken von E-Journals u.
Datenbanken umgeht, gingen u. gehen einige davon
betroffene Verlage gegen das Projekt juristisch
vor, woraus sich für "Sci-Hub" empfindliche
Rechtsstreitigkeiten ergeben, die Elbakjan zu
ignorieren scheint. V.a. der Wissenschaftsverlag
"Elsevier" u. "Springer Nature"
gingen juristisch gegen "Sci-Hub" vor. So
urteilte ein New Yorker Richter im Okt. 2015
zugunsten von "Elsevier",
dass die Rechte des Verlags durch "Sci-Hub"
verletzt würden. 1/3 aller heruntergeladenen
Artikel wurden von "Elsevier" veröffentlicht, von
dem ca. 24% aller Zeitschriftenartikel
veröffentlicht wurden. Im Juni 2017 wurde einer
Schadensersatzklage "Elseviers" gegen "Sci-Hub" in
Höhe von 15 Mln. USD von einem Gericht in New York
stattgegeben. Danach klagte auch die American
Chemical Society gegen diesen
Anbieter u. war damit vor einem Bezirksgericht in
Virginia erfolgreich, das der ACS Schadensersatz
in Höhe von 4,8 Mln. USD zusprach, wobei kein
Vertreter von "Sci-Hub" zu dem Verfahren erschien.
Im Nov. 2018 sperrte der russ.
Föderale Dienst für die Überwachung von Kommunikation,
Informationstechnologie u. Massenmedien, Roskomnadzor,
"Sci-Hub" u. seine gespiegelten Websites, nachdem ein
Moskauer Stadtgericht entschieden hatte, den Beschwerden
von "Elsevier" u. "Springer Nature" wegen Verletzung
geistigen Eigentums nachzukommen. Die Website wurde auf
eine andere Domain verschoben u. ist seit Jan. 2022 wieder
online verfügbar.
Im März 2019 ordnete das Pariser Tribunal de grande instance
aufgrund einer Klage von "Elsevier" u. "Springer Nature" an,
dass die französ. Internetprovider verpflichtet seien, den
Zugriff auf "Sci-Hub" zu sperren. Im Feb. 2021 erwirkten "Elsevier" u.
"Springer Nature" auf TalkTalk aufgrund eines Urteils
eines britischen Gerichts eine einstweilige Verfügung zur
Sperrung der Domain sci-hub.se. Im März 2021 warnte die
Abteilung für geistiges Eigentum der Polizei der Stadt
London Studenten u. Universitäten davor, auf die Website
zuzugreifen. Auch in Schweden u. Indien hatten Klagen von
"Elsevier" Auswirkungen auf den Betrieb von "Sci-Hub" u.
die Arbeit Elbakjans.
Aufgrund des wachsenden rechtlichen Drucks riefen
Aktivisten im Mai 2021 dazu auf, "Sci-Hub" mithilfe von BitTorrent dezentral
u. unzensierbar zu machen. Während
des
russ. Angriffskriegs gegen die Ukraine von 2022 sagte
der Blog TorrentFreak, dass "Sci-Hub" die
einzige Möglichkeit für Akademiker in Russland sei, auf
Forschungsartikel zuzugreifen, da 15 grosse Verlage ihre
Dienste in Russland eingestellt hätten.
Polit. Ansichten: Aleksandra Elbakjan lässt sich
von den Ideen des Kommunismus leiten, ohne sich jedoch als
konsequente Marxistin zu verstehen. Die polit. Überzeugung
hält sie für eine persönl. Angelegenheit. Elbakjan steht
den Aktivitäten der russ. liberalen Opposition ablehnend
gegenüber. Sie befürwortet einen starken Staat, der dem
Westen widerstehen u. seinen eigenen Entwicklungsweg
wählen sollte. Sie ist gegen Korruption, stellt aber
gleichzeitig fest, dass „die Unterstützung jeglichen
Protests, solange er sich gegen die Behörden richtet,
ihrer Meinung nach nicht sehr vernünftig“ sei, u. dass man
dennoch „die Leute, die die Macht beanspruchen, sorgfältig
betrachten sollte“. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem
Leben in den USA u. der Meinung der dort lebenden
Verwandten ist Elbakjan der Ansicht, dass das Leben in
diesem Staat sich stark vom amerikan. Traum unterscheidet
u. sich in eine negative Richtung entwickelt hat.
Reaktionen in den USA: Zum Jahresende 2019
berichtete die Washington
Post über
Ermittlungen der US-amerikan. Strafverfolgungsbehörden
gegen Aleksandra Elbakjan wegen des Verdachts, "Sci-Hub"
arbeite mit dem russ. militär. Nachrichtendienst GRU zusammen,
um Militärgeheimnisse von US-amerikan. Rüstungsfirmen
mittels Phishing zu
erlangen. Verschiedenen Quellen zufolge werden oder wurden
die entsprechenden Zugangsdaten zumindest teilweise ausser
per Phishing auch via Hacking oder
auf dem Schwarzmarkt käuflich erworben. Möglich sei auch
eine freiwillige Weitergabe durch
Universitätsmitarbeitende. Die New York
Times verglich Elbakjan mit s. Edward Snowden,
da sie unrechtmässigerweise Informationen
veröffentlichte u. sich in Russland aufhält,
um der US-amerikan. Justiz zu entgehen.
Zumindest bis Ende 2016 gab
Elbakjan ihren Aufenthaltsort nicht bekannt. 2021
schrieb sie auf "Twitter", dass "Apple" 2019
ihre vertraulichen Informationen auf rechtliche
Anordnung hin an das FBI zu
Ermittlungszwecken weitergeleitet habe.)
ELBAKJAN, Ekaterina Sergeevna
II III
IV V
VI VII
VIII IX
X XI
XII
(sowjet. u. russ.
Religionswissenschaftlerin, Spezialistin für philosoph.
u. method. Grundlagen der Religionswissenschaft,
religiöse Lehren u. Ideologien sowie für Geschichte u.
Soziologie der Religionen in Russland. Studium der
Philosophie an der Philosoph. Fakultät der MGU.
Dissertation zum Thema "Das religiöse Phänomen im
Bewusstsein der russ. Intelligenz des 19. - frühen 20.
Jhs.“ zur Erlangung des Grads eines Doktors der
Philosophie. 1992-2002 arbeitete sie in verschiedenen
Stellungen am Forschungszentrum "Religion in der
modernen Gesellschaft“ des "Russ. Unabhängigen Instituts
für soziale u. nationale Probleme". Ab Dez. 2010 war sie
leitende Forscherin am Institut für Weltgeschichte der
RAW, 2012-17 Professorin an der Abteilung für Soziologie
des Managements sozialer Prozesse an der Akademie für
Arbeit u. soziale Beziehungen. Ehem. Direktorin des
unabhängigen Zentrums für Religionsstudien
"ReligioPolis“, Gründerin u. Chefredaktorin des
Internetportals "Religiopolis.org". Leitende Sekretärin der Redaktion
der wissenschaftl.-theoret. Zeitschrift Religiovedenie. Autorin von ca. 400 wissenschaftl.
Arbeiten, darunter mehreren Monographien, u.a. einer
Soziologie
der Religion, u.
eines Lehrbuchs sowie des grossen Nachschlagewerks
"Religionen Russlands".
Herausgeberin
u. Mitglied der Redaktion mehrerer wissenschaftl.
Publikationen u. von Forschungsprojekten zu theolog.
Themen. Wissenschaftl.
Übersetzungen aus dem Englischen. Mitglied des Vorstands
der Vereinigung russ. Zentren für Religionswissenschaft,
der "European Association for the Study of Religion" u.
des Expertenrats der Religionsforscher des Zentralen
Bundesdistrikts in der Abteilung für
staatlich-konfessionelle Beziehungen der RANEPA. Ekaterina
Elbakjan gilt in Fachkreisen als eine der führendsten u.
angesehendsten zeitgenöss. russ.
Religionswissenschaftler.)
ELMURZAEV, Sulejman
Elmurzaevich (gew. Anführer der
Separatisten-Rebellen der "Tschetschen. Republik Ichkerija",
Teilnehmer am Einfall tschetschen. Rebellen in Dagestan im
Aug./Sept. 1999, woraufhin er auf die Fahndungsliste
Russlands gesetzt wurde. Feldkommandant u. Brigadegeneral
des Abschnitts Vedeno der Ostfront der "Streitkräfte der Tschetschen. Republik
Itschkerija". Er war Mitglied der persönl. Garde von
s. Shamil Basaev, zu dessen engerem Kreis er gehörte, u.
wurde von ihm zum Emir des "Jamaats" des Rayons Vedeno u. zu seinem
Vertreter bei s. Abu al-Valid ernannt. Von seinem Status
her war "Emir" Khajrullah, wie der einflussreiche
Elmurzaev auch genannt wurde, in der Hierarchie annähernd
ebenbürtig mit s. Rappani Khalilov u. s. Doku Umarov.
Elmurzaev galt als einer der Hauptorganisatoren der
Ermordung des Präsidenten der Tschetschen. Republik s.
Akhmat Kadyrov im Mai 2004. Danach bezeichnete ihn Sohn s.
Ramzan Kadyrov als persönl. Feind, da er „die
Verantwortung für die Ermordung meines Vaters übernommen“
habe. Im Sept. 2006 verlieh der Präsident von "Ichkerija",
s. Doku Umarov, Elmurzaev per Dekret den Rang eines
Brigadegenerals u. ernannte ihn zum Kommandeur der neu
gebildeten Südostfront der Streitkräfte von "Icherkija".
Im März 2007 ernannte Umarov EImurzaev zum stv.
Ministerpräsidenten von "Icherkija", verantwortlich für
den sozioökonom. Bereich. Nach Angaben des
Innenministeriums RF galt Elmurzaev-Khajrullah als
wahrscheinlicher Nachfolger Doku Umarovs u. war mit
Khalilov einer der gefährlichsten Rebellen, die auf dem
Territorium der Tschetschen. Republik operierten. Nach
Angaben des stv. tschetschen. MP der Kadyrov-Regierung s.
Adam Delimkhanov u. des Innenministers der Republik Ruslan
Alkhanov war Elmurzaev an zahlreichen schweren Verbrechen
u. Terroranschlägen in Tschetschenien beteiligt. Es wurde
darauf hingewiesen, dass Elmurzaev einer derjenigen war,
die öffentlich seine Beteiligung an der Ermordung Akhmat
Kadyrovs erklärten. Ramzan Kadyrov zufolge war er „auch an
der Ermordung von Zivilisten, Schulleitern u. Vertretern
der Verwaltung u. Zivilgesellschaft beteiligt gewesen.“
Nachdem er offenbar bereits im Nov. 2004 liquidiert werden
sollte, wurde EImurzaev Anfang April 2007 während einer
vom tschetschen. UFSB u. Innenministerium organisierten
Sonderoperation getötet. Zum Zeitpunkt seines Todes stand
er auf der internationalen Fahndungsliste von "Interpol".
Im Okt. 2007 wurde ihm per Dekret des Präsidenten der
Tschetschen. Republik "Ichkerija" Umarov posthum der
höchste Orden der Tschetschen. Republik "Ichkerija",
"Kъoman Sij“ /Ehre der Nation/, verliehen.)
ENTEO, Dmitrij Sergeevich
II
III
IV
V VI
VII
VIII
IX
X
XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX XXI XXIIa XXIIb XXIII XXIV
XXV
XXVI
XXVII
XXVIII XXIX XXX XXXI
XXXII
XXXIII
XXXIV
XXXV
XXXVI
XXXVII XXXVIII XXXIX XL (eigtl. CORIONOV,
1989-, russ. Volkswirtschaftler, russ.-orthodoxer
Aktivist, ehem. Anführer der Bewegung "Gottes Wille“,
z.Zt. Anführer der Bewegung "Dekommunisierung“. Mutter
ist Russin, Vater S.V. Corionov ist Ossete. Nach eigenen Angaben ist Enteo
Absolvent eines Studiums der
Wirtschaftswissenschaften an der
MGIMO,
Kandidat
der Wirtschaftswissenschaften, arbeitete als Dozent an
der MGIMO, war
Leiter der Wirtschaftsabteilung der Handelsmission der
RF in Dänemark, damals stv. Vorsitzender des Vorstands
der "Moseksibank", Leiter des Kosmetikunternehmens
"Kherzel Farm“.
Ausserdem studierte der 2010 zur Orthodoxie
Konvertierte
auch
Theologie an der Fernstudiumabteilung der
"Orthodoxen St. Tikhon-Universität für
Geisteswissenschaften", von welcher er im Aug. 2013
wegen schlechter akadem. Leistungen verwiesen worden
sein soll. Er schloss sich der "Orthodoxen
Missionsbewegung des Propheten Daniel“ an u. unterstützt den
Staatsduma-Abgeordneten s. Vitalij Milonov.
Ideologie: Als
Anhänger des "Junge-Erde-Kreationismus" vertritt
Enteo die These von der Unwissenschaftlichkeit der angeblich unbewiesenen Evolutionstheorie
u. geht davon aus, dass die Erde u. das Leben auf ihr
vor höchstens 10 Tsd. Jahren durch das direkte Handeln
Gottes geschaffen wurden. Als Anhänger eines "geozentrischen Weltbilds"
glaubt er, dass die Erde u. damit auch der
Mensch im Universum eine zentrale Position
einnehmen u. dass alle Himmelskörper - Mond,
Sonne, die anderen Planeten u. die Fixsterne -
die Erde umkreisen.
Ferner positioniert er sich als "libertärer Konservativer" u. als
sog. "Minarchist" u. unterstützt die
Ideen der "Österreichischen bzw. Wiener Schule
der Volkswirtschaftslehre", der allruss.
Legalisierungsbewegung "Recht auf Waffen" sowie der
Bewegung für eine konsequente "Dekommunisierung" in der RF, die
sich für die Beseitigung der Überreste u. Spuren des
Kommunismus in den postkommunist. Staaten im Hinblick
auf soziale, wirtschaftl. u. kulturelle Aspekte
einsetzt. Ausserdem wird er als
Experte auf dem Gebiet des "metaphysischen" "Putinismus" betrachtet. Nicht
zuletzt ist er ein glühender Gegner der Abtreibung, der
davon überzeugt ist, dass das menschliche Leben im
Moment der Befruchtung der Eizelle beginnt. Er lehnt die
Gay-Agenda
der Homosexuellen-Bewegung u. die Homosexualität ab,
die er als Krankheit betrachtet u.
als „Sünde von Sodom“ bezeichnet.
Aktionen: Dmitrij
Enteo ist für seine umstrittenen,
teilweise skandalösen u. provokanten
Aktionen, Proteste u. Taten bekannt, die
sich v.a. gegen vermeintlich moralisch
zweifelhafte u./oder religiös anstössige
öffentl. kulturelle Veranstaltungen wie
nonkonformist. Ausstellungen in Museen
sowie Aufführungen
in
Kinos u. Theatern richten, die von ihm
u. seinen Leuten mit entsprechenden
Störaktionen behindert werden sollten.
Bei einigen dieser Aktionen handelt/e es
sich nach Angaben von Betroffenen u.
Menschenrechtsaktivisten um
Gesetzesverstösse.
In einem Interview gab
Enteo jedoch an, dass er sich als ziviler Aktivist
positioniere u. die Handlungen seiner Organisation nicht
über das Gesetz hinausgingen. Einige Bsp.:
- Ende Aug. 2012 näherte sich Enteo mit einer Gruppe von
Unterstützern am Moskauer Paveleckij-Bahnhof einem
jungen Mann, der in einen Zug stieg, wobei die
Aktivisten den Mann angriffen, sein T-Shirt mit dem Bild
der Frauenpunkgruppe "Pussy Riot" zerrissen
u. dabei „Heiliges Russland, bewahre den orthodoxen
Glauben!“ riefen u. Drohungen gegen „Gotteslästerer“
ausstiessen. Ein Video der Aktion wurde auf "YouTube"
veröffentlicht. Der Träger des T-Shirts wandte sich an
die Polizei, wo ihm der Antrag auf Einleitung eines
Strafverfahrens gegen die Täter mit der Begründung
verweigert wurde, dass keine Straftat im Sinne des
entsprechenden Art. StGB RF wegen "vorsätzlicher
Zerstörung oder Sachbeschädigung“ vorliege u. der
Schaden in Höhe von 800 Rubel zu gering sei, um ein
Verfahren nach diesem Artikel einzuleiten. Ausserdem
betrachtete die Polizei die Handlungen der Aktivisten
nicht als groben Verstoss gegen die öffentl. Ordnung,
als sozial gefährliche Handlung, als erniedrigende
Behandlung von Bürgern oder als Ausdruck des religiösen
Hasses u. verwies auf das Fehlen von Zeugen für den
Vorfall. s. Pavel Chikov, Vorsitzender der
Menschenrechtsgesellschaft "Agora“, äusserte sich zu
diesem Vorfall u. wies darauf hin, dass solche Angriffe
in der Gerichtspraxis als Raubüberfälle eingestuft
würden. Die Südwestl. Moskauer
Transport-Staatsanwaltschaft hielt später die
Verweigerung der Entscheidung über eine Einleitung eines
Strafverfahrens für rechtswidrig u. leitete den Fall
nach Aufhebung der Entscheidung zur weiteren Überprüfung
weiter. Enteo selbst erklärte in
einem Interview, dass das Zerreissen eines T-Shirts
eines Passanten keine eigentl. Aktion
seiner Organisation, sondern seine „persönl. Handlung
als Bürger u. orthodoxer Gläubiger“ gewesen sei, u.
beschrieb diese Tat als „eine normale Reaktion eines
beliebigen normalen Bürgers, für den Gott u. Seine
Mutter reale Persönlichkeiten sind.“
- Am selben Tag betraten Enteo u. eine Gruppe von
Unterstützern das Moskauer Dokumentarfilm-Theater "Teatr.doc“,
wo die Aktivisten versuchten, eine dort gerade laufende
Aufführung zu stören, die dem Fall "Pussy Riot" gewidmet
war.
- Am folgenden Tag, kurz vor Mitternacht, betraten
Aktivisten unter der Führung Enteos das Museum für
erotische Kunst "Punkt G".
Einer der Gruppenmitglieder trug ein Buch mit dem Bild
eines orthodoxen Kreuzes auf dem Einband mit sich, ein
anderer ein Paket mit Ziegelsteinen. Eine Teilnehmerin
der Aktion filmte das Geschehen auf einem iPad. Die
Aktivisten forderten, dass der Direktor des Museums, s.
Aleksandr Donskoj, der sich zu dieser Zeit in
Arkhangelsk aufhielt, zu ihnen komme. Ohne jedoch auf
ihn zu warten, überreichte Enteo der Museumsverwalterin
einen Ziegelstein, was diese als Bedrohung für ihr
eigenes Leben ansah. Enteo begründete seine Aktion
damit, dass er über die Fülle an Reklame im Museum, v.a.
die Verteilung von Werbeflugblättern an kleine Kinder,
empört sei u. den „gespendeten“ Ziegelstein als Symbol
der Kreuzigung u. Reue verstand. Donskoj wies diese
Ansprüche in einem Interview zurück u. machte darauf
aufmerksam, dass sich das Museum an einem unauffälligen
Ort befinde u. die Flugblätter mit dem Hinweis auf die
Altersbeschränkung "18+“ nur an Erwachsene verteilt
würden.
- Im Okt. 2012 trat Enteo gegen die "Gottlosen" in der liberalen
Partei "Jabloko" auf. Im Mai 2013 agitierten Enteo
u. seine Leute in der Zeit von #OccupyGorky u. bezeichneten die
Oppositionellen als Schwuchteln, wobei es dort zum
handgreiflichen
Streit kam. Dort gab Esipenko auch Erklärungen über das Thema Sex ab.
/II/
- Im Aug. 2013 beteiligten sich Aktivisten der Bewegung
"Gottes Wille“ unter der Führung Enteos an der Auflösung
eines ungenehmigten Umzugs bzw. Marschs von Moskauer "Pastafarianern", der unter der
Bezeichnung "Pasta-Spaziergang" bekannt wurde. Die
Umzugsteilnehmer wurden mit Ketchup übergossen u. mit
Flüchen beschimpft.
Auch Männer der berüchtigten OMON-Einsatzkräfte waren an der
Auflösung der Prozession beteiligt u.
nahmen 8 Teilnehmer des Marsches fest. Die mit Ketchup übergossenen Pastafarianer
beschwerten sich bei der Polizei.
- Im Nov. 2013 versuchten Enteo u. seine Partnerin
Ljudmila Esipenko, das Theaterstück "Ein idealer Gatte“ unter der Regie
von s. Konstantin Bogomolov zu stören, das im Moskauer
Tschechov-Kunsttheater aufgeführt wurde. Die von Oscar
Wilde verfasste Komödie handelt von einer polit. Intrige
sowie von Ehe u. Liebe in der Londoner High Society des
19. Jhs. Als der homosexuelle Priester betete, betraten
die
Aktivisten die Bühne u. skandierten
„Das ist Blasphemie“ u. „Stopp“, woraufhin sie vom
Sicherheitsdienst ergriffen u. unsanft aus dem Saal
geführt wurden. Die Hauptverwaltung des Moskauer
Innenministeriums gab danach bekannt, dass 2 Jugendliche
wegen Rowdytums in diesem Theater festgenommen worden
seien. In einem Interview mit Argumenty i fakty
sagte Enteo, dass er die Aufführung als "Beleidigung der Gefühle der Gläubigen"
betrachte, was in Russland nach Art. 148 StGB RF eine
Straftat darstellt, u. dass dies ihn dazu veranlasst
habe, zu versuchen, die Aufführung zu stören. Der
Aktivist initiierte ausserdem eine Sammlung von
Unterschriften für ein Verbot der Aufführung.
- Im Dez. 2013 nahm Enteo am "Marsch der Freiheit" teil. 2013
wurde ein von s. Beata Bubenec gedrehter Dokumentarfilm über Enteos Bewegung
"Gottes Wille" veröffentlicht /II/.
- Im Feb. 2014 betrat Enteo zusammen mit einem anderen
jungen Mann namens Aleksej Fomichjov,
vermutlich einem Angehörigen der Bewegung "Gottes
Wille“, das Moskauer Gulag-Museum, wo sie
einen Museumsmitarbeiter namens Davydov angriffen, der
orthodoxer Gläubiger war. Die Überwachungskamera filmte,
wie Enteo den Museumsangestellten anspuckte, während ein
zweiter junger Mann um den Tresen herumging u. den
Mitarbeiter zu schlagen begann. Nach Angaben des Opfers
zwangen die Angreifer ihn, sich öffentlich für einen
Satz zu entschuldigen, den er in einem Interview über
einen der Teilnehmer der Aktion zur Störung der
Aufführung im Moskauer Kunsttheater gesagt hatte, u.
drohten im Falle von Ungehorsam mit weiterer Verfolgung.
- Im Juli 2015 zündete
Esipenko ein Kunstobjekt bestehend aus einem Block u.
einer Axt in der Nähe eines Felix-Dzerzhinskij-Denkmals
im Moskauer Museon-Park an, im Sinne eines Protest
gegen die Errichtung eines
Denkmals für den stalinist. Henker. Während ein Mann
vom Typ eines Reporters die Szene fotografierte oder
filmte, raufte sich Enteo mit anwesenden Männern.
- Im Aug. 2015 beschädigten
Mitglieder der Bewegung "Gottes Wille“ unter der Führung
Enteos 4 Werke des bekannten verstorbenen
sowjetukrain.-jüdisch-russ. Bildhauers-Grafikers Vadim Sidur, dessen
Schwerpunktthemen die Weiblichkeit, Partnerschaft u.
Erotik beinhalteten, u. die an einer Ausstellung in der
Moskauer
Manege gezeigt wurden. Die Mitglieder der Gruppe
erklärten ihr Vorgehen wie schon früher damit, dass die
ausgestellten Werke die religiösen Gefühle der Gläubigen
verletzten. Vor der Manege bezeichnete Enteo die Ausstellung als
Pornographie u. forderte ihre Schliessung /II/. Zunächst weigerte sich die
Staatsanwaltschaft, ein Strafverfahren gegen die
Angreifer wegen Vandalismus einzuleiten,
wobei später aber dann doch ein Strafverfahren wegen
Zerstörung von Kulturgut eröffnet wurde. Im Sept. 2016
wurde das Verfahren jedoch „mangels Beweisen“
eingestellt.
- Wie oben erwähnt setzt sich Enteo auch für die
Entfernung des kommunist. Erbes in Russland ein. Im Dez.
2016 kamen Enteo u. seine Begleiterin an die Kremlmauer,
als eine KPRF-Delegation
am
Grab Stalins Blumen niederlegte, u. warfen mit
provozierenden Rufen einen Blumenstrauss gegen die
Büste des ehem. sowjet. Kommunistenführers. Laut
Enteo hatte Stalin „90% des Klerus der Russ.-Orthodoxen
Kirche vernichtet, viel Böses getan, u. es gibt in der
Geschichte keine ähnliche Figur wie ihn“. Er könne nur
mit Hitler verglichen werden. Die beiden wurden von
einer wütenden Menge u. Wachleuten vom Grab unverzüglich
entfernt, eine Frau schlug auf Enteo ein, u. von
Polizisten abgeführt.
- Enteos Aktivitäten sowie seine Freundschaft mit s. Marija
Aljokhina /II III IV V VI/, eines Mitglieds der
Frauenpunkgruppe "Pussy Riot", führten zu einer Spaltung
der Bewegung "Gottes
Wille“, wobei Enteo 2017 von ihr der Blasphemie, der
Verspottung der Heiligen Schrift u. des Verrats an der
Bewegung bezichtigt wurde. Es war nicht klar, ob Enteo aus der Bewegung
ausgeschlossen wurde. Im Mai 2017 unterstützte Enteo
eine "Aktion“ der russ. Sonderdienste, die im Moskauer Theater "Gogol-Zentrum"
u. in der Wohnung des umstrittenen Regisseurs s.
Kirill Serebrennikov eine Durchsuchung durchführten.
- Mit der Zeit gerieten Enteo u. seine Mitstreiter
selbst ins Visier der Behörden. Im April 2018 wurden
Enteo u. Aljokhina bei einer Kundgebung zur
Unterstützung des blockierten Messengers "Telegram"
festgenommen, bei der Teilnehmer Papierflugzeuge
aufsteigen liessen. Enteo wurde zu 100 Std.
gemeinnütziger Arbeit verurteilt, wobei das Gericht die
gleiche Strafe auch gegen Aljokhina verhängte.
In der Folge spannten Enteo
u. Aljokhina bei ihren Aktionen zum Thema
"Gulag" zusammen. Im
Aug. 2018 veranstalteten Enteo u. Aljokhina eine
Kundgebung vor dem FSIN-Gebäude mit Plakaten u.
Aufschriften "FSIN = Gulag“, "Folter“ u.
"Sklavenarbeit“. Im Okt. 2018 lasen sie öffentlich die Namen unter
Stalin Erschossenen vor. Im April 2019 wurde ihnen
aufgrund des entsprechenden Art. StGB RF wegen
"Verstosses gegen das Verfahren zur Durchführung von
Kundgebungen“ eine Geldstrafe von 20 Tsd. Rubel
auferlegt. Im Nov. 2019 hängten Enteo u. eine Gruppe von
Aktivisten von "Dekommunisierung" u. "Pussy Riot" einen
Banner mit der Aufschrift "Stoppt den Gulag“ u. Fotos
polit. Gefangener an der Bolschoj-Kamennyj-Brücke in
Moskau auf. In diesem Zusammenhang wurde Enteo noch im
selben Monat aufgrund des entsprechenden Art. StGB RF
wegen "Wiederholten Verstosses gegen das
Verfahren zur Durchführung von Kundgebungen“
für 5 Tage festgenommen. Nach Beginn des
von Putin im Feb. 2022 entfesselten
russ. Angriffskriegs gegen
die Ukraine beantragten
Enteo, s. Aleksej Minjajlo, ein Vertreter der Partei "PARNAS", u.a. russ. Oppositionelle
die Durchführung einer Antikriegskundgebung in Moskau am
5. März 2022.
Reaktionen u. Kritik: Die Aktivitäten u.
Ansichten von Dmitrij Enteo wurden v.a. von Liberalen,
Linken u. orthodoxen Religionsvertretern
unmissverständlich kritisiert. Der Vorsitzende des
Bundeskomitees der "Libertären Partei Russlands", Sergej
Bojko, beschrieb Enteo als „einen bekannten
Provokateur“ u. „Aggressor“ u. wies darauf hin, dass
„Dmitrij Corionov alias Enteo nichts mit Libertarismus
u. Rechtskonservatismus zu tun habe“. Der
freiheitlich-demokrat. Oppositionspolitiker s. Leonid
Gozman verurteilte Enteos Vorgehen u. gab nach
einem Interview mit ihm hinsichtlich der Zukunft
Russlands seiner grossen Sorge Ausdruck, dass Enteos
„absolut wilde, mittelalterliche Position ... die
Unterstützung von 56% der Zuhörer erhielt“. M.
Pozharskij, regelmässiger Autor der
Anti-Putin-Oppositionswebsite "Kasparov.ru", hält Enteo
für „... einen prinzipienlosen Schurken, der heute
bereit ist, einen Pogrom zu organisieren, u. morgen
Verleumdungen gegen seine Gegner schreibt“. Der
Philosoph Aleksandr Zelichenko nannte Enteo
„ein Genie der antiklerikalen Propaganda“ zur
Diskreditierung der Russ.-Orthodoxen Kirche,
wobei er glaubt, dass Enteo „viele
Jahre lang die Rolle eines freiberuflichen
Polizeiprovokateurs gespielt“ haben könnte. Protodiakon
s. Andrej Kuraev warf dem Aktivisten im
Zusammenhang mit seinen Angriffen auf den bekannten
Theologen u. Professor der Moskauer Theolog. Akademie s.
Aleksej Osipov vor, das Evangelium falsch zu verstehen,
u. forderte Enteo auf, seinen Eifer zu mässigen u.
aufzuhören, „nach Stundenplan zu masturbieren“, u.
forderte von ihm eine schnelle Erkennung u. Korrektur
seiner Verfehlung /II/. Der Priester Georgij Maksimov wies darauf
hin, dass Enteo nicht an der Wahrheit interessiert
sei, was dazu führe, dass er Irrlehren formuliere.
„Bevor
er andere korrigiere, hätte
er sich mit dem [richtigen] Studium befassen sollen, um
keine Lächerlichkeiten u. Entstellungen der
Glaubenslehre in die Welt zu setzen.“ Er sei nicht dazu
geeignet, Theologie zu unterrichten. Der Sektenforsche
s. Aleksandr Dvorkin bezeichnete Enteos Bewegung
als Sekte.
Strafverfolgung: Enteo wurde von Moskauer
Gerichten mehrmals wegen illegaler Aktivitäten
angeklagt, so z.B. 2015, 2018 u. 2x im Jahr 2019, u.
aufgrund des Gesetzes über
Ordnungswidrigkeiten zu
Geldstrafen verurteilt. Weil er im Aug. 2015 in der Zentralen Ausstellungshalle
der Moskauer Manege Streit mit Besuchern der Ausstellung
suchte, diese an den Ärmeln packte,
laut herumschrie
u. unflätige
Ausdrücke verwendete, Porzellanfiguren zerschlug u. auf Exponate spuckte u. Verwarnungen
ignorierte, wurde er wegen geringfügigen
Rowdytums zu 10 Tagen Haft verurteilt.) 06.24
EPSHTEJN, Alek Davidovich IIa IIb III IVa IVb V VI VIIa VIIb VIII IX X XI XII XIII XIV XV
(russ.-israel. Soziologe, Politologe, Historiker
u. oppositioneller Zivilgesellschaftsaktivist. Absolvent
der Hebräischen Universität von Jerusalem, Israel.
Doktor der Soziologie. Seine PhD-Dissertation war der
Bildung der israel. polit. Kultur in der Periode
der Hegemonie der Arbeiterbewegung
gewidmet. Seit 1999 ist er Mitarbeiter der Soziologie-,
Politologie- u. Kommunikationsabteilung der Offenen
Universität von Israel. Er lebt u. arbeitet
in Jerusalem u. Moskau. Während 12 Jahren lehrte
er Soziologie an der Judaistikabteilung des Lehrstuhls für
die Länder Afrikas u. Asiens der MGU. Ferner schloss er
auch mit den Universitäten von Nizhnij
Novgorod, Ekaterinburg, Tomsk u. Kazan
Zusammenarbeitsverträge. Ausserdem leitete er
die interkulturellen Dialoge zwischen
Wissenschaftlern u. Lehrern aus der ehem. UdSSR u.
ihren israel. Kollegen. Epshtejn gilt als Experte für
israel. Geschichte u. Politik u. für den arab.-israel.
Konflikt. Er forscht zum Beitrag der Intellektuellen zur
Entstehung der Zivilgesellschaft, zur Entwicklung
des zivilen Ungehorsams als Indikator des Wandels
der zivilen-militär. Beziehungen, befasst sich aber auch mit
den israel.-russ. Beziehungen, der Geschichte des sowjet. u.
postsowjet. Judentums u. der polit. Situation in Russland.
Er nimmt an zahlreichen wissenschaftl. Ausbildungsprojekten
u. verschiedenen Menschenrechtsinitiativen in den beiden
Ländern teil. Epshtejn tritt für Grundrechte u.
Gleichberechtigung aller Menschen ein,
unterstützt gleichgeschlechtliche Ehen, spricht sich
zugunsten der Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare
aus, ist ein Gegner der Todesstrafe u. lehnt die Idee
eines starken Nationalstaats ab. Damit
positioniert er sich eindeutig in Opposition gegenüber dem
ultrakonservativ-nationalist. Putinstaat u. gerät wohl auch
in Widerspruch zu den ultraorthodoxen Einstellungen in
Israel. Epshtejn ist Autor von über 160 Beiträgen in
verschiedenen Fachzeitschriften u. Sammelbänden u. von über
14 Büchern über Israel, den Nahen Osten u. Russland, die in
Moskauer u. Jerusalemer Verlagen auf Russisch veröffentlicht
wurden. V.a. seine Bücher "Die Gedankenpolizei. Macht,
Experten u. der Kampf gegen den Extremismus im modernen
Russland" /Полиция мыслей. Власть, эксперты и
борьба с экстремизмом в современной России, Moskau
2011 II III/, das er zusammen mit Oleg
Vasilev schrieb, u. "Beschützung
der Macht vor der Gesellschaft: Zehn Jahre
«Antiextremismus»-Kampagne´ in Russland" /Защищая власть от общества. Десять лет
«антиэкстремистской» кампании в России, Moskau 2012 II/ waren unter den wichtigsten
Werken über das intellektuelle Andersdenken im
russ. öffentl. Leben der Gegenwart. Mit den Büchern "Der totale Krieg: Kunstaktivismus in der
Zeit der Tandemokratie", "Kunst auf den Barrikaden: Pussy Riot,
die Buss-Ausstellung u. der Protestkunstaktivismus" /II/ u. "Der spirituelle Zank. Der Kampf der
sakralen Bilder des Christentums für ein neues Leben in
der Kunst", ein Projekt von von Viktor Bondarenko u. Evgenija Malceva, trug er als
Kunstsoziologe u Zivilaktivist weiter zu seiner
Bekanntheit bei. 2012 stiftete er den "Alternativen Preis
für Kunstaktivismus in Russland" u. ist seither als
Vorsitzender der Jury tätig. Als Preisträger wurde u.a.
die vom Kreml u. dem MP der russ.-orthod. Kirche verfogte
Frauenpunkgruppe "Pussy Riot" ausgewählt. Epshtejns Name
ist in der 5. Ausgabe von "2000 Outstanding Intellectuals of
the 21st Century“ u. in "Who is Who in the World“ - alle
Ausgaben von 2008-16 - enthalten.)
ERDOĞAN, Recep Tayyip
II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV (türkischer Spitzenpolitiker,
Vorsitzender der AKP, seit Aug. 2014 der 12. Präsident
der Republik Türkei. Enger Partner Russlands u. des
Präsidenten RF V.V. Putin. Nach einer anfänglichen Phase
der Liberalisierung nahm Erdoğans Präsidentschaft
zunehmend autoritäre Züge an. Schon ab etwa 2010
stellte der tonangebende AKP-Chef noch als Regierungschef in
seinen massenaufputschenden demagogischen Reden immer wieder
Islam-religiöse u. nationalist. Bezüge her. 2018 wurde in
der Türkei sogar ein Präsidialsystem nach Erdoğans
Geschmack eingeführt, wobei das Amt des Regierungschefs
kurzerhand abgeschafft wurde u. Erdoğan so etwas wie die
Stellung eines nationalen Führers einnahm. Den Staatsnamen
Türkei liess er in der UN u. NATO auch im Englischen als
"Türkiye" umbenennen, um das Land vom Namen "Turkey", dt.
Pute, zu unterscheiden. Die schlechte Menschenrechtslage u.
die Einschränkungen der Medienfreiheit, die immer härtere
Unterdrückungs- u. Verfolgungspolitik des Erdoğan-Regimes
gegenüber Oppositionellen, Journalisten u. Andersdenkenden,
einschliesslich der Kurden, die von türk. u. westl.
Kritikern mit der Situation in Russland u. islam. Schurken-
u. Terrorstaaten verglichen wurde, führte praktisch zum
Zerwürfnis zwischen ihm bzw. der Türkei einerseits u. dem
Westen, v.a. der EU, andererseits. Für die EU, v.a. für dt.
Politiker, stand nun eine Wiederbelebung der
Beitrittskandidatur der Türkei für eine lange Zeit
ausserhalb jeder Diskussion. Der erzürnte Staatschef, der
wie ein osman. Sultan auftrat, distanzierte sich wütend von
der EU, stiess am laufenden Band polit. unkorrekte
Äusserungen u. Beleidigungen aus u. trat in Deutschland –
wohl auch zur Freude Putins u. einiger Russlanddeutscher –
lautstark u. aggressiv bei international Aufsehen erregenden
Massenkundgebungen von Erdoğan- u. AKP-treuen Deutschtürken
auf, um die Werbung für seine Wiederwahl u. die Wahl der AKP
zu verstärken, wobei die Bundesregierung unter Kanzlerin s.
Angela Merkel trotz vermutlicher Sicherheitsbedenken
gelassen reagierte. Die Mehrheit der Deutschtürken wählten
dann auch "ihren" Präsidenten wieder, während die türk.
Staatsangehörigen in der Schweiz, meist Kurden, sich
gegen Erdoğan aussprachen u. andere Parteien wählten.
Beziehungen der Türkei zu Russland u. Verhältnis Erdoğans zu V.V. Putin: Während der Zeit des Kommunismus war
das Verhältnis zwischen der Sowjetunion u.
der Türkei politisch ziemlich angespannt /II/. Zu Beginn des 21. Jhs.
herrschte in den Beziehungen zwischen beiden Ländern das
Prinzip der wirtschaftl. Zusammenarbeit vor, wobei der
Handelsumsatz zwischen der Türkei u. Russland zwischen 2002
u. 2011 kontinuierlich stieg. Die
Beziehungen zwischen den beiden Ländern begannen sich zu
verbessern,
insbes.
nach 2003, als Erdoğan
Ministerpräsident der Türkei wurde. Die bilateralen Beziehungen
hängen also weitgehend vom guten oder schlechten
Verhältnis beider Staatsoberhäupter Erdoğan u. Putin ab,
wobei die Stimmung zwischen diesen beiden unberechenbaren
Despoten jederzeit ins Gegenteil umschlagen kann, wie der
Zwischenfall mit dem Flugzeugabschuss in Syrien, die
Krym-Annexion u. der Ukrainekonflikt zeigen, s. unten.
Erdoğans Verhältnis zu Putin
u. vice versa ist jedoch ambivalent u. wohl v.a. von
polit. u. wirtschaftl. Interessen getrieben, wobei es sich
bei diesen beiden grausamen Herrschern wohl auch um
Rivalen handelt. Früher übte Erdoğan noch mehrfach Kritik
an seinem russ. Kollegen, etwa im Zusammenhang mit seiner
Unterstützung der Regierung s. Bashar
al-Assads im syrischen Bürgerkrieg. Beobachter
meinten, eine Art der "Männerfreundschaft“ zwischen dem
Türken u. dem Russen zu erkennen. Die angeblich gute
Freundschaft zwischen dem russ. u. türk. Autokraten
wurde von der westl. Presse wiederholt bezweifelt
– es soll sich um nicht mehr als
eine rein pragmat. Beziehung, um ein Zweckbündnis bzw. eine taktische Partnerschaft zwischen
Nachbarn handeln, wobei gemeinsame antiwestliche Reflexe
zweier sich gedemütigt fühlender Politmachos aus dem Osten
eine Rolle spielen dürften. Ob Erdoğan u. Putin mehr Partner oder Rivalen
darstellen, bleibt unklar. Im Vordergrund des Interesses
beider Länder stehen eindeutig Wirtschafts- u.
Handelsbeziehungen sowie die "kontrollierte Rivalität“ um
die Vorherrschaft in der Schwarzmeerregion sowie beim
Einfluss im Kaukasusgebiet u. in den zentralasiat.
Turkstaaten wie auch im Nahen Osten. Die bilateralen
Beziehungen wurden immer wieder durch unvorhergesehene
Zwischenfälle belastet u. gestört u. gestalten sich nicht
einfach. Das gegenseitige persönl. Misstrauen zwischen
diesen beiden nationalist. Polithardlinern, die vor 2
Jahrzehnten als aufsteigende Nobodys aus dem Hinterhof an
die Macht gelangten, die sie usurpierten, um ihren
rückständigen Ländern zu neuer internationaler Grösse zu
verhelfen, beileibe nicht zu unterschätzen. Nicht der
demokrat. verfasste Rechtsstaat westlichen Typs ist ihr
Ideal, sondern bei ihnen gelten v.a. Kriterien wie persönl.
Loyalität, Gehorsam, Unterwerfung, Heuchelei, Vertrauen,
Ehre, Verrat u. Beleidigung, die als zentrale Kategorien
ihrer Machtausübung die Hauptrolle spielen. Damit gleichen
sie eher klassischen orientalischen Despoten als demokrat.
Staatschefs. Während ihrer langjährigen persönl.
Einzelherrschaft als Regierungschefs oder Staatspräsidenten
nahmen beide wohl auch aus Rache gegenüber anderen,
Kritikern u. Gegnern, schwere Rechtsverletzungen der
übelsten Sorte in Kauf, weshalb sie eigentlich nicht in
einen Regierungspalast gehören, sondern wegen zahlreicher
mutmasslicher polit. u. Wirtschaftsverbrechen vor Gericht
gestellt werden müssten.
Erdoğan u. Putin
trafen sich wiederholt in Russland, in der Türkei oder in
einem Drittstaat, wo sie sich Seite an Seite demonstrativ
als Verbündete fotografieren liessen. Ihre gemeinsamen
Auftritte dienen wohl auch dem Zweck, die westl. "Partner"
- eigentlich Feinde - zu provozieren, verärgern u.
verunsichern. Putin meidet zwar den Besuch von
NATO-Staaten, aber die Türkei bildet wohl eine Ausnahme.
Im Dez. 2004 stattete V.V. Putin als Präsident RF der
Türkei einen Besuch ab; dies war der erste Besuch eines
Präsidenten RF in der Geschichte der modernen russ.-türk.
Beziehungen – es scheint, dass Präsident s. Boris Elcyn
die Türkei mied. Im Nov. 2005 nahm Putin an der Einweihung
der gemeinsam gebauten Blue-Stream-Gaspipeline in der
Türkei teil. Im Mai 2010 unterzeichneten Ankara u. Moskau
anlässlich eines offiziellen Besuchs des damaligen
Präsidenten RF s. Dmitrij Medvedev eine Reihe von Abkommen
zur Entwicklung der Zusammenarbeit im Energie- u.a.
Bereichen, darunter zum Bau des ersten türk.
Kernkraftwerks mit russ. Finanzierung, u. zur
Visumfreiheit für Touristen beider Länder. Nach der Annexion der Krym durch Russland
von 2014 erklärte Erdoğan wiederholt, dass er diesen
"Beitritt" der Krym zur RF „prinzipiell nicht anerkennt".
Im März 2015 erklärte der stv. türk. Wirtschaftsminister Adnan
Yıldırım, dass die Frage einer
Freihandelszone zwischen Russland u. der Türkei auf der
Tagesordnung stehe. Im Okt. gab der russ. Minister für
wirtschaftl. Entwicklung s. Aleksej Uljukaev bekannt, dass
Russland u. die Türkei ein Abkommen über eine
Freihandelszone im Bereich Dienstleistungen u. Investitionen
vorbereiten. Am 23.
Sept. 2015 reiste "Sultan" Erdoğan nach Moskau, um mit
"Zar" Putin die neue Dschuma-Hauptmoschee zu eröffnen. Nach Beginn der russ. Militäroperation in Syrien
Ende Sept. 2015 verschlechterten sich die Beziehungen
zwischen der Türkei u. Russland rasant, v.a. als Russland
Luftangriffe auf Stellungen der gegen Assad kämpfenden
Rebellen in Syrien zu fliegen begann u. es zu
mehreren Zwischenfällen zwischen dem russ. u. türk.
Militär kam. Der Tiefpunkt der bilateralen Beziehungen
wurde erreicht, als am 24. Nov. ein türk. Jagdflugzeug
wohl aus Versehen eine russ. Su-24-Maschine wohl im
syrischen Luftraum abschoss, wobei der russ. Pilot ums
Leben kam. Russland verhängte Sanktionen gegen die Türkei
u. hob die Visumfreiheit auf. Ankara verweigerte
eine Entschuldigung für den Zwischenfall. Um das sonst
gute Verhältnis zwischen den beiden Ländern bzw.
Staatschefs nicht weiter unnötig zu belaslen, drückte
Erdoğan - erst - im Juni 2016 in einer Botschaft an
Präsident Putin sein tiefes Beileid zum Tod des Piloten
aus u. entschuldigte sich bei seiner Familie. Nach einem
Telefongespräch zwischen Erdoğan u. Putin ordnete der
russ. Staatschef die Aufhebung der administrativen
Beschränkungen für Touristen, die die Türkei besuchen, u.
die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit im Handels- u.
Wirtschaftsbereich an. Das Telefongespräch zwischen Putin
u. Erdogan sollte den Beginn der Wiederaufnahme des polit. Dialogs
zwischen den beiden Staaten markieren. Als Mitte Juli 2016
in der Türkei ein Putschversuch von
Teilen des türk. Militärs mit
dem Ziel stattfand, die türk. Regierung mitsamt Staatspräsident Erdoğan u.
dem Kabinett Yıldırım zu stürzen, eilte
Putin seinem bedrängten türk. Amtskollegen quasi zu
Hilfe u. nahm mit ihm noch vor den Staatsoberhäuptern
von NATO-Mitgliedsländern Kontakt auf. Der russ. Auslandsgeheimdienst soll von den
Putschplänen gegen die türk. Regierung gewusst haben
u. hatte möglicherweise Präsident Erdoğan in letzter
Sekunde davor gewarnt. Im
Aug. 2016 stattete
Erdoğan Putin in St.
Petersburg einen Besuch ab
/II/, wobei in der Westpresse von
einem Neustart der gegenseitigen Beziehungen
die Rede war. Gleichzeitig wurde darüber spekuliert, ob
die beiden "Verschwörer" ein Anti-EU-Bündnis schmieden
wollen. Im Dez. 2016 wurde der Botschafter RF in der Türkei, Andrej
Karlov, in Ankara durch Schüsse eines zivil verkleideten
türk. Polizisten mit Dschihad-Hintergrund ermordet,
wobei das Aussenministerium RF von einem Terrorakt sprach.
Die Regierungen der Türkei u. Russlands wollten in dem
Anschlag einen Versuch gesehen haben, um ihren
Annäherungskurs zu torpedieren. Die türk. Führung selbst,
die sich zunehmend paranoid gegenüber vermeintlichen
Staatsfeinden gebärdete, beschuldigte Erdoğans
Erzfeind Fethullah Gülen, den Mord organisiert zu haben,
wobei diese Version bezweifelt wurde. Ab Ende 2016
kooperierten Russland u. die Türkei beim Militäreinsatz in
Syrien. Zur Überwachung der Einstellung
der Kriegshandlungen wurde eine russ.-türk. Kommission
eingesetzt u. ein Memorandum zur Gewährleistung der
Sicherheit militär. Luftfahrtflüge beider Länder
unterzeichnet. Im Jan. 2017 begannen die russ.
Luftstreitkräfte zum ersten Mal in der Geschichte
gemeinsam mit der türk. Luftwaffe, Terrorgruppen in Syrien
anzugreifen. Zum Entsetzen der NATO hatte die Türkei
begonnen, russ. Waffen zu bestellen, v.a. das S-400-System für eine vertragliche
Gesamtsumme von ca. 2,5 Mrd. USD. Danach wurde von
Seiten der USA die Auslieferung der ersten F-35-Flugzeuge
an die Türkei gestoppt. 2018 reiste Erdoğan erneut nach Sotschi, u.
Putin fuhr in die Türkei, wo er sich bei einem Dreiergipfel in Ankara mit Erdoğan
u. dem iran. Staatsoberhaupt Rohani fotografieren
liess. Im Okt. 2019 unterzeichnete Erdoğan bei einem Treffen mit Putin in
Sotschi /II/, Russland, ein Abkommen über die
Schaffung einer "Pufferzone“ in Nordsyrien u. die
gemeinsame Überwachung der syrisch-türk. Grenze. Im März
2020 einigten sich Erdoğan u. Putin bei Gesprächen in
Moskau auf einen Waffenstillstand in der syrischen
Provinz Idlib nach einer Reihe bewaffneter
Auseinandersetzungen zwischen den türk. u. syrischen
Streitkräften. Nachdem die Türkei im Okt. 2020 das russ.
S-400-System auf einem
Raketentestgelände am Schwarzen Meer getestet hatte, drohten die USA mit
Wirtschaftssanktionen, sollte die Türkei das System in
Betrieb nehmen. Im Dez. verhängte die
scheidende Regierung Trump wegen der Beschaffung des Systems in
der Tat Sanktionen gemäss CAATSA gegen das dem Büro
des Präsidenten der Türkei unterstellte Direktorat
für Verteidigungsindustrie. Im Sept. 2021 reiste Erdoğan erneut nach Sotschi,
um über den Syrienkrieg zu beraten.
Ukrainekrieg
ab 2022: Während des von Putin im
Feb. 2022 entfesselten russ.
Angriffskriegs gegen die Ukraine,
bei dem der NATO-Staat Türkei auf die Beteiligung an
westlichen Sanktionen gegen Russland verzichtete u. sich
als neutraler Vermittler inszeniert, schlossen die
beiden Kriegsparteien unter Vermittlung der Türkei u.
der UN 2022 ein Abkommen für
den sicheren Transport von Getreide u. Lebensmitteln
aus ukrain. Häfen über das Schwarze Meer via den
Bosporus.
Dennoch ist in diesem Krieg das Verhältnis gegenüber
Russland ambivalent. Zwar lieferte die Türkei der
Ukraine Kampfdrohnen, aber Erdoğan liess sich
mit den Worten zitieren:
„Als Türkei haben
wir immer eine Politik des Gleichgewichts zwischen der
Ukraine u. Russland gepflegt, von nun an werden wir diese
ausgewogene Politik weiter verfolgen." Im
Juli 2022 liess sich Erdoğan bei einem Dreiergipfel
in Teheran, Iran, mit Putin u. dem iran. Präsidenten
Raisi demonstrativ Seite an Seite fotografieren, wobei in der internationalen
Presse die Frage aufgeworfen wurde, ob am Flughafen auch
wirklich der echte Putin oder ein Doppelgänger dem
Flugzeug entstiegen war. Das Gespräch zwischen Erdoğan
u. Putin in Teheran soll sich um die Verhandlungen über
die Ausfuhr ukrain. Getreides aus dem
blockierten Hafen von Odessa gedreht haben. Im Aug. reiste
Erdoğan nach Sotschi,
Russland, um über die weitere Kooperation rund um die
Ukraine u. Syrien zu reden /II/. Im Sept. verurteilte Erdoğan bei
einem Treffen mit dem serb. Präsidenten s. Aleksandar
Vuèiæ in
Belgrad die „provokative“
Politik des Westens gegenüber Russland, nachdem die EU u. die G7-Staaten
eine Preisobergrenze für russ. Gas vorgeschlagen hatten,
u. spottete darüber, wie die Leute im Westen ohne russ.
Gas den Winter überwinden wollen. Die Schuld für die
aktuelle Energiekrise gab er Europa die Schuld; wegen
der Sanktionen habe Europa
„geerntet, was es
gesät" habe. Putin setze „alle seine Mittel u. Waffen
ein", Erdgas sei „das wichtigste davon". Gleichzeit warf er dem Westen vor,
die Ukraine nur „mit Schrott" an Waffen zu beliefern
u. meinte wohl die Panzer-Ringtausche. Bei einem Treffen
in Kasachstan. Im Okt. 2022 schlug Putin bei einem
Treffen mit
Erdoğan in Kasachstan den Bau einer weiteren
Gaspipeline u. die Schaffung eines Gashubs in der Türkei
vor, um andere Länder, auch europäische, mit Brennstoffen
aus dem Osten zu versorgen. Im Dez. erklärte Erdoğan
gegenühber Putin, er wünsche sich, dass der Krieg in der
Ukraine „so schnell wie möglich"
beendet werde. Im April 2023 fand
eine Zeremonie zur Lieferung von
Kernbrennstoff an das Kernkraftwerk "Akkuyu" in der
Südtürkei statt, an der die Präsidenten RF u. Türkei,
Putin u. Erdoğan, per Videokonferenz teilnahmen. Nach
einem Schwächeanfall während einer
Wahlveranstaltung machte Erdoğan einen ziemlich müden
Eindruck. Akkuyu ist das erste Kernkraftwerk der Türkei,
das von "Rosatom" gebaut wurde, dessen Unternehmen fast
100% des Kapitals von "Akkuyu Nuclear" besitzen. Putin
sagte bei der Zeremonie, dass die beiden Länder
beabsichtigten, die Zusammenarbeit bei Wirtschaft u.
Handel weiter zu stärken, u.a. mit dem Ziel, den
Handelsumsatz zu steigern, der 2022 62 Mrd. USD überstieg.
Bei der Präsidentschaftswahl vom Mai 2023 wurde
Erdoğan trotz der allgemeinen miserablen Wirtschafts- u.
Menschenrechtslage, einer ausufernden Inflation u.
Korruption, trotz eines verheerenden Erdbebens in der
Osttürkei u. trotz eines ziemlich starken
Oppositionsbündnis in der Stichwahl mit 52,2% der
Wählerstimmen wiedergewählt, während sein Kontrahent Kemal
Kılıçdaroğlu auf 47,8% der Stimmen kam. Putin war einer
der Ersten, die Erdoğan zur Wiederwahl gratulierte u.
seinen türk. Amtskollegen bei dieser Gelegenheit einen „lieben Freund" nannte. Der
wiedergewählte u. ewige türk. Staatschef bildete das Kabinett Erdoğan V, in dem übrigens
der langjährige Aussenminister Mevlüt Çavuºoğlu nicht mehr
vertreten war. Eine Kapriole leistete sich die Türkei
unter der Regie Erdoğans im Fall des NATO-Beitritts
Finnlands u. Schwedens, die infolge
des russ. Überfalls auf die Ukraine eine NATO-Mitgliedschaft
anstrebten. Erdoğan kündigte an, dass die Türkei als
NATO-Mitglied ein Veto gegen den Beitrittsprozess dieser
beiden Länder einlegen werde. Die skandinavischen
Länder, insbes. Schweden, nannte er „ein Gästehaus für
Terrororganisationen“, weil sie PKK- u. YPG-Leuten Asyl
gewährten. Während die Türkei im März 2023 Finnland grünes Licht gab, im April
NATO-Mitglied zu werden, stemmte sie sich - zusammen
mit Ungarn - weiter hartnäckig gegen den Beitritt
Schwedens. Nachdem Erdoğan am 10. Juli 2023 noch
eine Wiederaufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen zur Voraussetzung für
seine Zustimmung zum NATO-Beitritt Schwedens gemacht
hatte, erklärte er noch am selben Tag, dass er dem
NATO-Beitritt Schwedens zustimmen werde. Moskau reagierte
erwartungsgemäss gereizt auf den NATO-Beitritt der beiden
bisher neutralen Ostseeländer in unmittelbarer
Nachbarschaft Russlands.
Wende in der Beziehung zu
Putin? Während
des Kriegs bemühte sich Erdoğan verstärkt um gute
Beziehungen sowohl zu Russland als auch zur Ukraine.
Nach seiner Wiederwahl schien er jedoch eine auffallend
freundliche Haltung gegenüber des ukrain. Präsidenten s.
Volodymyr Zelenskyj einzunehmen, die mit der
Signalisierung einer unerwarteten Wiederannäherung an
die EU verbunden sein sollte. Dieses scheinbare Manöver
hinterliess den Eindruck, als wollte er die Beziehungen
zu Russland u. Putin zugunsten der Ukraine u. deren
Präsidenten Zelenskyj verändern. Als Erdoğan am 7. Juli
Zelenskyj in Istanbul empfing, gefangene
Azov-Kommandanten in die Ukraine zurückkehren liess u.
im Anschluss an das Treffen überraschend verlauten
liess, dass die Ukraine
eine Mitgliedschaft in der NATO verdient /II/ habe, war das Erstaunen gross,
während die Brüskierung
Putins perfekt
gewesen sein muss. Ob diese unerwarteten diplomat.
Winkelzüge eine Abwendung Erdoğans von Putin u. einen
Wendepunkt
im türk.-russ. Verhältnis
markieren, wie die westl. Presse spekulierte, blieb
unklar; einen Bruch zwischen Ankara u. Moskau schienen
sie nicht zu bedeuten. Am 17. Juli weigerte
sich Russland, das von der Türkei vermittelte
Getreideabkommen mit der Ukraine zu verlängern. Dies ist ein Beispiel, bei dem man
das unheilvolle Intrigenspiel der angesprochenen
Rivalität zwischen der Türkei u. Russland bzw. zwischen
Erdoğan u. Putin gut beobachten kann - Putin verfügt
jederzeit über Hebel, diplomat. zurückzuschlagen, um den
Einfluss der Türkei zu unterminieren. Im Juni hatte
Erdoğan
Putin für Aug. in die Türkei eingeladen. Obwohl der Potentat Erdoğan den
Potentaten Putin manchmal zappeln lässt, kann er
vermutlich dennoch nicht ganz
auf den Kremlherrscher verzichten.
Bei einem Treffen Erdoğans mit Putin in Sotschi
von Anfang Sept. 2023 liess der rachsüchtige russ.
Machthaber seinen türkischen "Freund" abblitzen u.
stellte Forderungen an den Westen in Bezug auf das
Getreideabkommen /II III IV V VI/. In der Presse ist
von einem Machtpoker Erdoğans mit Putin die
Rede.) 4.9.23
ERLER, Gernot II III IV V (ehem. dt. Politiker /SPD/.
Studium der Geschichte, Slavischen Sprachen u.
Politikwissenschaft an der Freien Universität
Berlin u.
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.,
Staatsexamen für das Lehramt. Er arbeitete als
Verlagsredaktor, wissenschaftl. Mitarbeiter am Seminar für
Osteuropäische Geschichte der Universität Freiburg i.Br. u.
als Verlagsleiter in Freiburg. In der SPD engagierte er sich
auf kommunaler Ebene, dann als Vorsitzender des
SPD-Kreisverbands Freiburg u. gehörte dem SPD-Landesvorstand
u. dem SPD-Präsidium
in Baden-Württemberg an. Ab 1987 war er
Mitglied des Deutschen Bundestags, gehörte
dem SPD-Fraktionsvorstand an u. war bis 2005 stv.
Vorsitzender dieser Fraktion mit der Zuständigkeit für
Aussen-, Sicherheits- u. Entwicklungspolitik sowie
Menschenrechte. 2017 kandidierte er nicht mehr für den
Bundestag. 2005-9 war er
Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen
u. 2014-18 Russland-Beauftragter der
Dt. Bundesregierung im Kabinett Merkel III. Das Amt, bis 2013 mit alleiniger
Zuständigkeit für Russland, wurde 2003 während der
Amtszeit Joschka Fischers auf Erlers Initiative hin
eingerichtet. Erler war ferner Vorsitzender des
Deutsch-Bulgarischen Forums, Präsident
der Südosteuropa-Gesellschaft /2000-20), Vorsitzender
der West-Ost Gesellschaft Südbaden e.V., sass im Vorstand
der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft u. im
Stiftungsrat des Instituts für Ost- u.
Südosteuropaforschung. Er war Mitglied im
Lenkungsausschuss des dt.-russ. "Petersburger Dialogs". Des Weiteren
ist er Mitglied des Kuratoriums des Dt.-Aserbaidschan.
Forums. Autor mehrerer Beiträge u. Bücher zu
Fragen u. Themen Russlands, u.a. "Die russ. Wahlen u. die
Verantwortung des Westens". In: D. Weirich: Russland
vor den Wahlen. Deutsche-Welle-Forum. Bd. 1/1995;
"Geopolit. Denken in Russland nach der
NATO-Osterweiterung". In: G. Gorzka u.a.: Auf
der Suche nach einer neuen Identität. Russland an der
Schwelle zum 21. Jh. 1998; "Osterweiterung:
Stolpersteine auf Europas Weg in die
Zukunft". In: Südosteuropa
Mitteilungen. Bd. 40, Nr. 2/2000; "Die
Russland-Politik des IWF oder das organisierte
Verhängnis". In: G. Gorzka u.a.: Russlands Weg
zur Zivilgesellschaft. Zentralismus ... 2000; "Der Fall Chodorkovskij. Zur Tomographie
eines polit. Konflikts." In: Wohin steuert Russland
unter Putin? Der autoritäre Weg in die Demokratie. 2004;
"Russland kommt. Putins Staat – der Kampf um Macht u.
Modernisierung." 2005; Weltordnung ohne den Westen? 2018.)
ERNST, Konstantin Lvovich
II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIXa XIXb XIXc XX XXI XXII XXIII XXIV XXV XXVI (sowjet. u. russ.
Biowissenschaftler, TV- u. Filmproduzent, kremlnaher
TV-Moderator u. -manager, Regisseur, Drehbuchautor. Seit
1999 Intendant / Generaldirektor / CEO des russ. halbstaatl.
TV-Kanals "ORT" bzw. seit 2002 "1. Kanal". Sein
Ururgrossvater hiess Leo Ernst u. war ein dt. Maschinist,
der im Zusammenhang mit dem Bau der Eisenbahn Moskau-Nizhnij
Novgorod aus Deutschland in das Gouvernement Vladimir kam.
Er heiratete eine Russin u. wurde russifiziert. Konstantin
Ernst verbrachte seine Kindheit u. frühen Jahre in
Leningrad, wo sein Vater als anerkannter Biologe mit
bedeutender Stellung sich mit Tierhaltung, Genetik u.
Biotechnologie beschäftigte. Absolvent der Fakultät für
Zooingenieure der nach K.A. Timirjazev benannten Moskauer
Landwirtschaftsakademie u. der nach A.A. Zhdanov benannten
Biologie- u. Bodenfakultät der Leningrader
Staatsuniversität. Kandidat der Biowissenschaften mit einer
entsprechenden Dissertation in Biochemie. Nach dem
Studienabschluss arbeitete er in einem Leningrader
Forschungsinstitut u. beschäftigte sich mit Gentechnologie.
Ein Angebot für eine anschliessende zweijährige Ausbildung
an der University of Cambridge, UK, schlug er aus, denn er
beabsichtigte - zum Verdruss seines Kollegenumfelds -, seine
akadem. Laufbahn als Biologe, die er auf Drängen seines
Vaters eingeschlagen hatte, an den Nagel zu hängen, um
seinen Kindheitstraum, in der Film- u. Kinobranche
zu arbeiten, seine eigentl. Leidenschaft, zu verwirklichen.
Nach der Kündigung seiner Anstellung im Institut kehrte er
nach Moskau zurück, wo seine neue Wirkungsstätte zunächst
die kreative Produktionsvereinigung "Videofilm“ wurde, bei
der er 1988 mit seinem ersten Werk als Regisseur u.
Produzent "debüttierte" – dem Dokumentarfilm "Radio der
Ruhe“, der dem Leningrader Konzert der sowjet. Rockgruppe "Aquarium"
um s. Boris Grebenshchikov /II/ u. dem britischen Pop-Duo "Eurythmics" im Rahmen der Präsentation
des ersten US-amerikan. Albums Grebenshchikovs "Radio Silence" gewidmet war /II III/.
"Vzgljad" u. "Matador": Anschliessend stieg Ernst
beim populären TV-Programm "Vzgljad" /Blick/ ein, einem
Medienssymbol der Gorbachjovschen Perestrojka, das unter der Leitung
Anatolij Lysenkos im Zentralen Staats-TV u. -Rundfunk
der UdSSR als eine Art Politmagazin neuen Stils mit eigenen,
unabhängigen Recherchebeiträgen produziert wurde u. v.a. ein
jüngeres u. urbanes Publikum ansprach. Typische Themen von
"Vzgljad" waren Korruption in der KPdSU u. der
sowjet. Regierung, Afghanistankrieg u. der DIssident Andrej
Sakharov. Bei "Vzgljad" fungierte Ernst als Interviewer,
Drehbuchautor u. Regisseur. Er gehörte zu einer kleinen
Gruppe von Journalisten u. TV-Produzenten, die mit neuen
Inhalten, Stilen u. Techniken experimentierten. Sein erster
Beitrag war ein Interview mit der Chemikerin, Hochschullehrerin
u. Politikerin Nina Andreeva, wobei Ernst u. sein
Kollege Evgenij Dodolev vorgaben,
BBC-Korrespondenten zu sein. Darüber hinaus drehte Ernst
einen kurzen Spielfilm u. ein Musikvideo. 1989 schlug
Lysenko Ernst vor, mit der Arbeit an seiner eigenen
TV-Sendung zu beginnen. Die erste Ausgabe dieser
künstlerisch-journalist. Kultursendung mit dem Titel "Matador“ /II/ wurde Anfang Jan. 1991
ausgestrahlt. Die Sendung befasste sich hauptsächlich mit
dem Kino, der Kultur, Musik, Mode, Werbung u. mit
bedeutenden Ereignissen wie die Filmfestspiele von Venedig,
Pariser Modewoche, Sanfermines-Festlichkeiten in Pamplona,
aber auch mit dem Leben u. Werk des spanischen Couturiers
Paco Rabanne, dem Schöpfer der "Benetton"-Werbekampagnen
Oliviero Toscani, dem Chansonnier Serge Gainsbourg, der
Filmschauspielerin Marilyn Monroe u. den Regisseuren
Jean-Luc Godard, Wim Wenders u. Rainer Werner Fassbinder. In
der etwas schrägen Sendung lief Ernst mit schwarzer
Lederjacke, langer Mähne u. einem drahtlosen Mikrofon herum.
/Joshua Yaffa, Der Überlenskünstler, S. 56/ "Matador“
lief 1991-95 zunächst im 1. Programm der Zentralen TV, dann
in den Sendern "Ostankino“ u. "ORT", der nach der
Privatisierung vom Oligarchen s. Boris Berezovskij als
Hauptaktionär kontroliert wurde. Die letzte Ausgabe der
Sendung war dem Karneval von Venedig gewidmet. Inzwischen
wurden Ernst u. seine Kollegen von der schockierenden
Meldung getroffen, dass Vladislav Listev, ein ehem.
vertrauenshafter Mitarbeiter Ernsts von "Vzgljad" u.
Generaldirektor von "ORT", in Moskau von Unbekannten
ermordet wurde. In einem teilweise vertraulichen u. verbotenen Interview
des Journalisten Evgenij Levkovich mit Ernst von 2008,
das im April 2013 auf der Website des Magazins Snob / II III IV V VI VII VIII/ erschien u. in dem Ernst unter
ausgeschaltetem Mikrofon eine Reihe heikler Themen ansprach,
die von seinen eigenen Aktivitäten als CEO bis hin zur
Zensur in der TV reichten, antwortete Ernst auf die Frage
nach der Ermordung Vladislav Listevs, dass er trotz seiner
Abneigung gegenüber Boris Berezovskij nicht der Meinung sei,
dass er den Mord angeordnet hatte. Dieser habe mit Listevs
Entscheidung zusammengehängt, die Reklame im "1. Kanal" zu entfernen,
was einigen Werbeleuten gar nicht gefallen habe. Und er wisse auch, in welchen Kreisen die
Täter zu suchen seien. Nach der Ermordung Listevs habe
Ernst Sicherheitspersonal in Anspruch genommen, um das
Schicksal seines Vorgängers zu vermeiden. Zu Beginn seiner
Arbeit bei "ORT" habe jemand nachts auf seine Wohnung im 2.
Stock geschossen, wobei die Fensterscheibe in die Brüche
ging. Nach dem Ende der TV-Sendung brachte Ernst "Matador"
mit insgesamt etwa 25 Ausgaben bis Ende 1998 im Format des gleichnamigen
Hochglanzmagazins über Kultur u. Kunst neu auf den
Markt.
Produktionsleiter von "ORT", 1995-2001: Ernst selbst
sagte, dass er am Vorabend der Privatisierung von "ORT" von
Listev den Vorschlag der Position des stv. Generaldirektors
erhalten, ihn aber abgelehnt habe, weil er immer noch damit
rechnete, die TV aufzugeben u. sich dem Film zuzuwenden.
Nach Listevs Tod bot Berezovskij selbst, der Hauptaktionär
des Senders war, Ernst den Posten des Generaldirektors bzw.
Intendanten an, aber er verzichtete erneut darauf, denn er
hatte beim Filmstudio "Mosfilm“ eigene Pläne, wie er 20
Jahre später erklärte. Einige Monate später übernahm er dann
doch wenigstens die Stelle des Produktionsleiters, die im
Stab der "ORT"-Führung neu geschaffen worden war, u.
begründete seinen Entschluss mit dem Rückgang der Qualität
der TV-Produktion unter der neuen Führung. Als
Produktionsleiter erhielt Ernst die Möglichkeit, die
Programmpolitik von "ORT" zu bestimmen, u. begann mit einer
Umstrukturierung, die sich sowohl auf das Rundfunknetz als
auch auf die Beziehung des Senders zu TV-Programmanbietern
auswirkte. Als TV-Produzent lancierte Ernst 1995 mit 2
Kollegen das "Russ. Projekt", eine Reihe von
teilweise humorigen u. skurrilen Werbespots, die die erste
öffentl.-rechtliche Werbung innerhalb Russlands darstellten,
die nach dem Untergang der UdSSR in der TV aufgeschaltet
wurde. In diesen Jahren entwickelte Ernst zusammen mit s.
Leonid Parfjonov auch das Format der jeweils zu Neujahr
ausgestrahlten TV-Sendung "Starye pesni o glavnom" /Alte Lieder
über die Hauptsache/, eine Musikshow, deren Schauplatz eine
altsowjet. Kolchose war, in der bekannte SängerInnen wie s.
Lev Leshchenko, s. Filip Kirkorov, s. Igor Nikolaev,
Angelika Varum, s. Sofija Rotaru, s. Kristina Orbakaite,
Natasha Koroljova, s. Alla Pugachjova, s. Laima Vaikule,
Vladimir Presnjakov, s. Valerij Meladze u.a. populäre
Melodien der Sowjetzeit sangen u. später auch die
Popmusikkultur der Putin-Ära prägten. 1996 wurde Ernst
ordentliches Mitglied der Stiftung der Russ. TV-Akademie
"Fond ART" u. leitete in den folgenden 2 Jahren die von der
Akademie ins Leben gerufene "TEFI"-TV-Preisverleihung, wobei er
1998 selbst Gewinner dieser Auszeichnung in der Nominierung
"Beste Produktionsarbeit“ für sein Projekt "Alte Lieder über
die Hauptsache" wurde u. in den Jahren 2001, 2007, 2008-10
u. 2014 erneut mit einem "TEFI"-Preis ausgezeichnet werden
sollte.
Als Filmproduzent trat Ernst erstmals 1998 als
Co-Produzent von Aleksandr Rogozhkins Film "Blokpost" /Checkpoint/ u. von Denis
Evstigneevs Film "Mama“ in Erscheinung. Die Filme
erfuhren in Russland u. im Ausland einen grossen Erfolg,
erhielten günstige Rezensionen von Filmkritikern u.
Auszeichnungen auf russ. u. internationalen Filmfestivals.
Sie waren nicht für den Filmverleih bestimmt, sondern wurden
auf Videokassetten vertrieben, die von der im Okt. 1996
gegründeten Firma "ORT-Video" hergestellt wurden. In
Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den erwähnten Regisseuren
fungierte Ernst im Jahr 2000 als Produzent von Rogozhkins
neuem Film "Besonderheiten der Nationalen Jagd im
Winter“ u. 2002 als Co-Produzent von Evstigneevs neuem
Film "Lasst uns mit Liebe beschäftigen“, der
der erste russ. Film war, der sich mit den Themen Sex u.
Jugendkultur befasste. Ausserdem veröffentlichte Ernst in
den folgenden Jahren gemeinsam mit Anatolij Maksimov
mehrere kommerziell erfolgreiche Filme, die ursprünglich als
TV-Projekte konzipiert waren. Besondere Bedeutung erlangte
die Arbeit an dem erfolgreichen Thrillerfilm "Nochnoj Dozor" /Wächter der Nacht II/,
der 2004 nach dem gleichnamigen Roman /II/ des
populärsten
russ. Science-Fiction-
u. Fantasyautors der
Gegenwart Sergej Lukjanenko realisiert wurde u.
Ernst als Filmproduzent weithin bekannt machte. "Fox
Searchlight", eine US-Tochtergesellschaft von "20th Century
Fox", interessierte sich für den kommerziellen Erfolg des
Streifens, erwarb seine weltweiten Vertriebsrechte u.
Fortsetzungen für 4 Mln. USD u. zeigte ihn in über 40
Ländern. Der Film spielte 34 Mln. USD ein, davon 16 Mln. USD
in Russland. Im Herbst dieses Jahres nominierte die
"Nationale Akademie der Kinokünste u. -wissenschaften"
Russlands den Film für einen "Oscar" in der Kategorie
"Fremdsprachiger Film“. Als Hauptgründe für den Filmerfolg
nannten Marktteilnehmer die professionelle
Produktionsarbeit, eine für den russ. Filmmarkt beispiellose
Werbekampagne u. Informationsunterstützung durch den
TV-Sender "1. Kanal". Das im Herbst 2004 abgehaltene Forum
"Kino Expo" zeichnete Ernst als "Person des Jahres im
Filmgeschäft" aus, u. 2005 erhielten Ernst u. Maksimov als
Filmproduzenten den vom Magazin GQ jährlich vergebenen Preis
in der Nominierung "Entdeckung des Jahres". In der Presse
wurde "Wächter der Nacht" als „erster russ. Blockbuster“ u.
Wendepunkt in der Geschichte des russ. Kinos gefeiert. Im
Laufe mehrerer Jahre führte sein Erfolg zu einem deutlichen
Anstieg der Investitionen in die russ. Filmproduktion. Nach
einer Reihe von Kassenschlagern beteiligte sich Ernst an der
Arbeit an experimentellen Projekten wie dem Animations- oder
Zeichentrickfilm "Meine Liebe“ /II/ von Aleksandr Petrov, der 2008 für
einen "Oscar" nominiert wurde. 2011 erschien ein weiterer,
biograph. basierter Film von Ernst u. Maksimov über den
berühmten unkonventionellen sowjet. Barden Vladimir Vysockij /II/. Die Arbeit an dem Film dauerte 5
Jahre. Eine weitere „langfristige Konstruktion“ war das
russ. Historiendrama "Viking“ /II/, an dem Ernst u. Maksimov sogar 7
Jahre lang arbeiteten u. das schliesslich Ende 2016 Premiere
feierte.
Generaldirektor
/ CEO von "ORT" ab 1999 u. "1. Kanal" - ab 2002:
Nach dem Rücktritt Igor Shabdurasulovs, der "ORT" seit Okt.
1998 geleitet hatte, Anfang Sept. 1999, wurde der 38-jährige
Konstantin Ernst kommissarischer Direktor des
TV-Unternehmens, behielt aber den Posten des
Produktionsleiters. Auf Empfehlung oder Vorschlag u. mit
Unterstützung Shabdurasulovs sowie des Präsidenten RF s.
Boris Elcyn, Boris Berezovskijs u. des Kreml-Intimus s.
Valentin Jumashev ernannte die Aktionärsversammlung des
TV-Unternehmens am 6. Okt. 1999 Konstantin Ernst zum neuen
Intendanten / Generaldirektor / CEO von "ORT", wobei Ernst
bis Juli 2001 die Aufgaben des Regisseurs u. Produzenten
vereinte – Ernsts Nachfolger als Produktionsleiter wurde Aleksandr Fajfman. Im Interview mit
Evgenij Levkovich von 2008 behauptete Ernst, er habe "ORT"
1999 verlassen wollen, habe jedoch befürchtet, dass mit dem
Sender etwas Schlechtes geschehen könnte, wobei er
vermutlich die Rolle Berezovskijs meinte. Zum Zeitpunkt der
Ernennung Ernsts zum CEO kontrollierte Berezovskij in der
Tat noch die Informationspolitik des Senders über die
Direktion für Informationsprogramme, die ihm treu ergeben
war. Ende 1999 fiel Ernst u. seinem Team die seltene
u. verantwortungsvolle Aufgabe zu, die Rücktritts- u. Abschiedsrede des Präsidenten
RF Boris Elcyn u. die Neujahrsansprache seines designierten
Wunschnachfolgers V.V. Putin, der seit 9. Aug. MP RF
war, aufzuzeichnen u. um Mitternacht zu senden, wobei Ernst,
der von dieser Entwicklung völlig überrascht wurde, dafür zu
sorgen hatte, dass dieses gut gehütete Geheimnis nicht vor der
offiziellen Ausstrahlung publik wurde. /Yaffa 44-/ Im März
2000 wurde Putin, der in den 1990er Jahren seine Karriere
weitgehend unbemerkt von der Welt/Öffentlichkeit
vorangetrieben hatte, vom russ. Volk zum neuen Präsidenten RF
gewählt u. leistete den Amtseid im Mai. Mit Putin hatte quasi
das alte KGB in einem neuen Kleid des Autoritarismus die Macht
in Russland wieder übernommen - mit fatalen Folgen für die
Medien, die das schmutzige Handwerk, das Putin beim KGB
gelernt hatte, nun selbst anwenden sollten. Doch bald
änderte sich die Situation bei "ORT". Als sich im Aug. 2000
die Katastrophe des Untergangs des russ. U-Boots "Kursk"
ereignete, bei der "ORT" mit der Federführung Berezovskijs
die unbeholfene u. gleichgültige Haltung des Kremls u. v.a.
Putins selbst geisselte, wurde der Konflikt zwischen den
beiden Rivalen angeheizt. Putin, der Berezovskijs scharfe
Kritik als Informationskrieg gegen den Kreml u. ihn
persönlich auffasste, ging unverzüglich zum Gegenangriff
über, um mit Kritikern u. Andersdenkenden fertigzuwerden. In
dieser heiklen Situation übte Ernst quasi Verrat an seinem
Chef /osteuropa.ch/, indem er den Kreml-Funktiononären zu
verstehen gab, dass Berezovskij in diesem Fall die
Berichterstattung aus polit. Eigeninteressen manipuliere,
was wahrscheinlich auch zutraf. Nach diesem Vorfall u. dem
Beginn sich verschärfender Meinungsverschiedenheiten
zwischen dem widerspenstigen Geschäftsmann u. dem neuen
russ. Präsidenten V.V. Putin wurde Berezovskij der Einfluss
auf den TV-Sender entzogen; er wurde vom Kreml unter Druck
gesetzt u. musste seine "ORT"-Anteile an Putin-"Amigo" s.
Roman Abramovich verkaufen – ein Sender wie "ORT", der 98%
der russ. Haushalte erreichte, konnte unter keinen Umständen
aggressiven Kreml-Kritikern überlassen werden. Im
komplizierten Machtpoker zwischen Berezovskij u. Putin
musste sich Ernst für eine Seite entscheiden – er entschied
sich für den Kreml, denn er hatte die Wahl, mit Berezovskij
quasi unterzugehen oder dem Staat zu dienen. s. Aleksandr
Voloshin, damaliger Chef der Präsidialverwaltung RF, sagte
später, dass der Kreml Ernst Berezovskijs Einfluss entziehen
musste. /Yaffa 65/ Nun hatte Ernst selbst
schwierige Personalentscheidungen zu treffen.
In diesem Zusammenhang ist die "Affäre Dorenko" zu
erwähnen. Nach dem Untergang
des U-Boots "Kursk" reiste Starmoderator s.
Sergej Dorenko im Auftrag des "ORT" persönlich nach
Vidjaevo bei Murmansk, wo die hinterbliebenen Familien der
verunglückten U-Boot-Männer lebten. In der dortigen
Garnisonssiedlung filmte er ihre
heruntergekommenen Wohnungen, sprach mit den Witwen
u. Waisen u. interviewte Marineangehörige. Den
erschütternden Bericht präsentierte er den vermutlich
schockierten TV-Zuschauern in Russland. Es war Dorenkos
letzte Sendung bei "ORT". Seine Sendung wurde auf
Veranlassung des
"ORT"-Generaldirektors Konstantin Ernst abgesetzt
u. ersatzlos aus dem Programm gestrichen, während Dorenko
selbst Ende Jan. 2001, der offiziell als stv.
Generaldirektor geführt wurde, entlassen wurde. Obwohl
sich Ernst mehr für künstlerische Ästhetik als für polit.
Belange interessierte, wurde er automatisch in den Sog der
hohen Politik hineingezogen u. schloss sich wohl oder übel,
gern oder ungern, der Werbekampagne des Kremls zur
umfassenden Popularisierung Putins an, die v.a. mit
modernsten medialen Mitteln vorangetrieben werden sollte.
Dabei spielte in dieser Zeit auch, wie man weiss, der 2. Tschetschenienkrieg eine
unheilvolle Rolle, der im Aug. 1999 aussbrach u. dessen
Federführung unter formalem Elcyn-Dekret von russ. Seite
Putin übernahm, der sich als Bekämpfer des internationalen
Terrors profilieren wollte. Auf Ernsts Initiative hin
stimmte die Jahresversammlung der "ORT"-Aktionäre Ende Juli
2002 dafür, dem TV-Sender seinen historischen Namen "1. Kanal" zurückzugeben. Ernst
begründete die Namensänderung damit, dass der rechtliche
Status des Senders nicht mit dem Konzept des
"öffentlich-rechtlichen" Fernsehens übereinstimmte. Das
Recht an der Marke "ORT" verblieb beim "1. Kanal". Als CEO
des "1. Kanals" entwickelte sich Konstantin Ernst zu einem
der engagiertesten u. einflussreichsten Machern in der
TV-Landschaft Russlands u. gilt als Innovator bei der
Einführung neuer Sendeformate für ein gesamtnationales
TV-Publikum, das unter den komplizierten Bedingungen eines
von Jahr zu Jahr repressiver sich gebärdenden Putin-Regimes
entsprechend unterhalten u. polit.-propagandist. bearbeitet
werden sollte, wobei Ernst neben Kritik auch internationale
Anerkennung erntete. Statt eines abgebrühten
Wirtschaftsmagnaten vom alten Schlage eines Boris
Berezovskij kontrollierte jetzt ein ewig jugendlich u.
unsowjetisch wirkendes postmodernes u. v.a. ehrgeiziges
Film- u. TV-Talent mit einem Flair für Kultiges, Schräges u.
Unkonventionelles wie Konstantin Ernst, Jahrgang 1961, einen
grossen Teil des russ. Fernsehens.
Hauptsendeformate
u. Informationspolitik im Dienst des Kremls u. Vladimir
Putins:
Höchste Priorität hatte neben dem weitgehend nach
US-amerikan. u. europäischen, also westlichen Normen u.
Standards modernisierten Unterhaltungsprogramm, das Ernst für
den "1. Kanal" neu entwickelte, die Ausgestaltung der
Informationssendungen im Dienste des Kremls u. der Politik des
Präsidenten RF Vladimir Putin, der einer zarenähnlichen
Kunstfigur mit Kultstatus glich, deren Existenz als immer
wieder alternativlos zu wählender Langzeitpräsident Russlands
medial aufgepumpt werden sollte. Diesem Zweck diente z.B. die
2001 erstmals ausgestrahlte Sendung "Direkte Linie zu Vladimir Putin" /II/, eine nationale TV-Megafragestunde
mit etwa 1000 Teilnehmern, deren Ideengeber Ernst war. Bei
dieser pompösen u. für westliche Zuschauer leicht lächerlich
wirkenden Audienzshow ging/geht es darum, Putin
als allwissenden Staatslenker darzustellen, der für alle
aktuellen Fragen, die den BürgerInnen unter den Nägeln
brennen, zuständig u. kompetent scheint, wobei alle
Störfaktoren, etwa kritische Fragen zu tabuisierten Themen,
auszuschalten waren, um den perfekten Ruf des omnipotenten
Staatschefs, auf den er offenbar so angewiesen schien, zu
gewährleisten. Damit verschwamm die Grenze zwischen
faktenbasierter Information u. trügerischer Staatspropaganda,
die immer stärker in den Vordergrund rückte. Putin konnte
sagen was er wollte, es galt als sakrosankt, war nicht
unabhängig verifizierbar u. wurde auch von niemandem
öffentlich hinterfragt. Die weitgehend gleichgeschaltete
Presse wiederkäute die Aussagen u. Erläuterungen Putins
eifrig, die den Lesern als massgebliche u. verbindliche
Orientierung verkauft wurden. Andererseits wurden
Live-Debatten mit Putin anlässlich von wiederkehrenden
Wahlkampagnen systematisch vermieden, da Putin selbst von
öffentlichen, demokratisch geführten Debatten mit polit.
Konkurrenten nichts hielt u. die Risiken für einen Eklat wohl
zu gross waren. Auch sollten sich Informationspannen wie
bei der "Kursk"-Katastrophe nicht mehr wiederholen. Über alle
polit. heiklen Themen u. Tragödien, die sich im Land
ereigneten u. die russ. Regierung in ein schlechtes Licht
rücken könnten, sollte mit äusserster Vorsicht u. kontrolliert
berichtet werden. Auch die äusserst tragischen Fälle der
Geiselnahmen
im Moskauer Dubrovka-Theater von
2002 u. von Beslan 2004 drohten für Regierung u.
Medien zum Supergau der Berichterstattung zu werden u. zwangen
die Staatssender zur Verbreitung von manipulierten u.
Falschmeldungen. Anstatt über die internationales Aufsehen
erregende Tragödie von Beslan vor Ort aktuell u.
wahrheitsgetreu zu berichten, sendete der "1. Kanal" einen
US-amerikan. Actionfilm. Ernsts Rechtfertigung dieses
Vorgehens illustrierte sein kurioses Verständnis von
Informationspolitik auf bizarre Weise, nach dem die Aufgabe,
die Bevölkerung mit aktuellen informationen zu versorgen,
zweitrangig sei.
Zeremonien u. Paraden: Ernst schlug auch vor, die
Amtseinführungszeremonie des Präsidenten RF vom
sowjetmodernist. Staatl. Kremlpalast in den
zeremoniellen Andreassaal des Grossen Kremlpalastes
zu verlegen. Unter Ernsts Leitung wurden die Amtseinführungen Putins noch
aufwendiger inszeniert als früher. Ernst profilierte sich
auch als Sendeleiter grosser zentraler staatl.
Veranstaltungen wie des "Tags der Kriegsseeflotte" in St.
Petersburg u. der 9.-Mai-Siegesparade in Moskau, bei
denen ein riesiger Aufwand von Personal u. Technik betrieben
wurde. Selbst ein Journalist von The New Yorker musste
Ernsts Leistung anerkennen, diese Anlässe bei
Live-Übertragungen in sensationelle Shows zu verwandeln, die
sonst nur noch bei grossen Sportanlässen üblich waren. Um
die Parade zu Ehren des "Tags der Kriegsseeflotte" von 2017
in St. Petersburg zu filmen, wurden ca. 70 TV-Kameras
eingesetzt, die auf den Dächern wichtiger Sehenswürdigkeiten
der Stadt, auf den Festungen von Kronstadt, auf Kränen,
Kabeln, Drohnen, Hubschraubern u. Motorbooten angebracht
waren, um die spektakulären Manöver von Schiffen u.
Flugzeugen festzuhalten u. mit entsprechend imperialer
Marschmusikbegleitung in der TV zu übertragen, wobei die
Marinesoldaten Präsident Putin huldigten, der an sie eine
jubilierende Grussbotschaft ausrichtete. Für diese Leistung
erhielt Ernst den Preis der Regierung RF im Bereich
Massenmedien.
Weitere Initiativen: 1999-2005 war Ernst CEO des
russ. Plattenlabels "REAL Records", das auf der Website von
"ORT-Records" begründet wurde. In diesem Zeitraum wurden
unter diesem Label u. seinem Unterlabel "Iceberg Music" über
300 Alben veröffentlicht. Seit vielen Jahren ist oder war
Ernst Vorsitzender der Jury der Oberliga von KVN, eine der beliebtesten Sendungen
des "1. Kanals". 2002 startete der Sender seinen eigenen
Dienst zur Messung der Einschaltquoten mithilfe der CATI-Technologie, die die
Informationen über die TV-Nutzung mittels
computerunterstützter Telefonumfragen sammelt, u. stellte
2005 die Zusammenarbeit mit dem früheren Anbieter "TNS
Russia" ein. Darüber hinaus begann sich Ernst auch im
Bereich der TV-Wohltätigkeitsorganisation zu engagieren,
indem er ein neues, entsprechendes TV-Format schuf, wobei
die ersten grossen Projekte erst 2011 gemeinsam mit
"Rusfond" lanciert wurden. Einen Meilenstein für den Sender
bedeutete der 10-stündige Spendenmarathon, bei dem
Moderatoren u. TV-Stars Geld für die Flutopfer des Amurgebiets von 2013
sammelten, wobei über 575 Mln. Rubel zusammenkamen.
Weitere Sendeformate: 2003 erhielt Ernst mit
anderen den "Staatspreis RF 2002" /II/ für die TV-Sendung "Formel der Macht", in der autoritäre
u. mit Putin befreundete Staatslenker fremder Staaten wie G.
Aliev, R. Erdoğan
u. S. Berlusconi von Mikhail Gusman, der seit 1999 stv.
Generaldirektor TASS war, interviewt wurden. Einer der
beachtlichsten Erfolge Ernsts war das Konzept der Abend- u.
Nachtsendung, das es ab 2008 ermöglichte, ein junges
Publikum für die TV zu gewinnen, das auf das Internet
umgestiegen war. Die Verwestlichung bzw. Amerikanisierung
der entsprechenden Sendeformate war bei der radikalen
Umstellung der Programme unübersehbar. Zur abendlichen
Hauptsendezeit wurden ferner neue Humorshows eingeführt, in
denen die Hauptthemen der vergangenen Woche ironisch
diskutiert wurden. Die Sendung war sehr beliebt, gewann 4x
in Folge den "TEFI"-Award, wurde aber eingestellt, nachdem 2
Moderatoren 2014 zu "TNT" wechselten. Eine weitere
bedeutende TV-Neuerung der Jahre ab 2008 war die nächtliche
Krimiserie "Gorodskie pizhony“ /Stadtgauner II/, die an ein junges gebildetes
Publikum aus Grossstädten gerichtet war. Dabei wurde auch
die Werbestrategie an ein jüngeres Publikum angepasst, wobei
die Altersgrenze von 18 auf 14 heruntergesetzt wurde. In
diesem Rahmen übersetzte u. veröffentlichte der Sender auch
TV-Serien u. -filme, die auf der Grundlage von Suchanfragen,
Downloads u. Bloggerinteressen ausgewählt wurden. Im
Nachtprogramm des "1. Kanals" wurden so v.a. US-amerikan.
TV-Serien wie The Office, Californication, Dirty Sexy Money, Boardwalk Empire, House of Cards, Mad Men, Transporter, Fargo oder englische wie Sherlock u.a. sowie Dokumentationen
über Künstler u. Kultur gezeigt, für die der "1. Kanal" die
Senderechte erhielt, wobei hohe Einschaltquoten erzielt
wurden. 2013 wurde im "1. Kanal" auch "Ottepel" /Tauwetter II III IV/ gesendet, eine genuin russ.
Drama-TV-Serie mit 12 Episoden u. einer Länge von 10,5 Std.,
bei der die Helden sowjet. Filmemacher waren, die in den
1960er Jahren unter Nikita Khrushchjov lebten u. arbeiteten.
Die Serie befasste sich mit individueller Verantwortung,
Konzessionen u. Unterdrückung künstlerischer Begabung in
einem autoritären System. Sowohl Zuschauer wie Kritiker
waren gleichermassen begeistert, so dass "Tauwetter" alle
TV-Preise u. Auszeichnungen des Jahres auf sich zog u. 2015
auch den Preis der Regierung RF bezog.
Zwei schwierige, lange unaufgearbeitete u. teilweise
tabuisierte Themen, denen sich der "1. Kanal" wiederholt
widmete, waren mit Beiträgen über den legendären sowjet.
u. russ. Dichter u. Schriftsteller Evgenij Evtushenko,
der 2017 in den USA verstarb /II IIIa IIIb IV Va Vb Vc Vd Ve VI VII/, u. das Nazimassaker an
den Juden von Babyn Jar
in der Ukraine
/II III IV V/ vertreten.
Eurovision Song Contest ESC 2009 in Moskau: Im
Aug. 2008 wurde Konstantin Ernst zum stv. Vorsitzenden des
Organisationskomitees des Eurovision-Gesangswettbewerbs ESC
ernannt, der 2009 in Moskau ausgetragen werden sollte. Im
Rahmen des Wettbewerbs wurde der "1. Kanal" zur Plattform
für die Auswahl des Vertreters Russlands beim ESC u.
fungierte als Sender der Teilnehmerauftritte. Die
Zuschauerzahl des "ESC 2009" belief sich in Europa auf
einen Rekordwert von 122 Mln. Laut "TNS Russia" wurde die
Live-Übertragung des Finals in Russland von 55,5% aller
TV-Zuschauer an diesem Tag verfolgt, einschliesslich der
Altersgruppe von 14-59 Jahren. Der "ESC 2009" wurde von
dem gebürtigen Weissrussen Alexander Rybak gewonnen, der
Norwegen vertrat. Ernsts Teilnahme an der Organisation des
Wettbewerbs wurde mit einer Ehrenurkunde des Präsidenten
RF s. Dmitrij Medvedev gewürdigt, während die Sendung
selbst 5 "TEFI"-Preise erhielt. Wenige Tage vor Ernsts 50.
Geburstag Anfang Feb. 2011 erschien MP Putin zu einem
Gratulationsbesuch in der Sendezentrale, um dem Team für
seine Leistung zu danken. 2012 führte Ernst nach dem
Muster anderer Länder die russ. Version der
Gesangscastingshow "Golos / The Voice" ein, von der 2023
die 11. Staffel ausgestrahlt wurde. 2014 begann der
Sender, Gelder, die er während der bezahlten
SMS-Abstimmung in der Show "Golos" einnahm, an
gemeinnützige Stiftungen zu überweisen. 2015 gratulierte
MP Dmitrij Medvedev dem "1. Kanal" mit Verweis insbes. auf
die Wohltätigkeitsaktionen des Senders. Im folgenden Jahr
wurde Ernst mit dem Allruss. Preis im Bereich
Philanthropie bei Print- u. elektron. Medien
ausgezeichnet. Als Generaldirektor seines TV-Senders
beteiligte sich Ernst ferner im Rahmen gesellschaftlicher
Aktivitäten an den Tätigkeiten öffentlicher u.
branchenspezifischer Verbände, Organisationen u. Komitees
u. liess sich überall als allgemein anerkanntes
Mediengenie bewundern, würdigen u. feiern /s. russ. Wikipedia/.
Eröffnungs- u. Abschlusszeremonie der 22. Olympischen
Winterspiele von Sotschi 2014: 2014 akzeptierte Ernst
als kreativer Produzent u. Drehbuchautor auch die
Herausforderungen für die Durchführung der Eröffnungs- u. Abschlusszeremonie der 22. Olympischen Winterspiele in Sotschi,
Russlands, die je nach Standpunkt mit Bewunderung oder
Verachtung als Spiele Putins apostrophiert wurden. Ernst
übernahm die volle Kontrolle über den Arbeitsprozess u. alle
damit verbundenen Risiken. Unter seiner Leitung arbeiteten
12 Tsd. Personen aus verschiedenen Ländern an der
Eröffnungsaufführung, die die prunkvollste, technisch
komplexeste u. teuerste aller Zeiten werden sollte. Putin,
der sein Land zu neuer Grösse führen wollte, war allgemein
dafür bekannt, dass er alle bisherigen Rekorde überbieten
wollte, die bisher bekannt waren, auch in der Sportwelt.
Sotschi sollte der Welt vor Augen führen, wie mächtig u.
perfekt Russland sei /II/. Selbst einigen
Regierungsfunktionären soll die ganze Installation zu
kompliziert erschienen sein. Sie wollten einiges
vereinfachen u. Ernst musste Putin persönlich überzeugen, um
seine Ideen u. Pläne durchsetzen zu können. Speziell für die
Eröffnungsfeier wurden Änderungen an der aufwendigen
Einrichtung des Olympiastadions in Sotschi
vorgenommen, das neu entworfen werden musste. Auf Drängen
des Internationalen Olympischen Komitees musste jedoch auf
eine Schweigeminute verzichtet werden, die Ernst zur
Veranschaulichung der Jahre des Grossen Vaterländ. Kriegs
einbauen wollte. Ernst verfolgte den Ablauf der
Eröffnungshow aus einem Kontrollzentrum hoch über dem
Stadion von Sotschi u. sah zu, wie sich seine Träume
verwirklichten. Selbst s. Aleksej Navalnyj war von der
Eröffnungsfeier begeistert, die er „ausgezeichnet" fand.
Noch im März überreichte der Präsident RF V.V. Putin
Konstantin Ernst den "Verdienstorden für das Vaterland II.
Grades". Doch mit der russ. Realität hatte die
Olympiade von Sotschi wenig zu tun. u. von Frieden wurde bald
auf Krieg umgestellt. Noch im selben Monat leitete Putin nach
dem Regierungsumsturz in der Ukraine überstürzt die
völkerrechtswidrige Annexion der Krym als geopolit. Racheakt
ein, während etwas später im Donbass sogar bewaffnete Kämpfe
zwischen proruss. Separatisten u. dem ukrain. Militär
ausbrachen. Bei der halben Menschheit lösten diese Ereignisse
v.a. im Westen einen Schock aus u. führten zu Verurteilungen,
Sanktionen u. Versuchen, Russland zu isolieren. Der
Propagandaeffekt von Sotschi war verpufft, während die russ.
Medien in einen hysterischen u. kriegstreiberischen Tonfall
verfielen. Der langjährige Krieg Russlands gegen die Ukraine u.
im Grunde auch gegen den Westen hatte begonnen. /Yaffa
92-96/
Russ.
Des/Informationspolitik u. -stil während des
Ukrainekriegs ab 2014: Auch der "1. Kanal" wurde
unverzüglich von der veränderten Stimmung in Russland erfasst.
Der Tonfall gegenüber der Ukraine änderte sich schlagartig,
auch wenn er etwas weniger aggressiv, hysterisch u.
martialisch war als bei anderen halb/staatlichen TV-Sendern
Russlands, die informationspolitisch jetzt noch mehr
gleichgeschaltet wurden. Dabei leistete sich der Sender
verschiedene grobe Fehltritte in der Berichterstattung, die
aus medienethischer Sicht höchst bedenklich waren. Die
Newssendungen u. Talkshows hatten sogleich das Narrativ vom „faschistischen
Putsch" in Kiev zu verbreiten, wobei gleichzeitig die Polemik
gegen den Westen u. die NATO verstärkt wurde. Auch Ernst u.
sein Team, wollten sie als staatl. Medienleute überleben,
hatten wohl keine andere Chance, als den vom Kreml
entfesselten Informationskrieg alternativlos mitzutragen, denn
in Russland mussten jetzt alle Medien am gleichen Strick
ziehen. Ein Mitarbeiter der Eröffnungsfeier von Sotschi sagte,
Ernst u. sein Team seien von dieser Wende, mit der man nicht
gerechnet hatte, erschüttert worden, zumal Ernst nach den
Olympischen Spielen von einer neuen glanzvollen Ära Russlands
geträumt habe. Aber Ernst, dem das Magazin GQ
im Sept. 2014 den Titel "Person des Jahres“ verlieh,
konnte vor der Öffentlichkeit jetzt weder die Nerven noch sein
Gesicht verlieren u. musste die entsprechende Haltung
annehmen, die von ihm verlangt wurde; dennoch liess er
gelegentlich mit einer verhaltenen Bemerkung durchblicken, wie
sehr sein olympischer Ruhm durch die Krymannexion u. die
nachfolgenden Ereignisse in der Ukraine überschattet wurde.
Aber Ernst haderte beileibe nicht so sehr mit dem polit.
Stimmungswechsel, in den sein Land taumelte. Im Gegenteil: Er
teilte Putins inszenierte Verärgerung über die angeblich
unfaire Behandlung Russlands durch den Westen, v.a. die USA,
seit dem Ende der Sowjetunion u. hielt die revanchist.
Kampagne des Kremls für eine gerechte u. notwendige Sache. Die
Zeit der Abrechnung war gekommen, in der Russland die nach dem
Kalten Krieg entstandene Ordnung umkehren musste, um Russland
seine historische Bestimmung als Grossmacht zurückzugeben. Das
glaubte Ernst ebenso wie Putin selbst, die Kremlführung u.
Millionen von Russen u. Russinnen. /Yaffa 96-98/ Zwei
höchst problematische Episoden sind dabei hervorzuheben:
"Kreuzigung in Slavjansk/Slovjansk": Auf dem
vorläufigen Höhepunkt der antiukrain. Hysterie sendete der
"1. Kanal" eine abenteuerliche Geschichte aus Slavjansk/Slovjansk im
ostukrain. Donbass, wo angeblich ein dreijähriger russ.
Junge durch Kreuzigung von ukrain. „Faschisten"
hingerichtet wurde. Im April 2014 wurde die Stadt während des bewaffneten
Überfalls von der „Volksmiliz des Donbass“ besetzt u.
zum Teil der selbsternannten "Volksrepublik Doneck" erklärt.
Es stellte sich aber bald heraus, dass diese blutrünstige
Story nicht der Wahrheit entsprach, sondern von der Mutter
des Kindes selbst erfunden wurde; denn bei späteren
Recherchen durch Journalisten von Novaja gazeta u.
"Dozhd"-TV konnte vor Ort niemand die Echtheit des Vorfalls
bestätigen. Julija Tschumakova, die Leiterin des südruss.
Büros des "1. Kanals", die das skandalöse Video aufgenommen
hatte, weigerte sich kategorisch, mit Journalisten der Novaja
gazeta zu kommunizieren.
Als Reaktion auf diese Geschichte warfen russ.
Politiker u. Journalisten dem "1. Kanal"
Propaganda u.
Verletzung der Berufsethik vor; selbst einige kremltreue
Medien kritisierten den Sender. Kremlsprecher s. Dmitrij Peskov verlautete, dass er über
keine Informationen verfüge, die die Angaben über
den Tod des Jungen bestätigten, er habe jedoch keinen
Grund, die Richtigkeit der Angaben zu bezweifeln, die er
aus den dortigen selbstproklamierten Republiken erhielt –
welche das genau waren, ist unklar –, u. dass er sich
nicht vorstellen könne, dass es sich dabei um Fake News
handle. Ernst, der sich gerade im Urlaub in
Spanien befand, äusserte sich öffentlich nicht näher über
die Umstände, die dazu führten, dass dieser peinliche
Beitrag über den Sender ging. Von Joshua Yaffa zu diesem
Fall befragt, versuchte Ernst davon abzulenken, tischte
Ausreden auf u. wies die Tat der Mutter des "gekreuzigten"
Jungen zu, die diese Geschichte zum Besten gab. Diese, eine
gewisse Galina Pyshnjak, war die Frau eines angeblichen
Angehörigen der örtlichen Polizei u. Mitglieds der
Girkin/Strelkov-Einheit der Donbass-Volksmilizen –
die angebliche Augenzeugin wurde somit als eine russ.
"Schauspielerin" entlarvt. Eine öffizielle jurist.
Untersuchung oder Aufarbeitung der Entstehung der
Falschmeldung fand nicht statt. Obwohl die Angelegenheit
zweifellos beschämend für Ernst war, konnte er sich als
Intendant des Senders gemäss den Spielregeln nicht offen von
dem Fall distanzieren oder sich zu dieser kruden
Desinformation ehrlich bekennen, um einen öffentl.
Gesichtsverlust zu vermeiden. /Yaffa 101-4/
Abschuss von MH17: Ein anderes noch viel
betrüblicheres Kapitel betrifft die entsprechende
Berichterstattung seitens des "1. Kanals", als Mitte Juli
2014 über dem Donbass in der Ostukraine ein malaysisches Passagierflugzeug, das auf
dem Weg von den Niederlanden nach Kuala Lumpur war, von
proruss. Separatisten abgeschossen wurde, wobei alle
298 Insassen, vorwiegend niederländ. Staatsangehörige, ums
Leben kamen. Die russ. TV-Sender einschl. "1. Kanal"
stritten getreu der Diktion des Kremls vehement ab, dass
Russland für diese Katastrophe verantwortlich sei, u.
verbreiteten obsessiv alle möglichen absurden
Gegenversionen, die aus russ. Sicht den Ablauf der
Katastrophe erklären sollten. Aber nach stichhaltigen
Recherchen des Westens wurden sie alle sehr bald u.
ausnahmslos als dreiste Fälschungen u. Lügen entlarvt, die
vom Kreml absichtlich als Verteidigungsstrategie erfunden u.
in die Welt gesetzt wurden, damit Russland die eigene Schuld
nicht zugeben musste. Das Verkehrsflugzeug wurde eindeutig
von einer höchstwahrscheinlich aus Russland in die Ukraine
geschafften russ. Buk-Rakete getroffen, die unter dem
Kommando proruss. Separatisten auf von ihnen kontrolliertem
Gebiet der Ukraine möglicherweise versehentlich auf die
Boeing 777-200ER
abgefeuert wurde, die für ein ukrain. Militärflugzeug
gehalten wurde. Von Yaffa befragt, warum sein Sender so
leicht widerlegbare Falschmeldungen verbreiten konnte,
flüchtete sich Ernst in die fadenscheinige Erklärung, dass
wir alle nur Menschen seien u. Fehler machten, wobei er der
Ansicht war, dass der niederländ. Untersuchungsbericht
„unprofessionell" sei /Yaffa 103-7/ – auch diese Auffassung
war dem Arsenal der russ. Gegenpropaganda entlehnt. "Ukrinform" brachte diese Aussagen auf
den eigenen Seiten u. machte damit deutlich, dass Ernst im
Dez. 2019 im Prinzip gestanden habe,
dass der entsprechende Beitrag seines Senders über den
Abschuss des Fluges MH17 durch ein ukrain.
Kampfflugzeug ein Fehler u. eine grobe Fälschung
war.
Auf dem Höhepunkt der total aufgeheizten Atmosphäre, die
jetzt rund um die Uhr vom russ. Staatsfernsehen ausging,
startete der "1. Kanal" die Sendung "Vremja pokazhet" /Die Zeit wird es
zeigen/, eine schrille u. oft ruchlose Debatten-Talkshow
zu aktuellen Themen, in der es immer wieder darum ging,
wie der Westen versuche, Russland in die Knie zu zwingen
oder zumindest ungerecht zu behandeln. Die lebhhafte
Diskussion, bei der ein paar Aliberale u. 1 oder 2
Ausländer, meist US-Amerikaner, die in Moskau leben u.
etwas Russisch verstehen, rhetorisch aneinander geraten,
wird von einem Moderatorenpaar geleitet, das keinen Hehl
aus seiner Verachtung von Liberalen u. Ausländern macht,
die von russ. Seite als Bösewichte, Trottel oder nützliche
Idioten hingestellt, missbraucht u. entsprechend behandelt
werden. Dabei ist es Un/Sitte, dem Gegner das Wort
augenblicklich abzuschneiden, sobald er die Spielregeln
aushebeln u. etwas Kritisches sagen will, das nicht ins
Konzept der Sendung passt, während in dieser
Schmierenkomödie am Ende immer dem Pro-Kreml-Lager das
letzte Worte erteilt wird, um alles andere zu übertönen.
Wer sein Wissen nur aus diesem Programm bezieht, muss zur
Überzeugung gelangen, dass Russland das Opfer einer
geostrateg. Verschwörung unter der Führung der USA u.
Europas ist u. die heilige Pflicht hat, sich dagegen zu
verteidigen. Anlässlich des US-Präsidentschaftswahlkampfs
s. Donald Trumps von 2016 liess sich der "1. Kanal"
leidenschaftlich auf die Unterstützung des skandalösen
Kandidaten ein, der als Putin- u. Russland-Freund markiert
wurde, ohne vorauszuspüren, dass dies schief gehen könnte.
Mit fatalen Konsequenzen, denn tatsächlich endete die
Trump-Episode für die Russen im totalen Desaster. Die
anfängliche Euphorie für Trump nahm bald ab u. wich der
Ernüchterung, dem Spott u. der Feindseligkeit, als
Russland von Seiten der USA mit dem ernsthaften Vorwurf
konfrontiert wurde, sich mit illegitimen Mitteln in die
US-Wahlen zu Gunsten Trumps eingemischt zu haben. Die neue
"Liebes"-Beziehung zu den USA erhielt viele Risse, als
sich herausstellte, dass Präsident Trump nicht in der Lage
war, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben u. das
Verhältnis zu Moskau nach den Vorstellungen des Kremls zu
gestalten. So erwies sich Trump zur gewaltigen
Entttäuschung der Russen für Russland schliesslich als
nutzlos. Die russ. Medien waren somit quasi in die Falle
der enormen Widerstandskraft des polit. Systems der USA
getappt, die sie sträflich unterschätzt hatten – eine
Blamage u. ein Gesichtsverlust, den die Russen kaum
verkrafteten. Als Präsidentschaftskandidat s. Joe Biden
verkündete, dass es für Russland besser wäre, wenn Putin
auf eine 3. Amtszeit verzichten würde, war das Verhältnis
zwischen den beiden Ländern vollends zerstört u. der alte
Hass Russlands auf Amerika wieder voll entbrannt. Auch
sollte von den russ. Journalisten u. den Talkshow-Gästen
der Name des wichtigsten russ. Oppositionsführers s.
Aleksej Navalnyj nicht in den Mund genommen werden, so wie
es Putin vormachte, der seinen Erzfeind mit Verachtung „diesen
Figuranten", „diesen Herrn" u.ä. nannte. Auch Ernst selbst
hatte kein Interesse, zum polit. Aufstieg Navalnyjs
beizutragen. Bei den Massenprotesten der
Oppositionsbewegung in Russland nährte der Sender die
Vorstellung, dass diese von ausländ. Kräften angezettelt
worden seien, i.e.L. vom US-Aussenministerium selbst.
/Yaffa 109-16/ Mit s. Artjom Shejnin, einem
ehem. Afghanistankrieg-Fallschirmspringer, leistete sich
der "1. Kanal" einen besonders obszönen, enthemmten u.
skandalösen Moderator, der nicht davor zurückschreckt,
sich auch physisch auf seine erschrockenen Talkshow-Gäste
zu stürzen. Privat, so die Erfahrung Yaffas in einem
Gespräch mit ihm, führte sich Shejnin aber nur halb so
wild auf wie in der TV-Arena, so dass er mit seinem
rabiaten Doppelgänger in der Show kaum etwas gemein hatte.
Bei Shejnin scheint es sich um einen professionellen
Zyniker zu handeln. Seine Rolle als Moderator der Sendung
versteht er, als Informationskrieger im Konflikt zwischen
Russland u. dem Westen aufzutreten u. einen „Boxkampf" mit
den gegnerischen Talkshow-Gästen zu bieten –
dies letztlich wohl v.a. mit der Absicht, die
Einschaltquote zu erhöhen. /Yaffa 116-21/
2017 wurde Ernst von Variety,
einem US-Branchenblatt der Unterhaltungsindustrie,
in die Liste der 500 einflussreichsten Menschen in
der Welt des Showbusiness aufgenommen.
Finanzielle Probleme: Im Dez. 2019
veröffentlichte das investigative Online-Newsportal Meduza
einen Artikel über die finanziellen Probleme
von "Kanal 1". Unter Bezugnahme auf zahlreiche
Gesprächspartner aus der TV-Branche erläuterte die Autorin
die Umstände, die zum Schuldenanstieg des wichtigsten
TV-Senders des Landes beitrugen. So ging aus dem Artikel hervor, dass
ausser der spärlichenen Subventionierung des halbstaatl.
"1. Kanals" durch den Staat, der die Verpflichtung
vermieden haben soll, 2 gesamtruss. TV-Kanäle gleichzeitig
zu finanzieren, Ernsts Sender vom Einbruch des Werbemarkts
u. vom Rubelabsturz infolge der internationalen Sanktionen
wegen der Krymannexion durch die RF hart getroffen worden
sei. Bis 2014 habe der "1. Kanal" sich keine grossen
Gedanken über die Ausgaben gemacht u. habe viel Geld in
die Programme investiert. Die erzwungenen Einsparungen
hätten sich nach 2014 stärker auf die Einschaltquoten u.
Werbeeinnahmen ausgewirkt als erwartet.
Verdacht in Bezug auf Schwarzgelder, Geldwäsche u.
Verstrickung in Korruption: Nach Angaben des
"Internationalen Netzwerks Investigativer Journalisten",
das 2021 die "Pandora"-Papers /II/ veröffentlichte, ist Ernst seit
2014 Begünstigter von 47% des auf den Britischen
Jungferninseln registrierten Offshore-Unternehmens "Moscow
Dvorik Ltd." Die Gesellschaft "Haldis Corporation", die im
Besitz von Konstantin Ernst ist, soll 16 Mln. USD von der
zypriot. "RCB Bank" geliehen haben, von der einer der
Haupteigentümer die russ. Staatsbank "VTB" ist. 2014
veranstaltete das Moskauer Bürgermeisteramt eine Auktion
zum Verkauf von 39 Kinos in den Wohnbezirken Moskaus, die
laut "Radio Liberty" ohne echte Ausschreibung u. zu einem
Mindestpreis von 9,6 Mrd. Rubel verkauft wurden. Der
Käufer war das Unternehmen "Edisonenergo", das über eine
zypriot. Firma im Besitz von "Moscow Dvorik Ltd." war.
"Edisonenergo" begann mit dem Abriss dieser Kinos aus der
Sowjetzeit u. dem Bau von Einkaufszentren an ihrer Stelle.
BBC-Quellen gehen davon aus, dass Ernst diese
Offshore-Beteiligung als Belohnung für seine erfolgreiche
Arbeit bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi
erhielt. Ernst bestätigte die Teilnahme an dem Projekt u.
beteuerte, dass er nichts Illegales getan habe, wobei er
die Behauptung zurückwies, dass die Erlangung einer
Offshore-Beteiligung mit Aktivitäten bei den Olympischen
Spielen zusammenhängt.
2022 wurden zwei Leiter des mit dem "1. Kanal" verbundenen
TV-Senders "Az Art TV" wegen Unterschlagung von 500 Mln.
Rubel des für die Ausrichtung der FIFA-Fussball-WM 2018 in
Russland vorgesehenen Betrags festgenommen.
Medienberichten zufolge verliess Aleksandr Fajfman, der
stv. Generaldirektor des "1. Kanals", der an den
Vorbereitungen der WM beteiligt war, Russland am Vorabend
der Einleitung des entsprechenden Strafverfahrens, bei dem
Ernst nicht ins Verhör einbezogen wurde. Einige
Veröffentlichungen stellten einen direkten Zusammenhang
zwischen der erwähnten Unterschlagung u. dem Abzug von
Geldern für die WM durch Offshore-Firmen her.
Russ. Krieg
in der Ukraine ab 2022: Konstantin Ernst selbst
äusserte seine Haltung zu dieser von Putin am 24. Feb. 2022 angeordneten
Militäroperation gegen die Ukraine nicht öffentlich,
obwohl seine 27 Jahre jüngere Ehefrau Sofja Pavlovna Ernst, geb. Zaika
/II III/, ehem. Modell u. Schauspielerin,
Anfang März dieses Jahres in sozialen Netzwerken ihr Mitgefühl
für die Zivilbevölkerung der Ukraine zum Ausdruck brachte.
Dennoch geriet Ernst unter polit. Druck, als Mitglieder der
Arbeitsgruppe zur Untersuchung antiruss. Aktivitäten im
Kulturbereich der Staatsduma RF bei ihrer ersten Sitzung von
Anfang Aug. 2022 erklärten, dass Ernst für die Äusserungen
einzelner Moderatoren verantwortlich sei, die die russ.
Sonderoperation in der Ukraine nicht
unterstützten. Der Abgeordnete der Partei "Gerechtes Russland“
s. Dmitrij Kuznecov sagte, dass Ernst selbst zurücktreten
sollte, wenn diese Moderatoren sich nicht für ihre Aussagen
entschuldigten u. nicht entlassen würden. I.e.L. ging es um
die Moderatoren Ivan Urgant u. Aleksandra Vasileva. Mit Ivan Urgant /II/ konnte sich Ernst gerade noch einen
Moderatoren leisten, der in seiner Abendsendung mit
polit.-satir. Bemerkungen immer wieder die Aufmerksamkeit des
TV-Publikums auf sich zieht.
Am 14. März 2022 geschah etwas Ungewöhnliches: Als s.
Ekaterina Andreeva gerade ihre Abendsendung im "1. Kanal" moderierte,
wurde sie von einer TV-Kollegin namens s. Marina
Ovsjannikova unterbrochen, die mit einem
hochgehaltenen Plakat hinter ihrem Rücken gegen den
Krieg Russlands in der Ukraine protestierte u. damit
internationales Aufsehen erregte.
Kritik: Es
ist offensichtlich, dass, Konstantin Ernst ohne den
"1. Kanal" seine Arbeit u. Träume in dieser Art nicht hätte
verwirklichen können. Es ist auch möglich, dass er persönlich
den Krieg seines Kremlherrn gegen die Ukraine, wie er sich
entwickelte, nicht gutheisst, wobei er sich in diesem Konflikt
neutral zu verhalten schien u. dazu keine Stellung nehmen
wollte. Dennoch muss sich ein halb/staatl. Medienmanager wie
Konstantin Ernst als Hauptverantwortlicher der
Sendeprogramme des "1. Kanals" den Vorwurf gefallen
lassen, eine vom Kreml gesteuerte u. manipulierte
"öffentlich-rechltiche" TV zu betreiben, deren Hauptaufgabe es
ist, die Putin-Herrschaft zu verklären sowie den Westen u. die
Russland umgebenden postsowjet. Republiken, die Moskau nicht
parieren, zu verteufeln, anstatt die anstehenden Probleme
Russlands auf die Traktandenliste zu setzen u. sie in der
Öffentlichkeit wahrheitsgetreu, objektiv u. transparent zu
diskutieren. Ernst, der zwar gleichzeitig als Täter u.
Opfer des Putin-Systems betrachtet werden kann, ist somit
mit Absicht u. Vorsatz getätigte systematische Verfälschung
u. Unterschlagung der Wahrheit in schwerem Mass u. Täuschung
der Öffentlichkeit in grossem Stil u. im Dienst eines
schwerkriminellen polit. Systems vorzuwerfen. Mit
seiner den Kremlvorgaben angepassten Informations- u.
Sendepolitik machte sich Ernst zum Komplizen des autoritären
u. illiberalen Unrechtsregimes Putins mit dem Risiko, in einem
rechtsstaatl. Strafprozess, sollte er dereinst stattfinden,
angeklagt zu werden oder zumindest als Zeuge aussagen zu
müssen. /osteuropa.ch/
Vom "Forum Freies Russland", das die sog. "Putin-Liste" führt, wird Konstantin
Ernst Mitwirkung an der Organisation aggressiver Propaganda
des Putin-Regimes vorgeworfen. Die Hauptgrundlage für diesen
Vorwurf sei seine offizielle Stellung als Chef einer der
grössten russ. Medienstrukturen, die seit vielen Jahren aktiv
für Propagandazwecke genutzt werde. Ernst habe seine hohe
Autorität im professionellen Medienumfeld bewusst gegen
absolute Loyalität gegenüber dem Putin-Regime getauscht u. sei
einer seiner Nutzniesser geworden. Ernst sei ein wichtiger
Akteur bei der Operation gewesen, Boris Berezovskij die
Kontrolle über "ORT" zu entziehen, während Vladimir Putin im
Jahr 2000 seine Macht stärkte u. den Sender anschliessend in
eines der wichtigsten Instrumente der Staatspropaganda in
Russland verwandelte. Ernst habe diese Entwicklung
bereitwillig mitgetragen. Seine Aufgabe sei es gewesen,
mitzuhelfen, das autoritäre Machtsystem in Russland zu
etablieren u. zu stärken, die chauvinist. Ideologie des
Putin-Regimes zu verbreiten u. die öffentl. Meinung zu
manipulieren u. von inneren Problemen abzulenken. Ernsts
Sender habe einen bedeutenden Beitrag zur Anwendung von
Aggression des russ. Regimes auf internationaler Ebene u. zu
Verbrechen gegen die Menschlichkeit geleistet, darunter in
Fällen wie dem Krieg mit Georgien, der Besetzung u. Annexion
der Krym u. der Militäroperationen im Südosten der Ukraine
sowie beim Abschuss des MH17-Flugzeugs u. nicht zuletzt bei
der Ermordung von s. Aleksandr Litvinenko u. bei einem
Attentat auf die s. Skripals in England. Usw. Ein indirekter
Beweis für Ernsts Mitschuld an den Verbrechen des
Putin-Regimes sei der Erhalt zahlreicher höchster staatlicher
Auszeichnungen, darunter des Ordens "Für Verdienste um
das Vaterland“ - Grad IV, III u. II u. des Ordens der
Freundschaft - "für die objektive Berichterstattung über die
Ereignisse während der bewaffneten Aggression Georgiens gegen
Südossetien im Aug. 2008". Ferner erhielt Ernst Dankesbriefe
u. Preise der Regierung RF u. des Präsidenten RF sowie die
Medaille für "Teilnehmer der Militäroperation in
Syrien“ - für hohe Professionalität u. Objektivität der
Berichterstattung über den Militäreinsatz in der Arabischen
Republik Syrien“. 2023 wurde Ernst im Kreml von Putin persönlich zum 2. Mal
nach 2003 der "Staatspreis
RF" überreicht. Er erhielt ihn für 2022 im
Bereich Literatur u. Kunst zusammen mit dem Regisseur Klim Shipenko u. der Schauspielerin Julija Peresild für den Film "Vyzov" /Herausforderung II/, der weltweit der erste Spielfilm
war, der an Bord der Internationalen Raumstation ISS gedreht
wurde. Putin nannte den Film „ein einzigartiges Ereignis für
das Weltkino“. "Vyzov“ war ein Gemeinschaftsprojekt des "1.
Kanals", von "Glavkosmos", "Roskosmos" sowie der Studios
"Yellow, Black and White". 6 Wochen lang wurde "Vyzov" von
über 5 Mln. Zuschauern gesehen. wobei der Streifen in Russland
teilweise Spott auslöste.
Sanktionen:
2014 befasste sich der Sicherheitsdienst der Ukraine SBU mit
dem Antrag des Nationalrats der Ukraine für TV u. Rundfunk, 49
vorgeschlagenen Mitarbeitern von russ. Medien, die Einreise in
die Ukraine zu verbieten, wobei der Petition bezügl. 35
Personen, einschliessl. Konstantin Ernsts, entsprochen wurde.
2016 wurde Ernst zusammen mit anderen Chefs grosser russ.
Staats- u. kremlfreundlicher Medien im Auftrag des Präsidenten
der Ukraine s. Petro Poroshenko auf die Liste der
personenbezogenen Sanktionen gesetzt, die ein Verbot der
Einreise in das Hoheitsgebiet der Ukraine vorsahen. Ernst
wurde wegen „Handlungen beschuldigt, die eine reale u./oder
potenzielle Bedrohung der nationalen Interessen, der
nationalen Sicherheit, Souveränität u. territorialen
Integrität der Ukraine darstellen, zu terrorist. Aktivitäten
beitragen u./oder die Rechte u. Freiheiten von Menschen u.
Bürgern sowie die Interessen der Gesellschaft verletzen u. die
zur Besetzung des Territoriums, zur Enteignung oder
Einschränkung der Eigentumsrechte führen u. die vollständige
Umsetzung der Rechte u. Freiheiten der Bürger der Ukraine
behindern.“ Durch ein Dekret des Präsidenten der Ukraine s.
Volodymyr Zelenskyj vom Juni 2021 unterliegt Ernst den
Sanktionen der Ukraine. Dort heisst es u.a.: „Konstantin Ernst
ist ... ausserdem einer der führenden Geschäftsleute in
Wirtschaftszweigen, die eine bedeutende Einnahmequelle für die
russ. Regierung darstellen, die für die Annexion der Krym u.
die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich ist. ..."
Mitte März 2022 verhängte die EU im Zusammenhang mit dem
von Putin im Feb. 2022 entfesselten russ. Angriffskrieg gegen die Ukraine
entsprechende Sanktionen gegen Konstantin Ernst, „weil er
antiukrain. u. antiamerikan. Propaganda der russ. Behörden
organisiert u. verbreitet“. Die EU stellte fest, dass Ernst
CEO des "1. Kanals" ist, eines der grössten russ.
Medienunternehmen, das von den russ. Behörden seit vielen
Jahren für Propagandazwecke genutzt wird. Von Kanada wurde
Ernst wegen „Mitschuld an der ungerechtfertigten Invasion
Russlands in der Ukraine“ auf die Sanktionsliste bezügl. der
„Eliten u. engen Mitarbeiter des Regimes“ gesetzt. Im Mai 2022
setzte UK/GB Ernst auf seine Sanktionsliste mit der
Feststellung, dass der „1. Kanal nach der Invasion Russlands
in der Ukraine seine polit. Programme durch kremlfreundliche
u. interventionistische Ideen erheblich intensivierte“. Aus
ähnlichen Gründen wurde Ernst auf die Sanktionsliste der
Schweiz gesetzt. Seit Dez. 2022 figuriert er auch auf der
Sanktionsliste Neuseelands, seit Feb. 2023 auf derjenigen
Australiens, wobei ihm die Einreise in diese Länder verboten
wurde u. die dort befindlichen Vermögenswerte eingefroren
wurden.
Charakteristik
u. Schlussfolgerungen von Joshua Yaffa: In seinem
lesenswerten Beitrag über Konstantin Ernst im engl. 2020 / dt. 2021 erschienenen Buch
"Die Überlebenskünstler", dt.
S. 43-123, versuchte der US-amerikan. Autor u.
Russlandkenner Joshua
Yaffa, die Leistungen des
prominenten russ. „Zeremonienmeisters"
einzuordnen – er hatte ihn wohl nicht ganz
zufällig im Rahmen seiner einschlägigen Persönlichkeits- u.
Fallstudien über den Typus des post/sowjet. "verschlagenen" Menschen gemäss Jurij Levadas Definition ausgewählt.
Konstantin Ernst ist einer von relativ seltenen Fällen, die
bei der TV langfristig eigene kreative Visionen verwirklichen
u. die eigene Sicht der Dinge gestalten konnten, wobei er sich
letztlich aber dem Staat unterordnet habe. Er gehöre zu den
Etatisten, russ. gosudarstvenniki, zur Führungsschicht
Russlands, als welcher er sich immer als Teil seines Landes
verstanden habe. Obwohl Ernst sich als einen "liberal
gesinnten Patrioten" bezeichne/t habe/, habe ein TV-Produzent,
der Ernst seit Jahren kennt, gesagt, dass man Ernst nicht für
einen Liberalen halten könne, aber er sei mit Sicherheit ein
Intellektueller. Unter der Führung Ernsts vertritt der "1.
Kanal" die Linie des Kremls pflichtschuldig u. lässt keine
Kritik an der Staatsspitze zu. Aber dank des ästhetischen
Gefühls Ernsts sei der "1. Kanal" professioneller u.
zurückhaltender als andere Sender wie RTR oder NTV. Unter den
komplizierten Bedingungen des Putin-Systems sei Ernst deshalb
so gut in seinem Job, weil er in der Lage sei, die polit.
Schwankungen u. Stimmungsumschwünge an der Staatsspitze zu
erspüren, wie sie sonst niemand anderes mitbekomme, da Ernst
in täglichem Kontakt mit mehreren Regierungsvertretern stehe.
Ernst selbst habe sehr gut zu unterscheiden gelernt, was die
Herrschenden wünschen u. was nicht, was möglich u. was zu
vermeiden sei. Er scheue Provokateure u. Provokationen, für
die er keine Verantwortung übernehmen wolle. Laut der Moskauer
Medienkritikerin Arina Borodina katzbuckle Ernst zwar
nicht vor der Macht, aber er sei ein Putinist u. seine
Loyalität gegenüber Putin sei echt. In künstlerischer Hinsicht
sei in Russland niemand ausser Ernst in der Lage, den Kreml
mit der entsprechenden Pracht u. Opulenz in TV-Szene zu setzen
wie der Kreml es wünsche. Ernsts Natur sei ambivalent. Er
beherrsche die Sprache sowohl des besessenen Cineasten ebenso
sicher wie die des autoritären Staatsministers u. er wisse
immer, wie er den Eindruck erwecken kann, einem bestimmten
Kreis zuzugehören, habe ein mit Ernst befreundeter Produzent
gesagt. Wie Ernst gegenüber Yaffa im persönl. Gespräch
einräumte, werde den Zuschauern des "1. Kanals" ein
unvollständiges Bild der Welt vermittelt, was jedoch letzlich
keine Rolle spiele. Die Leute würden es selbst herausfinden,
wenn sie etwas Bestimmtes interessiere. Bei seinem Sender
entscheide Ernst persönlich, wo die Grenze zwischen Wichtigem
u. weniger Wichtigem verlaufe. Die Diskussion rund um die
MH17-Katastrophe habe aber die wahre Problematik des
Verhältnisses Ernsts zu den Medien gezeigt: Aufgrund seines
relativistischen Wahrnehmungsmusters bezügl. der Wahrheit u.
seiner Erfahrung mit der sowjet. Presse halte er die westl.
Presse für gleichermassen verlogen wie die russische. Es sei
schwierig, Ernsts Schaffen insgesamt angemessen zu bewerten,
denn man müsste dabei die verschiedenen Bereiche voneinander
trennnen. Die Grenze zwischen Kunstengagement u. Propaganda
lasse sich nicht eindeutig ziehen. Ernst habe in seiner
Doppelrolle als Medienfunktionär - Intendant u. Propagandist -
herausragende Fähigkeiten bewiesen, aber letztlich sei er ein
Geschöpf des heutigen Russland. Ernsts Sturz wurde schon
mehrmals prophezeit. Dennoch habe er sich halten können u.
stehe nach wie vor auf dem Höhepunkt seiner Macht. Laut
Parfjonov habe Ernst schon immer ein Trendsetter für die
Massen sein wollen, der davon besessen sei, Millionen von
Menschen zu beeinflussen u. zu verändern. Deshalb sei er beim
"1. Kanal" geblieben.
PS Im Feb. 2023 wurde durch einen gutinformierten russ. Blogger im "Telegram"-Kanal das Gerücht publik, Konstantin Ernst leide an
einer Depression u. habe einen Rücktritt als Generaldirektor
des "1. Kanals" in Betracht gezogen. Die meisten
Businessprojekte des "1. Kanals" seien abgesetzt worden, der
Sender sei praktisch aus den Teleratings verschwunden u. habe
70% seiner Einnahmen eingebüsst. Sadalskij sagte, der Kreml habe Ernsts
Ausstiegsversuch mit der Begründung gestoppt, niemand könne
jetzt das Schiff verlassen.)
ESTEMIROVA, Natalja
Khusainovna II
III IV V (gew. russ.-tschetschen.
Historikerin, Journalistin u. Menschenrechtsaktivistin.
Ihr Vater, Khusejn Estemirov, ein Tschetschene, wurde in
der Stalinzeit als Kind zusammen mit seiner Familie aus
Tschetschenien nach Kasachstan deportiert. In den 1950er
Jahren durften die Tschetschenen Kasachstan verlassen;
Khusejn Estemirov heiratete eine Russin aus dem Gebiet
Sverdlovsk u. lebte mit ihr in der Stadt Kamyshlov im
Ural, wo Natalja geboren wurde. Absolventin der Fakultät
für Geschichte der Universität Groznyj, Tschetschenien.
Bis 1998 arbeitete sie als Geschichtslehrerin in Groznyj
u. kämpfte als Gewerkschaftsaktivistin für Gerechtigkeit,
danach begann sie sich mit Menschenrechten u. journalist.
Aktivitäten zu beschäftigen. Ab 2000 war sie Mitarbeiterin
der Vertretung der Menschenrechtsgesellschaft "Memorial" in Groznyj. Während der
„Anti-Terror-Operation“ Russlands in Tschetschenien
dokumentierte sie Menschenrechtsverletzungen, also im Kern
Kriegsverbrechen u. Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Als Mitglied der Kommission für die Kontrolle der
Haftbedingungen in Haftanstalten wehrte sie sich gegen
manipulierte Strafverfahren u. Folterpraktiken u. führte
Ermittlungen zu Entführungen u. aussergerichtlichen
Hinrichtungen durch. Für ihre Arbeit, die die tschetschen.
Führung in Wut versetzte, wurde Estemirova von
verschiedenen europäischen Instanzen ausgezeichnet: Vom
schwedischen Parlament, von der Europäischen Volkspartei -
Europ. Demokraten u. der Nobel Women's Initiative.
Estemirova war auch die erste tschetschen. Frau, die sich
öffentlich für tschetschen.
LGBT-Personen aussprach; diese werden in
Tschetschenien unter dem Kadyrov-Regime diskriminiert,
unterdrückt u. verfolgt.
Ermordung: Eine
der letzten Mitteilungen Natalja Estemirovas war, dass die
Leute des Tschetschenienführers s. Ramzan Kadyrov Menschen
entführten u. öffentlich hinrichteten – wahrscheinlich
stand diese Nachricht in
Zusammenhang mit der von ihr durchgeführten Recherche über
die Entführung von Menschen durch Mitarbeiter der
Abteilung für innere Angelegenheiten des Rayons Kurchaloj.
Diese Enthüllung habe die Führung der Republik
Tschetschenien u. insbes. Ramzan Kadyrov selbst in Zorn
versetzt u. brachte das Fass wohl zum Überlaufen. Laut
Tatjana Lokshina, Leiterin des Moskauer Büros von "Human
Rights Watch", wurde Natalja Estemirova am 15. Juli 2009
gegen 8.30 Uhr in der Nähe ihres Wohnhauses in Groznyj
entführt. Zeugen wollen gesehen haben, wie Estemirova in
der Strasse in Groznyj, wo sie wohnte, in ein Auto
gestossen wurde. Ihre Menschenrechtskollegen schlugen
Alarm, als sie nicht zu einem vorher vereinbarten Treffen
erschien. Nach Angaben des Pressesprechers des
Ermittlungskomitees der Staatsanwaltschaft RF Vladimir
Markin wurde am Nachmittag dieses Tages die Leiche einer
Frau mit Schusswunden an Kopf u. Brust in einem Waldgürtel
nahe der Autobahn im Bezirk Nazran in Inguschetien
gefunden. In ihrer Tasche befanden sich Dokumente, die die
Leiche Natalja Estemirovas als diese Person auswiesen. Am
nächsten Tag fand in Groznyj eine Abschiedszeremonie für
Natalja Estemirova statt, an der 100-500 Personen
teilnahmen. Danach wurde Estemirova im Dorf Ishkhoj-Jurt
im Rayon Gudermes in Tschetschenien beigesetzt.
Reaktionen:
s. Oleg Orlov, Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft
"Memorial", warf dem tschetschen. Oberhaupt u.
berüchtigten Putin-Komplizen vor, die
Menschenrechtsaktivistin bedroht u. vom Amt der
Vorsitzenden des Gesellschaftl. Rats von Groznyj entfernt
zu haben. In einer offiziellen Erklärung von "Memorial"
hiess es u.a., dass in Russland Staatsterror herrsche
u. man über die Morde in u. ausserhalb Tschetscheniens
informiert sei. Wer in Tschetschenien es wage, die
Wahrheit zu sagen u. die Behörden zu kritisieren, werde
getötet. Ramzan Kadyrov habe die Arbeit der
Menschenrechtsaktivisten in der Republik unmöglich
gemacht; er betrachte die Menschenrechtsverteidiger als
„Feinde", die
„in Tschetschenien
keinen Platz haben, wenn sie einen schlechten Einfluss auf
das tschetschen. Volk haben". Diejenigen, die Natalja
Estemirova getötet haben, hätten den Fluss
wahrheitsgemässer Informationen aus Tschetschenien stoppen
wollen. Laut dem Chefredaktor der Novaja
gazeta, s.
Dmitrij Muratov, handelte es sich um ein polit. Attentat.
Die Aussenminister Frankreichs, Bernard Kouchner, u.
Schwedens, Carl Bildt, verurteilten die Ermordung der
Menschenrechtlerin u. verlangten, dass alles getan werde,
um die Mörder zu finden. Auch der Nationale Sicherheitsrat
der USA forderte in einer Erklärung die Identifizierung u.
Bestrafung der Mörder. Laut seiner Pressesprecherin
äusserte auch der damalige Präsident RF s. Dmitrij
Medvedev „seine Empörung über diesen Mord u. wies s.
Aleksandr Bastrykin, den Leiter des Ermittlungskomitees
der Staatsanwaltschaft RF an, alle notwendigen Massnahmen
zur Untersuchung des Mordes zu ergreifen.“ Medvedev
brachte die Ermordung Estemirovas mit ihren
Menschenrechtsaktivitäten in Verbindung. Der tschetschen.
Republikschef Ramzan Kadyrov selbst bezeichnete den Mord
an Estemirova als „ungeheuerlich“ u. versprach, dass er
die Suche nach den Mördern persönlich überwachen werde.
Kadyrov wies aber die Behauptungen Oleg Orlovs kategorisch
zurück, rief ihn persönlich an u. sagte ihm, dass er „sich
schämen werde", wenn sich herausstellt, dass seine
Behauptungen unwahr sind. Er sei weder Staatsanwalt
noch Ermittlungsbeamter, um solche Aussagen zu machen.
2009 wurde Estemirova posthum mit dem Menschenrechtspreis
der "Moskauer Helsinki-Gruppe" ausgezeichnet. In den
folgenden Jahren fanden in Russland u. anderen Ländern
Gedenkveranstaltungen statt.
Ermittlungen:
Unmittelbar nach der Ermordung Estemirovas wurden 2
entsprechende Strafverfahren wegen Entführung u. Mord
eingeleitet, sowohl in Tschetschenien als auch in
Inguschetien. Aber die Ermittlungen kamen nie richtig
voran. Kollegen der ermordeten Menschenrechtlerin –
Mitarbeiter von "Memorial", FIDH u. Journalisten der
Novaja gazeta –
präsentierten Mitte Juli 2011 in Moskau den Bericht "Zwei Jahre nach der Ermordung von
Natalja Estemirova: Die Ermittlungen sind auf dem
falschen Weg“ /II II/. Gleichzeitig wurde von Seiten
des Ermittlungskomitees RF gemeldet, dass
die Ermittlung von der Beteiligung eines gewissen Alkhazur
Bashaev, s.Z. Rekrutierer von Rebellen, u.
anderer Mitglieder der Bande um Islam Uspakhadzhiev
ausgehe.
Der Befehl, Estemirova zu töten, sei von s.
Doku Umarov, dem legendären Führer des "Kaukas.
Emirats", ausgegangen. Die Ermittler vermuteten bzw. kamen
zum Schluss, dass das Motiv für dieses Verbrechen Rache
für Estemirovas Veröffentlichungen in den Medien über die
Rekrutierung von Rebellen durch Bashaev u. den Angriff auf
die Familie eines Moskauer Geschäftsmanns sowie die
Diskreditierung der staatl. Behörden der Tschetschen.
Republik sei, wie es in der Erklärung des
Ermittlungskomitees hiess. Bashaev wurde gemäss Art. 208
Teil 2 a, c, d StGB RF wegen "Teilnahme an einer illegalen
bewaffneten Formation“, Art. 126 Teil 2, c, g wegen
"Entführung“, Art. 105 Teil 2 wegen "Mordes“ u. Art. 222
Teil 2 wegen "Illegalen Waffenhandels“ angeklagt.
Nach Angaben der Ermittler kam Bashaev am Morgen des 15.
Juli 2009 zusammen mit anderen Mitgliedern der erwähnten
Bande zu Estemirovas Haus in Groznyj, wartete, bis die
Menschenrechtlerin den Eingang verliess, entführte sie u.
brachte sie nach Inguschetien, wo Estemirova noch am
selben Tag in der Nähe des Dorfes Gazi-Jurt oder Ali-Jurt
im Bezirk Nazran getötet wurde. Der Mann, der sich
vermutlich in Frankreich versteckte, wurde zur
Verhaftung ausgeschrieben u. auf die internationale
Fahndungsliste gesetzt. Wie später berichtet wurde, sei
Bashaev bereits im Nov. 2009 bei einer Sonderoperation getötet
worden. Während Aleksandr Cherkasov, Leiter von
"Memorial“, Mitte Juli 2013 sagte, dass die Ermittlungen
inzwischen wohl eingestellt worden seien u. sich
behördenseits niemand mehr um die Ermordung Estemirovas
sorge, meldete das Ermittlungskomitee, dass die Ermittlungen noch andauerten, d.h. bis
Mitte Aug. 2013 verlängert worden seien. Im
Strafverfahren seien über 1000 Zeugen vernommen, über 80
forensische Untersuchungen durchgeführt, über 380
Anweisungen u. Anfragen an Strafverfolgungsbehörden u.
Menschenrechtsorganisationen gesendet u. ausgeführt. Es
scheint,
dass für die Generalstaatsanwaltschaft RF der Fall der
Ermordung Estemirovas aufgeklärt u. quasi erledigt war,
denn die staatl. Behörden hatten vermutlich kein Interesse
mehr, dieses heisse Eisen länger anzurühren.
Menschenrechtsaktivisten vermuten, dass die Spuren des
Verbrechens bis in die höchsten polit. Kreise
Tschetscheniens u. Russlands führen.
Zeit nach der Ermordung Estemirovas:
Wie Medien berichteten, habe das
Menschenrechtsbüro "Memorial“, in dem Natalja Estemirova
arbeitete, unmittelbar nach ihrer Ermordung die Arbeit in
Groznyj eingestellt. Aber Ende 2009 habe es den Betrieb
wieder aufgenommen. Einer der Initiatoren war s. Ojub
Titiev, ein Kollege Estemirovas. Dieser wurde 2018 in
Groznyj festgenommen u. später wegen Drogenbesitzes
verurteilt. Menschenrechtsaktivisten erklärten, die Drogen
seien Titiev untergeschoben worden, während er sich selbst
als nicht schuldig bekannte. Nach seiner Haftentlaassung
sollte er im Moskauer Büro von "Memorial“ arbeiten. Titiev
erzählte dem US-amerikan. TV-Newskanal "Present Time", wie
die Tschetschenen den Mord an Natalja Estemirova vor 10
Jahren wahrnahmen. Jedermann habe in Tschetschenien u.
Russland verstanden, dass Estemirova aufgrund ihrer
Menschenrechtsaktivitäten getötet wurde u. man habe keine
Zweifel, dass die Zentralbehörden im Kreml dafür
verantwortlich seien. 2010 wurde in Oslo das "Natalja
Estemirova-Dokumentationszentrums" gegründet /II III/. Im Juli 2016, am 7. Jahrestag
der Ermordung Estemirovas, hielten 10 Personen Einzeldemonstrationen vor dem
Ermittlungskomitee in Moskau ab u. forderten, dass die
eigentlichen Täter gefasst u. vor Gericht gestellt werden.
Zu den Teilnehmern der Aktion gehörten Vertreter von
"Amnesty International", des "Komitees zur Verhütung von
Folter" u. des
Menschenrechtszentrums "Memorial". Die Aktivisten hielten
Plakate mit der Aufschrift „Wer hat Natalja Estemirova
getötet?“ in der Hand. Das Ziel der Aktion sei gewesen,
die russ. Behörden an ein ungelöstes Verbrechen zu
erinnern. Wie Kavkazskij uzel in seinem Bericht hinzufügte, seien
Passanten befragt worden, die an den Streikposten
vorbeigingen, wobei die meisten von ihnen, die die Plakate
lasen, sich geweigert hätten, einen Kommentar abzugeben,
mit dem Hinweis, dass sie nichts über Estemirova wüssten.
Ein Passant habe Estemirova dennoch als „heldenhafte Frau“
beschrieben, während ein anderer gesagt habe, dass er von
seinen Freunden aus Tschetschenien wisse, dass diese
früher Angst vor den Bundeskräften einerseits u. den
Rebellen andererseits gehabt hätten, während sie sich
jetzt vor dem „örtlichen Zaren u. seinem Gefolge“
fürchteten. Im Juli 2021 veröffentlichte "Memorial Deutschland" ein Memorandum,
in dem die Autoren festhielten, dass sie nicht an die
offizielle Version des Ermittlungskomitees RF über das
Verbrechen glaubten, u. sich beschwerten, dass nach dem
erwähnten "Memorial"-Bericht von 2011 10 Jahre vergangen
sind, ohne dass die Drahtzieher, Organisatoren u.
Ausführenden dieses polit. Mordes gefunden
wurden. Für die Autoren des Memorandums war
offensichtlich, dass Mitarbeiter der tschetschen.
Sicherheitsstrukturen dieses Verbrechen begangen hatten. Im
Juli 2023 wurden die Kenntnisse zum Fall Natalja
Estemirova von Kavkazskij uzel noch einmal
zusammengefasst.
Schwester
u. Tochter Estemirovas: Svetlana Estemirova, die
in Ekaterinburg lebende Schwester der Ermordeten,
reichte 2011 beim EGMR Beschwerde gegen Russland ein.
Ende Aug. 2021 fällte der EGMR ein Urteil im
Zusammenhang mit der Ermordung Natalja Estemirovas: Das
Gericht stellte einen Verstoss im Hinblick auf das
Fehlen einer ordnungsgemässen Untersuchung fest. Die
Anschuldigung, dass Estemirova von Vertretern des
Staates entführt wurde u. dass der Staat an ihrer
Ermordung beteiligt war, wurde vom Gericht jedoch als
unbewiesen angesehen.
Tochter:
Die Verstorbene, deren Ehemann vor langer Zeit getötet
worden sein soll, hinterliess eine 15-jährige Tochter, Lana
Sajdaminovna Estemirova,
die als Minderjährige Vollwaise wurde. Unmittelbar nach
der Beerdigung ihrer Mutter verliess Lana Tschetschenien
u. ging später nach Grossbritannien, wo sie ein Internat
in Oxford besuchte u. anschliessend ein Studium an der
London School of Economics and Politics im Fach
internationale Beziehungen absolvierte. Sie ist
verheiratet u. als Mitarbeiterin für die Stiftung "Justice
for Journalists" tätig. Anfang
2018 sprach sie zusammen mit Oleg Orlov, dem ehem.
Vorsitzenden von "Memorial", im britischen Parlament vor
u. beschrieb die Menschenrechtsverletzungen in
Tschetschenien. In diesem Jahr gab Lana ein Interview
für das US-amerikan. WebzineThe
Daily Beast /II/, in dem sie sagte, dass Putin ein Monster geschaffen habe,
das alle seine Kritiker zerstöre u. eine Atmosphäre völligen Gehorsams
schaffe, so dass nur Putin diese Ungerechtigkeit stoppen
könne. In einem Interview vom Juli 2019 mit "Radio Svoboda" erzählte sie von der Drohung
Kadyrovs gegen ihre Mutter wie folgt: „.... 2008 wurde
sie von Ramzan Kadyrov selbst bedroht. Irgendwie rief er
sie zu einem Treffen, kam u. schrie sie an. Er sagte zu
ihr: "Denk an deine Tochter, denk an deine Familie! Was
machst du?!“ Da ihre Mutter ihr davon zwar nichts
erzählt habe, habe sie es als 14-jähriges Kind
wahrscheinlich dennoch irgendwie mitbekommen. Es sei ihr
aber klar geworden, wie ernst alles war, denn wenn das
Oberhaupt der Republik ihre Mutter bedrohte, sei das
eine sehr ernste Sache. Ausserdem meinte sie, dass die
Mörder ihrer Mutter höchstwahrscheinlich nicht gefunden
werden, solange Putin u. Kadyrov an der Macht sind.
Es sei klar, dass alle Verbrechen wie Entführungen,
Säuberungen u. Ermordungen in Tschetschenien von sehr
hochrangigen Personen begangen wurden. Das Volk
Tschetscheniens werde von den Behörden u. dem
Kadyrov-Regime so weit wie möglich eingeschüchtert. Dies
sei eine beispiellose Periode in der Geschichte des
Landes. Tschetschenien sei ein Ort, an dem das Gesetz
überhaupt nicht funktioniere, es gebe nur ein Gesetz –
Kadyrovs Gesetz – gemäss einem Zitat von Oleg Orlov von
"Memorial". Unter diesen Bedingungen müssten die Menschen
des Landes zumindest die Möglichkeit haben, sich an
jemanden zu wenden, der ihnen zuhört, sie beschützt u.
ihnen Hoffnung geben kann. Wenn Menschenrechtsaktivisten
mit allen Mitteln aus dem Land vertrieben werden, hätten
seine Menschen keine Hoffnung auf Gerechtigkeit.
In
einem anderen Interview vom Juli 2019 mit dem
russischsprachigen US-amerikan. TV-Newskanal
"Nastojashee vremja"
/II/ sagte Lana Estemirova, dass sie
die Entführung ihrer Mutter an diesem 15. Juli 2009
nicht mitbekommen habe, denn sie habe in der Wohnung
geschlafen. Aber an diesem Tag, an dem ihre Mutter getötet
wurde, habe sie aufgehört, Tschetschenien als ihre Heimat
zu betrachten u. erkannt, dass sie ihr Leben woanders
aufbauen würde. Danach befragt, wen Lana für den oder die
Schuldigen am Tod ihrer Mutter halte, antwortete sie: „Ich
werde im Moment auf niemanden mit dem Finger zeigen, weil
alles Spekulation ist. Aber ich möchte einfach sagen, dass
jeder daran schuld ist: Putin, Kadyrov u. dieses ganze
System, das sie in den letzten 20 Jahren aufgebaut haben.
Es ist ein System, in dem man nicht ohne Konsequenzen die
Wahrheit sagen kann, ein System, in dem man die Handlungen
oder Untätigkeit der Behörden nicht kritisieren kann.
Schuld ist dieses ganze System, gegen das meine Mutter
gekämpft hat, gegen das der Kampf von Hunderten von
Menschenrechtsaktivisten, Journalisten u. Anwälten
weitergeht." Der Frage, ob die Ermordung ihrer Mutter in
direktem Zusammenhang mit der von ihr untersuchten
Geschichte der Entführung von Menschen durch Mitarbeiter
der Abteilung für innere Angelegenheiten des Rayons
Kurchaloj stehe, wie die sowohl von Journalisten der
Novaja gazeta als auch von "Memorial“ vertretene
Auffassung laute, stimmte sie zu, denn sie vertraue den
Kollegen ihrer Mutter absolut, 100%. Wenn sie sich an
diese Version halten, sei sie sicher, dass dies
höchstwahrscheinlich der Wahrheit nahe kommt. Sie frage
diese Kollegen immer um Rat u. erkundige sich nach dem
Stand der Ermittlungen u. nach ihrer Meinung zu diesem
Thema. Obwohl sie keine typische Tschetschenin sei, da sie
sehr liberal erzogen worden sei, betrachte sie sich
trotzdem als Tschetschenin. Sie werde Groznyj vermissen u.
träume davon, eines Tages, wenn Kadyrov endlich in der
Vergessenheit der Geschichte versunken sei, nach Groznyj
zurückzukehren, um dort ein Denkmal für ihre Mutter zu
errichten. Sie möchte dieses Denkmal aber nicht errichten,
solange Kadyrov an der Macht ist, denn damit würde
seinerseits zwangsläufig eine Menge Heuchelei verbunden
sein. In GB wüssten ihre neuen Freunde Bescheid darüber,
warum sie Russland verlassen habe, denn sie wolle daraus
kein Geheimnis machen. "Radio Svoboda" erzählte sie noch,
dass sie nach dem Tod der Mutter ein paar Mal in die
Republik gereist sei, das letzte Mal 2012, hauptsächlich,
um das Grab ihrer Mutter zu besuchen. Von Groznyj hatte
sie das Gefühl einer toten Stadt gewonnen: Alles sei aus
Plastik gewesen, Fake – neue Häuser, Wolkenkratzer, in
denen niemand wohne,
wie in einem Zombiefilm. Sie habe sich während ihrer
Anwesenheit zwar nicht wirklich in Gefahr gefühlt, weil
sie geglaubt habe, dass sich niemand für ihre Person
interessiere. Ihr
erstes Buch, das mit dem
Titel "Please, Live!"
in engl. u. russ. Sprache verfasst werden sollte u.
Erinnerungen an das Leben mit ihrer Mutter enthält,
wurde vom John Murray-Verlag für 2024 angesagt. Im Feb. 2022 gab Lana Estemirova
einem polnischsprachigen
Medium ein Interview. Einige Artikel von ihr sind auf
der Website von "The Foreign
Policy Centre"
verfügbar.
"Osteuropa"
(DGO)-Gespräch mit
Lana Estemirova)
ETKIND, Aleksandr Markovich
II III IV V VI VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX XXI XXII XXIII (sowjet. Psychologe, später
britischer u. US-amerikan. Kulturwissenschaftler,
Kulturhistoriker u. Literaturkritiker. Absolvent der
Psycholog. Fakultät der Staatsuniversität Leningrad. 1.
Doktorarbeit über "Entwicklung medizin. u. psycholog.
Methoden zur Untersuchung der emotionalen Komponenten
von Persönlichkeitsbeziehungen u. deren Anwendung bei
der Untersuchung von Neurosen u. affektiven Störungen“.
2. Ph.D.-Doktorarbeit in slavischer Philologie an der
Universität Helsinki, Finnland; in Russland wurde sie
als separate Publikation mit dem Titel "Khlyst. Sekten, Literatur u.
Revolution" /II/ veröffentlicht. Seine
Forschungsinteressen umfassen russ. Geschichte, insbes.
Geistes- u. Kulturgeschichte, Kolonisierungsprozesse im
Russ. Reich, vergleichende Studien zum kulturellen
histor. Gedächtnis u. globale Geschichte der natürlicher
Ressourcen. Sein Onkel war der
berühmte Literaturkritiker Efim Etkind. In den 1980er Jahren
arbeitete A. Etkind am Psychoneurolog. Institut "V.M.
Bekhterjov in Leningrad, wurde jedoch aus polit. u.
ideolog. Gründen von der Arbeitsstelle entlassen, wobei
er die Institutsleitung verklagte u. den Prozess gewann.
Danach war er Forscher am Institut für
Naturwissenschafts- u. Technikgeschichte der AW UdSSR u.
am Institut für Soziologie der RAW in St. Petersburg, Professor
/1999-2005/ an der Europa-Universität in SPB. Nach
seiner Emigration war er 2005-13 Professor für russ.
Literatur u. Kulturgeschichte in Cambridge, GB. 2010-13
leitete er das europäische Forschungsprojekt "Memory at War: Cultural Dynamics in
Poland, Russia and Ukraine“. Seit 2013 ist Etkind
Professor am Lehrstuhl für Geschichte u. Zivilisationen
namens M.M. Bakhtin des Europäischen Universitätsinstituts EUI
in Florenz /II/, Italien. Zu finden ist er auch
auf der Website der Central European University in
Wien/Budapest, bei
The European Institute for
International Law & International Relations
bei Carnegie Endowment
CEU Vienna. Ferner
war er Gastprofessor an den Universitäten New York u.
Georgetown, USA, sowie Gastwissenschaftler an den
Universitäten Harvard u. Princeton, am Woodrow Wilson
International Research Center, am Institute for Advanced
Study Berlin u. an der University of Canterbury in
Neuseeland.
Bücher: Etkind, ein führender exilruss.
Intellektueller der Gegenwart, ist in der Welt der
Geistes- u. Sozialwissenschaften für seine Buchreihe /II III/ bekannt, die für die
Wahrnehmung der russ. Geschichte von grundlegender
Bedeutung sei, wobei histor., literar. u.
soziolog.-psycholog. Mittel der Analyse verwendet werden.
2013 erschien sein Buch über die "Innere Kolonisierung Russlands" /II
III IV V/, das gemässs Verlagsprospekt
eine radikal neue Lesart der russ. Kulturgeschichte
bietet. In dem Buch wird in Einzelstudien zu verschiedenen
themat. Aspekten wie Pelzhandel, Leibeigenschaft, russ. Einverleibung der Krym oder
ausländ. Kolonien in Russland, insbes. die der Deutschen
an der Volga,
nachgezeichnet, wie Russland gleichzeitig innerlich u.
äusserlich, d.h. sowohl das eigene Volk als auch andere
Völker kolonisierte. Etkind
unterscheidet die Kolonisierung vom Imperialismus. Die
innere Kolonisierung habe ihren Ursprung in der Idee der
Selbstkolonisierung, die Vasilij Kljuèevskij zu Beginn
des 20. Jhs. formuliert habe. Darüber hinaus nehme
Russland eine einzigartige Position als „Subjekt u.
Objekt der Kolonisierung u. ihrer Folgen" ein, wie eine
französ. Rezension darlegt. Das
Russ. Reich sei daher einzigartig oder aussergewöhnlich
in der Geschichte, da in seinem Fall die
Kolonisierungsprozesse sowohl nach innen als auch nach
aussen gerichtet waren. Dieses bahnbrechende
Buch, in dem in dem der Autor
von einer unausweichlichen Entkolonialisierung u.
Entföderalisierung Russlands ausgeht, verbinde
auf höchst originelle Weise historische, theoretische und
literarische Analysen. 2019 wurde die engl. Version von
Etkinds Buch "Eros of the Impossible: The History of
Psychoanalysis in Russia" herausgegeben, das 1993 in
Russland auf Russ. erschien. Dieses Buch
spiegele das komplexe Gefüge der russ. Beteiligung an der
Psychoanalyse wider. Der Schwerpunkt liegt auf dem Leben
u. Werk einzelner Personen u. präsentiert allgemeinere
Untersuchungen zu bestimmten Epochen der Wahrnehmung,
Entwicklung u. Transformation der Psychoanalyse in
Russland. 2023 erschien sein neustes Buch zum
Thema "Russia against Modernity" /II III IV V/, in dem der Autor schonungslos
Stellung zur Politik V.V. Putins u. dessen Krieg gegen
die Ukraine nimmt. Die Hauptthese lautet, dass Putins "Sonderoperation“
gegen die Ukraine im Grunde ein Krieg gegen die Moderne
sei. Die Invasion richte sich i.e.L. zwar gegen die
Ukraine, aber der Krieg habe eine viel breitere
Zielsetzung: die moderne Welt des Klimabewusstseins, der
Energiewende u. der digitalen Arbeit anzugreifen. Durch
den Handel mit Öl u. Gas, die Unterstützung Trumps u. des
Brexit, die Förderung der sozialen Ungleichheit u. der
Homophobie, die Verbreitung von Korruption, die
Subventionierung rechtsextremer Bewegungen u. die
Zerstörung der Ukraine ziele Putins Clique darauf ab, den
anhaltenden Wandel moderner Gesellschaften zu
unterdrücken. Bei ihren
Zielsetzungen, sich der Moderne zu widersetzen u. sie zu
untergraben, habe Putins Clique verschiedene Strategien
eingesetzt – von Klimaleugnung u. Wahleinmischung bis
hin zu Krieg u. Völkermord.
In einem Interview mit RFE/RL /russ./ vom Sept. 2022 ging Etkind
auf die Notwendigkeit einer Psychoanalyse der
tiefgreifenden Pathologie ein, die sich in der
gegenwärtigen russ. Regierung manifestiert habe. Er
behauptet, dass man durch das Verständnis der Probleme u.
Ambitionen in der Vergangenheit Russlands den wahren
Mechanismus von Putins Beweggründen erkennen können, mit
denen er Russland von der modernen Welt losgelöst u.
letztlich seine unprovozierte Invasion in der Ukraine
entfesselt habe. Das Problem des Putinismus sei seine
intellektuelle Dürftigkeit. Bei Putin selbst müsse man
davon ausgehen, dass er kaum viel führende Fachliteratur
gelesen habe. Etkind denkt, dass es bei Putin um
Fetischismus geht. Fetischismus sei etwa, wenn ein Teil
wichtiger als das Ganze wird. Der Fetisch Krym oder der
Fetisch Donbass habe sich mittlerweile darüber hinaus
ausgeweitet, denn der wahre Fetisch sei die Ukraine
selbst, u. er sei mit Revanchismus verbunden. Es gehe auch
um neuen Eroberungen, um eine neue Beherrschung dessen,
was man bereits einmal besass – die Ukraine als Teil
Russlands. Dabei würden die Gefühle eines abgelehnten
Partners eine Rolle spielen, die man schon einmal oder
mehrmals mit ihm erlebt habe u. sie erneut erleben wolle.
Und es gehe auch um den Export von Öl u. Gas, aber am Ende
habe sich herausgestellt, dass Russland Gefahr läuft, die
Hauptquellen seiner Existenz zu verlieren. Für Russland,
wie es sich in den letzten 30 Jahren postsowjet.
Herrschaft entwickelt habe, sei die globale Moderne eine
Bedrohung seiner Existenz, denn die Modernisierung sei für
Russland ein Schock gewesen. Die tiefen u. unverarbeiteten
Traumata u. Katastrophen, ein patholog. Fetischismus u.
der Widerstand gegen die Moderne würden damit
zusammenhängen. Die Energieproduktion sowie die
Umverteilung des Geldes u. des Reichtums funktionierten in
Russland wie folgt: All diese Reichtümer kommen aus
Westsibirien, insbes. aus 2 bestimmten Regionen – aus dem
Gebiet der Jamal-Nenzen u. dem
benachbarten Gebiet der
Chanten u. Mansen.
Dort werde der gesamte nationale Reichtum produziert. Das
Gas fliesse durch Rohre gen Westen u. werde von Ländern in
Westeuropa gekauft. Grosse Geldbeträge flössen nach Moskau
zurück. Moskau verteile das Geld neu; Betrag X gehe an
Tschetschenien, Betrag X an Tuva, Betrag X verbleibe in
Moskau u. der Rest gehe informell an die sog. Elite. Was
aber, wenn niemand mehr russ. Gas kaufe? Moskau werde
Tschetschenien, Tuva, Komi oder Voronezh nicht mehr alles
wie früher geben können. Es gebe eine Vorstellung davon,
dass die Russen sehr bescheiden seien. Sie könnten in
Armut leben u. würden das alles ertragen so wie unter
Stalin, Chruschtschov oder Breschnev, aber diese Zeiten
seien längst vorbei. In den vergangenen Wohlstandsjahren
hätten sich die Russen an einen gewissen Wohlstand
gewöhnt. Dieser verblasse natürlich im Vergleich mit
demjenigen der Niederländer oder sogar der Letten. Etkind
denkt, dass all diese Orte, Länder u. Republiken in
Russland beginnen werden, ihr eigenes Leben zu führen,
wenn Moskau die Mittel für die Umverteilung ausgehen.
Tschetschenien müsse dann selbst herausfinden, wie es Geld
verdienen könne, u. dasselbe gelte auch für Tuva oder
Voronezh. Bis zum Beginn des Krieges gegen die Ukraine sei
die Russ. Föderation ein angesehenes, reiches Land mit
Atomwaffen u. anderen Dingen gewesen, die man am besten
vermeiden sollte. Auf dieser Grundlage könnte das Regime
zwar noch einige Jahrzehnte in seiner jetzigen Form
bestehen bleiben. Aber Putin habe die Entscheidung
getroffen, diesen Koloss zu bewegen, u. jetzt schwimme u.
schmelze er wie ein Eisberg dahin. Zukünftige Historiker
werden wohl Bände über Putins Motive schreiben, diesen
Krieg u. eine solche Politik zu führen, u. sie werden sich
alle widersprechen. Etkinds Meinung sei einfach: Putin
habe diesen Krieg aus Langeweile entfachen lassen, oder
aus Unzufriedenheit, Ehrgeiz oder dem Gefühl, dass dies
seine letzte Chance sein würde, etwas Wichtiges,
Heldenhaftes zu erreichen. Die erfolgreichen Jahre seien
aus seiner Sicht langweilige Jahre gewesen. Sollte Etkind
noch ein Buch über Russland schreiben, dann werde die Idee
der polit. Langeweile ein zentrales Thema sein, es werde
eine Psychoanalyse des Kremls sein.
In einem Essay vom Jan. 2023 im Magazin Noéma, einer Publikation
des US-amerikan. "Berggruen Institutes"
in Los Angeles, wies Aleksandr Etkind darauf hin, dass
beachtet werde sollte, dass der aktuelle Krieg Russlands
gegen die Ukraine zwischen zwei benachbarten Völkern mit
ähnlichen Sprachen aber unterschiedlichen Kulturen geführt
werde. Soziologisch gesehen sei es zudem ein Krieg der
alternden Babyboomer gegen die Generation X u. die
Millennials. Diese Verschiedenheit stelle in jedem Land
eine tiefe Kluft dar, aber der Bruch des Jahres 1991 habe
sie noch grösser gemacht. Dies sei also kein Krieg
zwischen Ethnien, sondern ein Krieg zwischen Generationen
– ein gigantischer ödipaler Konflikt. Im zweiteh Teil des
Beitrags befasste sich Etkind mit der Psychologie der
Genozide u. Massenmorde unter Ethnien. Putin, sein Staat
u. seine Armee seien entschlossen gewesen, das “nationale
Muster“ der Ukrainer zu zerstören u. es durch das
"nationale Muster“ der Russen zu ersetzen. Die
wahrgenommenen Unterschiede seien gering gewesen, aber die
polit. Ergebnisse seien um so grösser gewesen. In mancher
Hinsicht seien die Russen u. Ukrainer einander so ähnlich,
dass auch kein Aussprache-Test sie hätte unterscheiden
können. Um die Ukrainer dennoch als solche zu
identifizieren, hätten sie die Menschen an Kontrollpunkten
nach "Nazi-Tätowierungen“ untersucht, u. jeder, der
irgendetwas auf seiner Haut hatte, das als eine solche
interpretiert werden konnte, sei geschlagen oder getötet
worden. Russlands Krieg gegen die Ukraine sei ebenso
sinnlos wie jeder andere Völkermord: Er habe Russland auf
keinen Fall einen polit. oder wirtschaftl. Gewinn bringen
können, u. das habe er auch nicht getan. Der einzig
nachvollziehbare Rahmen dafür sei ein klassischer russ.
Imperialismus gemischt mit einem spezifisch postsowjet.
Revanchismus. Aber es habe noch einen dritten Teil in der
Mischung gegeben: Fetischismus. Darüber sprach Etkind im
oben erwähnten RFE/RL-Interview bereits. Der Fetisch sei
das ukrain. Territorium, dessen einziger Wert in der
Vorstellung gelegen habe, dass es früher „unser“ war u.
zurückgewonnen werden sollte. Angeblich hätte dies dem
russ. Präsidenten, seinen Eliten u. ihrem Volk Ruhm,
Ekstase oder eine andere Form der Befriedigung gebracht.
Der Fetischismus sei im Imperialismus zusammengefasst
worden. Es habe Mut erfordert, die brutalen Völkermordakte
zu sehen, was sie waren: sinnlos. Hinter jedem Völkermord
stecke ein bestimmter Fetisch: beschnittenes Fleisch, die
Art der Aussprache bestimmter Wörter, eine Tätowierung.
Keiner von ihnen rechtfertige Mord, u. nur ein Fetischist
würde dem widersprechen. Aber man wisse aus der
Geschichte, dass es zu einer Fetischisierung dieser
kleinen Unterschiede kommen könne, die Millionen von
Menschenleben kosten. Mit dem Symbol "Z" sei ein neuer
Schritt in diesem erstaunlichen Schauspiel der Geschichte
getan worden. Da es keine echten Wörter gegeben habe, die
zur Unterscheidung von Freund u. Feind dienen konnten,
musste ein Symbol von Grund auf erfunden werden. Völlig
sinnlos sei aber der Glaube an das "Z", die Liebe zum "Z",
die Identifikation mit dem "Z", die einen wahren Patrioten
ausmachten. Übrigens habe es ja keine offizielle Erklärung
gegeben, was das "Z" zu bedeuten habe, zumal es sich um
einen lateinischen Buchstaben handelte, der dem
kyrillischen Alphabet fremd war. Also häuften sich die
Theorien. Einige meinten, das "Z" stamme vom russ. Wort
"zapad", was "Westen“ heisst, gegen den sich der Krieg
richtete; andere argumentierten, es stehe für Zelenskyj,
u. wiederum andere sahen im "Z" eine Hälfte des
Hakenkreuzes, von dem sie behaupteten, es sei ein altes
Symbol der Slaven. Die Geschichte, warum sich dieses
seltsame Zeichen in Russland so stark verbreiten konnte u.
so beliebt wurde, findet Etkind faszinierend.
Mehrere Beiträge Aleksandr Etkinds sind auch auf der
Website der
The Moscow Times zu finden.)
Neuster
Stand: 08.23 (17) Keine
Garantie für Richtigkeit u. Vollständigkeit der Angaben.