Putin-Lexikon
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Privater, politisch unabhängiger Presse-Blog zum Thema Osteuropa und Russland
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PUTIN-LEXIKON:
BRISANTE AKTEURE DER PUTIN-ÄRA, DIE SCHLAGZEILEN ERZEUGTEN
Profiteure und Opfer des Putin-Regimes



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EBZEEV, Boris Safarovich II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI  XVII XVIII (sowjet. u. russ. Jurist u. Politiker. Geboren in einem Dorf in der Kirgisischen SSR in einer Karatschajer-Familie, die mit anderen Landsleuten 1943 deportiert wurde u. 1957 in seine Heimat zurückkehrte. Absolvent des Rechtsinstituts Saratov. Kandidat der Rechtswissenschaften mit einer Dissertation über "Verfassungsrechtliche Grundlagen der individuellen Freiheit der Sowjetbürger“, Doktor der Rechtswissenschaften mit einer Dissertations über "Verfassungsrechtliche Probleme der Menschenrechte u. Pflichten in der Sowjetgesellschaft“. Andrej Zajakin, ein Aktivist der Dissernet-Gemeinschaft, warf Boris Ebzeev vor, „sich zu weigern, völlig offensichtliche Plagiate u. Fälschungen von Sachdaten zu erkennen“ u. die Praxis der Verteidigung gefälschter Dissertationen zu vertuschen. Seit 1990 trägt Ebzeev den Professorentitel. Ehem. Professor der Abteilung für Staats- bzw. Verfassungsrecht am Saratover Rechtsinstitut, Leiter der Abteilung für Menschenrechte u. Verfassungsjustiz. Autor von über 200 wissenschaftl. Werken, darunter 25 Büchern, u.a. Monographien u. Lehrbüchern. 1991-2008 war er vom 5. Kongress der Volksabgeordneten der RSFSR gewählter Richter am Verfassungsgericht RF. Mitautor verschiedener Gesetze u. Gesetzentwürfe in den 1990er Jahren, u.a. des Bundesverfassungsgesetzes "Über das Verfassungsgericht RF“, eines Verfassungsentwurfs für die RF u. einer Verfassung der Karatschaj-Tscherkessischen Republik. Ebzeev äusserte wiederholt abweichende Meinungen zu den vom Gericht geprüften Fällen u. betrachtete die Menschenrechte als eines der wichtigsten Kriterien. Seiner Meinung nach hatte das Gericht zu voreilig beschlossen, die Dekrete des Präsidenten RF über die Beendigung der Tätigkeit der Kommunist. Partei der RSFSR als verfassungsgemäss anzuerkennen. 1995 gab er eine abweichende Meinung im Zusammenhang mit der Entscheidung des Gerichts ab, die Dekrete des Präsidenten RF von 1993 u. 1994 "Über die wichtigsten Bestimmungen der Militärdoktrin RF“ u. "Über Massnahmen zur Wiederherstellung von verfassungsmässigem Recht u. Ordnung auf dem Territorium der Tschetschen. Republik“ als verfassungsgemäss anzuerkennen. Laut Ebzeev konnten die Ziele der Dekrete die schwerwiegenden Folgen, die sich aus ihrer Umsetzung ergaben, nicht rechtfertigen. Er war der Ansicht, dass das Gericht die Dekrete unter Berücksichtigung ihrer praktischen Umsetzung hätte prüfen müssen.
Präsident von Karatschaj-Tscherkessien: 1999 nahm Ebzeev an den Präsidentschaftswahl in der nordkaukasischen Republik Karatschaj-Tscherkessien teil, schied jedoch nach der ersten Runde aus. Ende Juli 2008 nominierte der Präsident RF s. Dmitrij Medvedev Boris Ebzeev zur Prüfung durch die Volksversammlung von Karatschaj-Tscherkessien, um ihm die Befugnisse des Präsidenten der Republik zu verleihen. Im Aug. 2008 übertrug die Volksversammlung der Republik Ebzeev diese Befugnisse. Von Sept. 2008 bis Feb. 2011 war er  Präsident der Karatschaj-Tscherkessischen Republik. 2010 war er Mitglied des Präsidiums des Staatsrats RF. Im Feb. 2011 trat Ebzeev, der im Internet wegen des Tonfalls seiner Stimme als neuer Brezhnev" verspottet wurde, freiwillig von diesem Amt zurück. Es wurde berichtet, dass der Rücktritt auf die Tatsache zurückzuführen sei, dass „die sozioökonomische Situation in Karatschaj-Tscherkessien u. die von der Führung der Republik ergriffenen Massnahmen nicht ausreichten, um die vom Präsidenten des Landes gestellten Aufgaben zu erfüllen“. Ab März 2011/16 ist er Mitglied der Zentralen Wahlkommission RF. 2006-8 war er Mitglied u. 2013-16 war er Vorsitzender des Expertenrats der Höheren Beglaubigungskommission RF für Recht des Ministeriums für Wissenschaft u. Hochschulbildung RF. Im Dez. 2017 legte er auf der Sitzung der ZWK RF Nr. 118 einen Entwurf der ZWK RF vor, der die Ablehnung der Registrierung der Initiativgruppe zur Nominierung von s. Aleksej Navalnyj als Kandidat für die Präsidentschaft RF "empfahl". Damit hatte auch er sich der Kremllinie angepasst.  Seit 2018 ist er auch Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Staat u. Recht.
s. Ljubov Sobol von der Antikorruptionsstiftung "FBK" warf Ebzeev im Aug. 2019 im Navalnyj-Kanal vor, dass der Wissenschaftler, Professor, ehem. Verfassungsrichter RF u. ehem. Präsident der Karatschaj-Tscherkess. Republik u. das langjährige ZWK-Mitglied Ebzeev, egal in welcher Funktion er gerade sei, als Säule des Putin-Regimes das Gesetz in einer Weise biege u. drehe, bis die verbrecherischen Beschlüsse des Regimes aus jurist. Sicht einigermassen akzeptabel aussehen. Ausserdem toleriere er offen Wahlfälschungen zur Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten RF V.V. Putins sowie die Farce der demokrat. Wahl der Partei "Einiges Russland". Dass er als ZWK-Mitglied insbes. die Kandidatur Navalnyjs nicht zuliess, wird ihm übel genommen. Im Übrigen wird Boris Safarovich Ebzeev von der "FBK" u. von Sobol der illegalen Bereicherung beschuldigt. Den Ermittlungen zufolge hat Bor
is Ebzeev einen Enkel, Artur Borisovich Ebzeev, der 4 Jahre alt war, als er einen Vertrag über den Kauf einer Elitewohnung in der Moskauer "Goldenen Meile" an der Ostozhenka mit einer Fläche von 274,2 m² abschloss, deren Marktwert auf rd. 500 Mln. Rubel geschätzt wurde. Ausser dieser Wohnung besitze Artur eine weitere in Krylatskoe. Später machte das fast 8-jährige Kind einen Deal mit einem Offshore-Unternehmen auf den Britischen Jungferninseln, verkaufte die Wohnung in der Ostozhenka u. reinvestierte das Geld in ein Haus im Moskauer Villenviertel Rubljovka im Dorf Gorki-8, wie aus einem Grundstückauszug hervorgeht, in dem jedoch nur der Eigentümer u. nicht der Käufer verzeichnet ist. Ausser der Aktivitäten von Boris Safarovich u. von dessen Sohn u. Arturs Vater Boris Borisovich Ebzeev, der als Generaldirektor der staatl. Energiegesellschaft "MRSK Juga", eines Teils von "Rosseti", arbeitet, berücksichtigte die FBK-Untersuchung nicht die Zahlungsfähigkeit anderer Verwandter des Schülers. 2021 wurde Boris Safarovich Ebzeev durch Beschluss des Föderationsrats RF für eine weitere fünfjährige Amtszeit zum stimmberechtigten Mitglied der ZWK RF ernannt. Die Ukraine setzte Ebzeev auf ihre Sanktionsliste, weil die Zentrale Wahlkommission RF im Sept. 2022 in den von Russland kontrollierten Gebieten der Ukraine bei der Überwachung u. Durchführung von Scheinreferenden half, bei denen es häufig zu offener Nötigung u. Einschüchterung von Wählern kam", u. überhaupt, weil die ZWK RF bei Bundes- u. Kommunalwahlen in Russland, einschliesslich Referenden, Unregelmässigkeiten u. manipulierte Wahlerrgebnisse zu verantworten hat, obwohl sie sich rühme, wie sauber u. transparent die Wahlen in Russland seien. Ausserdem wurde Ebzeev auf die entsprechende Liste des "Office of Foreign Assets Control" OFAC gesetzt.)

EDELGERIEV, Ruslan Said-Khusajnovich II III (russ. Kommunal- u. Staatspolitiker in der Republik Tschetschenien. Seine Mutter Vera Afanasevna Derjabina war Abgeordnete des Parlaments der Tschetschen. Republik der 2. u. 3. Einberufung u. Schullehrerin des tschetschen. Oberhaupts s. Ramzan Kadyrov. Der Vater, ein Tschetschene aus Tsentaroj, arbeitete als Sportlehrer. Absolvent der Rechtswissenschaften am Krasnodarer Rechtsinstitut des Innenministeriums RF. 1994-2004 arbeitete er in der Abteilung für innere Angelegenheiten der Stadt Slavjansk am Kuban im Land Krasnodar u. 2004-7 in der Polizeibehörde des Kurchaloj-Rayons in Tschetschenien. 2007 war er Leiter der Abteilung "R“ des SOBR "Terek", vom Dez. 2007 bis Jan. 2008 1. stv. Landwirtschaftsminister der Republik Tschetschenien, vom 11.-22. Jan. 2008 amtierender Landwirtschaftsminister der Republik Tschetschenien u. vom 22. Jan. 2008-Mai 2012 stv. Vorsitzender der Regierung u. Landwirtschaftsminister der Republik Tschetschenien. 2010 studierte er an der Tschetschen. Staatsuniversität die Fächer Technologie der Produktion u. Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte. 2014 absolvierte er an der Staatl. Agraruniversität des Kuban ein weiteres Studium im Fach Gartenbau. Vom Mai 2012 bis Juni 2018 war er Vorsitzender der Regierung der Tschetschen. Republik. Danach wurde er zum Berater des Präsidenten RF für Fragen des Klimawandels u. im Juli 2018 zum Sonderbeauftragten des Präsidenten RF für Klimafragen ernannt. Mitglied der Partei "Einiges Russland“, Sekretär der tschetschen. Regionalabteilung.)

EGGERT, Konstantin Petrovich II III IV V VI (russ. Journalist, Publizist, Kolumnist. Absolvent des Instituts für asiat. u. afrikan. Länder der MGU, wo er Arabisch u. die Geschichte des Nahen Ostens studierte. Als Student war er 1985 als Dolmetscher für die jordan. Delegation beim XII. Weltfestival der Jugend u. Studenten in Moskau tätig. 1987-90 diente er als Dolmetscher in der Militärmission in der Arab. Republik Jemen. In den 1990er Jahren arbeitete er für die Zeitung Izvestija, war Auslandskorrespondent u. später stv. Redaktor für auswärtige Angelegenheiten. Ab 1998 arbeitete er für die BBC u. war 2002-9 Chefredaktor des Moskauer Büros des "BBC Russian Service". Er moderierte die Sendung "Der Morgen auf BBC", berichtete über wichtige Ereignisse, darunter die Geiselnahme im Moskauer Dubrovka-Theater, die G8-Gipfel u. die Präsidentschaftswahl 2008 in den USA. Mitglied des Royal Institute of International Affairs in London. 2008 wurde ihm von Königin Elizabeth II. der Titel eines Ehrenmitglieds der Zivilabteilung des "Order of the British Empire" verliehen. Im selben Jahr verlieh ihm der litauische Präsident Valdas Adamkus das "Kommandeurskreuz des Ordens für Verdienste für Litauen". 2009 wechselte er zur russ. Abteilung des US-amerikan. Mineralölkonzerns "ExxonMobil", für den er als Vizepräsident für Beziehungen mit der Öffentlichkeit u. mit Regierungsbehörden tätig war. 2010 wurde er unabhängiger Analyst u. Berater u. begann als polit. Kommentator u. Moderator beim neuen russ. Radiosender "Kommersant FM" zu arbeiten, für den er mit Unterbrechungen bis Ende 2015 tätig war, 2013 einige Monate als Chefredaktor. 2016 moderierte er eine Sendung über die US-Präsidentschaftswahl auf dem TV-Sender "Dozhd". Ausserdem war er Redaktionsmitglied bei zwei Zeitschriften. Seit 2014 schreibt oder schrieb er eine wöchentliche Kolumne für das Medienunternehmen "Deutsche Welle", bei dem er seit Aug. 2020 die russ. Sendung "vTRENDde" betreut. Seit 2014 lebt er in Litauen. Träger des Moskauer Journalisten-Union-Preises /2012/ u. des Preises der Regierung RF im Bereich Massenmedien /2013/. Mitglied des öffentl. Rats des Russ. Jüdischen Kongresses. Im Sept. 2020 unterzeichnete er einen Brief zur Unterstützung der Proteste in Weissrussland. Von Seiten seiner Mutter, deren Namen er annahm, ist Eggert deutschbaltischer Abstammung. Er ist der Enkel von Konstantin Vladimirovich Eggert, sowjet. Schauspieler, Regisseur u. Drehbuchautor, der in den 1930-40er Jahren von der stalinist. Repression betroffen war.)

EIGENDORF-SCHUT, Katrin II III IV V VI VII (dt. Fernsehjournalistin. Studium der Journalistik in Dortmund u. Paris am Institut français de presse IFP. Seit den 1990er-Jahren ist sie als Auslandskorrespondentin u. -reporterin tätig, arbeitete als Redaktorin im ARD-Studio Paris u. bei den "Tagesthemen". Als RTL-Korrespondentin in Moskau berichtete sie über die Länder der ehem. Sowjetunion u. den Tschetschenienkrieg. Ab 1999 arbeitete sie für das ZDF in Mainz als aussenpolit. Reporterin mit den Schwerpunkten Russland, Kaukasus u. Naher Osten. Ferner berichtete sie für ZDF u. ARTE aus Georgien, Israel, Ägypten, Türkei u. Afghanistan. Ab 2001 moderierte sie das "auslandsjournal extra". 2015-17 war sie Korrespondentin im ZDF-Auslandsstudio in Moskau; seit 2014 berichtet sie über den ab diesem Jahr laufenden Krieg Russlands in der Ukraine. Für ihre herausragende Arbeit wurde die Journalistin mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet. 2022 veröffentlichte der S. Fischer Verlag ihr Buch "Putins Krieg – Wie die Menschen in der Ukraine für unsere Freiheit kämpfen".) 04.24

EICHWEDE, Wolfgang II III IV V VI VII VIII (dt. Historiker mit Schwerpunkten Osteuropa, Sowjetunion u. Russland. Studium der Geschichte, Politik, Philosophie u. Slavistik in Tübingen, Heidelberg u. Berlin. Ehem. Professor für Politik u. Zeitgeschichte Osteuropas an der Universität Bremen. Mit der Gründung der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen 1982 übernahm Eichwede die Leitung des Instituts, die er bis 2008 innehatte seine Nachfolgerin ist die Russland-Historikerin Susanne Schattenberg. Im Zusammenhang mit seinem engen persönl. Verhältnis zur osteuropäischen Dissidentenbewegung ist Eichwede mit der russ. Menschenrechtsorganisation "Memorial" eng verbunden. Das Bemühen um Freundschaft mit Russland, so Eichwede, müsse der Machtpolitik Putins „auch seine Grenzen zeigen – Grenzen, die sich aus dem Völkerrecht u. den Rechten der kleineren, weniger mächtigen Staaten ergeben“.)

EJDMAN, Igor Vilenovich II III IV V VI VII VIII IX (russ. Historiker u. Soziologe, Experte für die Soziologie des Internets u. die Entwicklung sozialer Netzwerke. Prominenter kritischer Analyst u. Kommentator des Systems Putin, des sog. "Putinismus". Absolvent der Fakultät für Geschichte der Lobachevskij-Staatsuniversität.Gorkiij, heute Nizhnij Novgorod. Ejdman arbeitete als Journalist für mehrere Medien In NN, war Literaturredaktor des Almanachs "Дирижабль“, Chefredaktor der Wochenzeitung Russkij klub. Anschliessend entwickelte er die Idee u. das Konzept des staatl. Wohnungsbaudarlehens NN u. setzte es als stv. Direktor des Immobilienfonds NN um. 1995-2002 leitete er die PR-Agentur "Zentrum für soziale Innovationen“, war in der Politikberatung tätig, beriet namhafte Politiker, liberale Abgeordnete der Staatsduma RF u. Führer von Bundesparteien. Insbes. schlug er Ende 1997/Anfang 1998 eine "antioligarchische Kampagne" unter der Leitung seines Cousins s. ​​Boris Nemcov vor. 2007 war er Kommunikationsdirektor bzw. PR-Direktor des VCIOM.
Internetrevolution u. E-Demokratie: Ejdman befasst sich schwerpunktmäässig mit Ideen u. Konzepten wie „Netzwerkdemokratie", „Oppositionsbewegung 2.0" eine polit. Vereinigung, die auf direkter E-Demokratie basiert, „Markt 2.0“ ein neuartiger Online-Markt, der auf Kooperation basiert u. Verbraucher in sozialen Netzwerken zusammenbringt, um über Grenzen u. Zwischenhändler hinweg Einkäufe mit kollektiven Rabatten direkt beim Hersteller tätigen zu können, „Direkte Wikidemokratie“ eine Technologie, die auf der gemeinsamen Arbeit an Dokumenten u. der allgemeinen Abstimmung über die Genehmigung aller Vorschläge u. Änderungsanträge basiert, „Erklärung der Menschenrechte im Zeitalter der Internetrevolution“, die das Grundrecht eines jeden Menschen beinhaltet, frei zu entscheiden, wozu er sein Leben widmet. Weitere von Ejdman vorgeschlagene Projekte betreffen das „Offene Internet-Parlament der Opposition“, das „Polit. Wikipedia“ u. die „Internetwahlen eines Kandidaten für das Präsidentenamt u. das Mandat eines Oppositionsabgeordneten“. Im wirtschaftlichen Bereich hält Ejdman es für notwendig, das von den Wählern geforderte Ziel der Opposition der Sozialisierung der Rohstoffmassnahmen im Interesse aller Bürger Russlands zu verwirklichen. 2007 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel "Durchbruch in die Zukunft. Soziologie der Internet-Revolution". Das Buch ist gemäss einer Rezension von Dmitrij Paramonov „eine Darstellung einer neuen u. eher radikalen Version der linken antibürgerlichen demokrat. Ideologie, die auf den Traditionen der rationalist. u. positivist. Sozialphilosophie basiert“. Das Buch behandelt die futurologische Vision des Autors der zukünftigen „Internetgesellschaft, die auf direkter Demokratie, freier Informationsverbreitung, auf horizontalen, nicht hierarchischen sozialen Bindungen u. auf einer Gesellschaft ohne Privateigentum, Lohnarbeit, Ausbeutung u. Manipulation basiert. Bis 2010 veröffentlichte er in der russ. Presse eine Reihe von Artikeln über die gesellschaftspolit. Folgen der Internetrevolution. 2010-11 veröffentlichte er eine Artikelserie zum Thema "E-Demokratie" im offiziellen Organ der SPD Vorwärts. In der von ihm beschriebenen globalen sozialen Internetrevolution sagte Ejdman diverse Strömungen u. Bewegungen wie die internationale Bewegung gegen den Kapitalismus "Occupy!“ im Internet, im Internet organisierte Volksaufstände u. aktive Entwicklung von Parteien u. Bewegungen, die nach den Prinzipien der direkten E-Demokratie organisiert sind, sowie das schnelle Wachstum von Netzwerken u. Diensten für kollektive Einkäufe mit Rabatten u. gegenseitige Verbraucherinformation u. den Aufbau mehrsprachiger internationaler sozialer Netzwerke voraus.
Kritik des Putin-Regimes u. Emigration nach Deutschland:
Im März 2010 unterzeichnete Ejdman den Aufruf der russ. Opposition "Putin muss gehen“ u. beteiligte sich aktiv an der Entwicklung eines sozialen Netzwerks der Unterzeichner des Aufrufs. 2011 zog Ejdman nach Deutschland u. liess sich in Leipzig nieder, wo er als Journalist arbeitet u. sich mit Internetprojekten in den Bereichen Verbraucher- u. polit. Nutzerkooperationen befasst. Eine Reihe antiklerikaler Artikel, die Igor Ejdman 2012 auf der Website von "Echo Moskaus“ veröffentlichte, veranlasste eine Reihe orthodoxer Aktivisten, darunter s. Arkadij Mamontov u. Kirill Frolov, sich an die Staatsanwaltschaft RF u. das Ermittlungskomitee RF mit der Bitte zu wenden, gegen Ejdman ein Strafverfahren gemäss Art. 282 StGB RF wegen "Schürens von Hass oder Feindschaft" einzuleiten. Bis 2014 führte er ein Live-Tagebuch, das regelmässig in der Online-Publikation "Kasparov.ru" veröffentlicht wurde, u. er ist einer der Autoren der Medienressourcen von "InoSMI" u. "Deutsche Welle". Auch i
n der NZZ erschienen Ejdmans Beiträge u. Gastkommentare, z.B. "Russland ohne Putin"  im Aug. 2015, in dem er die unnatürliche Situation Russlands erläuterte, das Putin-Regime mit der Aggressivität Hitlerdeutschlands oder von Mussolinis Italien verglich u. für die Russen eine demokrat u. europäische Perspektive forderte. Im Aug. 2016 befasste er sich mit dem Thema wie Putin versucht, Deutschland zu verändern. Im Nov. 2016 widmete er sich dem "homo putinicus" u. meinte, dass sich die Russen nicht ewig ducken würden. Im Juni 2017 erschien ein weiterer Beitrag Ejdmans über die Einflussnahme Russlands auf die Bundestagswahlen u. die Rolle der Russlanddeutschen. Im März 2018 folgte sein Gastkommentar unter dem Titel "Russland probt den ersten hybriden Weltkrieg". Die These lautete, dass der Westen dem hybriden Krieg des Kremls wenig entgegenzusetzen habe, weil er sich gewöhnlich an traditionelle Verhaltensregeln u. ethische Normen halte. In seinem 2016 im Münchner Ludwig Verlag in dt. Übersetzung erschienenen Buch "Das System Putin". Wohin steuert das neue russ. Reich?" /II/ erläuterte Ejdman, dass die Russen unter der Herrschaft V.V: Putins er verwendete den Begriff „homo putinicus“ in Anlehnung an „homo soveticus „Anti-Westler“ geworden seien, bei denen sich sowjet. Revanchismus mit neu angenommener Religiosität paare. Dies sei das Resultat der „totalen Putinschen Propaganda“ parallel zur Übernahme einer entsprechenden Staatsideologie, die die Atmosphäre einer „belagerten Festung“ schaffe. Ejdman ist trotzdem der Meinung, dass die russ. Bürger die Angst in Putins Regime genauso wie unter der kommunist. Diktatur verlieren werden, zumal mehr oder weniger alle Diktaturen in der modernen Welt irgendwann scheitern würden. Gleichzeitig warnte er vor der Gefahr der Unterwanderung des europäischen demokrat. Staats- u. Rechtswesens durch korrupte russ. Geschäftspraktiken, wie dieses Problem u.a. auch von s. Mikhail Khodorkovskiähnlich thematisiert wurde bzw. wird. Seit Dez. 2019 ist Ejdman Chefredaktor der internationalen mehrsprachigen Online-Publikation "M.NEWS", deren Ziel es sei, russischsprachige Menschen in Russland u. im Ausland zu informieren u. zu vereinen, die sich für Menschenrechte, Demokratie u. Humanismus einsetzen. Die Veröffentlichung stellt eine klare Opposition gegen das Putin-Regime dar.)

ELBAKJAN, Aleksandra Asanovna II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX XXI XXII (aus Kasachstan stammende Computer-Programmiererin u. -Hackerin mit - nach eigenen Angaben - armenischen, slavischen u. asiatischen Wurzeln. Mit 14 Jahren führte sie ihren ersten Hacking-Versuch beim privaten Internetprovider durch, der ihren Internetzugang sperrte. Absolventin der Kasachischen Nationalen Technischen Universität namens "K.I. Satpajev" in Almaty, Kasachstan, wo sie ihr Studium mit einem Bachelor of Science in Informatik mit dem Schwerpunkt Informationssicherheit abschloss. An der Universität befasste sie sich mit der Entwicklung einer Neurocomputer-Schnittstelle. 2009 zog sie nach Moskau, wo sie im Bereich Informationssicherheit arbeitete. 2010 schloss sie sich einem Brain-Computer-Interface-Projekt an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br., Deutschland, an u. begann sich für Transhumanismus zu interessieren. Nach einem Praktikum am Georgia Institute of Technology in den USA kehrte sie nach Kasachstan zurück, wo sie 2011 die Website "Sci-Hubins Leben rief /s. unten/. 2012-14 studierte sie im Masterstudiengang an der Wirtschaftshochschule in Moskau.
"Sci-Hub": Als sie 2009 an der Universität an ihrem Diplom arbeitete, stellte sie fest, dass viele der Artikel in wissenschaftl. Zeitschriften, die sie für ihre Arbeit benötigte, kostenpflichtig waren, was sie sich nicht leisten konnte. Diese Artikel mussten unter Umgehung des Paywall-Systems heruntergeladen werden. Allerdings kostete das manuelle Herunterladen von Artikeln viel Zeit u. Mühe. Dies veranlasste sie, den Prozess mithilfe ihres Programmierhintergrunds zu automatisieren u. "Sci-Hub" zu erstellen, das im Sept. 2011 gestartet wurde. Damals liess sich Elbakjan zudem von der Idee der Entwicklung des Internetprojekts "offene Regierung" inspirieren, die vom Präsidenten RF s. Dmitrij Medvedev angeregt wurde u. als neuartige Informationstechnologie in die öffentl. Verwaltung RF eingeführt werden sollte. Das Ziel von "Sci-Hub" ist, Forschungsergebnisse allgemein leichter u. v.a. kostenlos zugänglich zu machen. Die blosse Existenz von "Sci-Hub" sollte Elbakjans Meinung nach wissenschaftl. Verlage dazu ermutigen, auf ein Open-Access-Modell umzusteigen. "Sci-Hub" ist im Grunde aber als eine sog. Schattenbibliothek zu betrachten, in der wissenschaftl. Artikel, die teilweise sonst nur hinter einer Bezahlschranke online verfügbar sind, auf Abruf bereitgestellt werden. Daher ist die Legalität u. Legitimität eines solchen Dienstes umstritten.
Betrieb, Kapazität, Nutzung u. Hauptbenutzerländer: In den 6 Monaten bis zur Jahreswende 2015/16 lieferte "Sci-Hub" 28 Mln. Dokumente aus allen wissenschaftl. Fächern aus. Im Dez. 2016 wies "Sci-Hub" einen Bestand von etwa 60 Mln. wissenschaftl. Artikeln auf. Etwa 70 Tsd. Nutzer griffen täglich auf 200 Tsd. Artikel zu. Einer Studie zufolge, die im Okt. 2017 veröffentlicht wurde, vermittelte "Sci-Hub" insgesamt Zugriff auf 85,2% aller wissenschaftl. Artikel, die hinter einer Paywall vertrieben werden. Die Nutzer kamen aus der ganzen Welt: 2,6 Mln. Anfragen stammten aus dem Iran, 3,4 Mln. aus Indien u. 4,4 Mln. aus China, während Russland auf dem 4. Platz vor den USA folgte u. ein Viertel der Abrufe aus den OECD-Staaten stammten.
Konflikte mit dem Projekt u. Reaktionen Elbakjans auf Kritik: Insbes. im russischsprachigen Teil des Internets ist Aleksandra Elbakjan immer wieder in Konflikt mit der Gemeinschaft der Servicenutzer u. "Sci-Hub"-Besucher geraten. Kritiker monierten, dass Elbakjan unterschiedliche Standpunkte nicht akzeptiere u. jegliche Kritik unzureichend behandle. In diesem Zusammenhang wurde ihr auch vorgeworfen, Benutzer von "Sci-Hub" in den sozialen Netzwerken blockiert zu haben. Im Sept. 2017 schloss Elbakjan plötzlich den Site-Zugang in Russland u. nannte es einen Streik. Als Grund für diesen Schritt nannte sie „äusserst unangemessenes, beleidigendes Verhalten russ. Wissenschaftler gegenüber dem Schöpfer des Dienstes“. Laut Elbakjan sollte ihr Vorgehen als Protest gegen die Tatsache verstanden werden, dass in Russland Massnahmen ergriffen werden, die auf die Zerstörung der Wissenschaft abzielen. Noch im gleichen Monat öffnete Elbakjan die Website in Russland wieder. Im Nov. 2017 entsperrte Elbakjan fast alle Benutzer einer Gruppe, die auf eine schwarze Liste gesetzt worden waren. Später wies Elbakjan in einer Nachricht in der Gruppe darauf hin, dass jederzeit absolut jeder Benutzer einen Artikel von der Website herunterladen könne, unabhängig von seinen polit. Ansichten, seinem sozialen Status, seinem Geschlecht u. Alter usw. Auf die Registrierung wurde bewusst verzichtet, alle Artikel können anonym von jedermann heruntergeladen werden.
2016 bestand Elbakjan die für den Erhalt der Staatsbürgerschaft RF erforderliche Russisch-Sprachprüfung nicht. Beim nächsten Versuch sollte sie dem Gesetz nach bei der Erlangung der Staatsbürgerschaft RF einen Eid auf die Verfassung u. Gesetzgebung RF leisten. Laut Elbakjan sei die Verbreitung wissenschaftl. Informationen, die die Hauptaktivität ihres Projekts "Sci-Hub" darstellt, in Russland illegal, u. daher schienen wiederholte Versuche, die Staatsbürgerschaft RF zu erlangen, aus prinzipiellen Gründen unmöglich. 2017-19 absolvierte sie das MA-Programm der Philolog. Fakultät der Staatsniversität St. Petersburg mit einem Abschluss in Sprachen der Bibel u. verteidigte ihre Abschlussarbeit mit der Note "3“. Derzeit lebt sie angeblich in Moskau u. studiert Philosophie an der Russ. Akademie der Wissenschaften.
Rechtliche Fragen u. Klagen: "Sci-Hub" geriet unweigerlich in Konflikt mit dem international geltenden bzw. in den einzelnen Staaten gültigen Urheberrecht/Copyright, dessen Verletzung "Sci-Hub" nach dem Prinzip des sog. Guerilla Open Access offenbar in Kauf nimmt. Im Juli 2018 wurde in einem Blog der Washington Post auf die lange Tradition des Raubkopierens von wissenschaftl. Werken in der Sowjetunion u. im späteren Russland hingewiesen. Da "Sci-Hub" die Bezahlschranken von E-Journals u. Datenbanken umgeht, gingen u. gehen einige davon betroffene Verlage gegen das Projekt juristisch vor, woraus sich für "Sci-Hub" empfindliche Rechtsstreitigkeiten ergeben, die Elbakjan zu ignorieren scheint. V.a. der Wissenschaftsverlag "Elsevier" u. "Springer Nature" gingen juristisch gegen "Sci-Hub" vor. So urteilte ein New Yorker Richter im Okt. 2015 zugunsten von "Elsevier", dass die Rechte des Verlags durch "Sci-Hub" verletzt würden. 1/3 aller heruntergeladenen Artikel wurden von "Elsevier" veröffentlicht, von dem ca. 24% aller Zeitschriftenartikel veröffentlicht wurden. Im Juni 2017 wurde einer Schadensersatzklage "Elseviers" gegen "Sci-Hub" in Höhe von 15 Mln. USD von einem Gericht in New York stattgegeben. Danach klagte auch die American Chemical Society gegen diesen Anbieter u. war damit vor einem Bezirksgericht in Virginia erfolgreich, das der ACS Schadensersatz in Höhe von 4,8 Mln. USD zusprach, wobei kein Vertreter von "Sci-Hub" zu dem Verfahren erschien.
Im Nov. 2018 sperrte der russ. Föderale Dienst für die Überwachung von Kommunikation, Informationstechnologie u. Massenmedien, Roskomnadzor, "Sci-Hub" u. seine gespiegelten Websites, nachdem ein Moskauer Stadtgericht entschieden hatte, den Beschwerden von "Elsevier" u. "Springer Nature" wegen Verletzung geistigen Eigentums nachzukommen. Die Website wurde auf eine andere Domain verschoben u. ist seit Jan. 2022 wieder online verfügbar. Im März 2019 ordnete das Pariser Tribunal de grande instance aufgrund einer Klage von "Elsevier" u. "Springer Nature" an, dass die französ. Internetprovider verpflichtet seien, den Zugriff auf "Sci-Hub" zu sperren. Im Feb. 2021 erwirkten "Elsevier" u. "Springer Nature" auf TalkTalk aufgrund eines Urteils eines britischen Gerichts eine einstweilige Verfügung zur Sperrung der Domain sci-hub.se. Im März 2021 warnte die Abteilung für geistiges Eigentum der Polizei der Stadt London Studenten u. Universitäten davor, auf die Website zuzugreifen. Auch in Schweden u. Indien hatten Klagen von "Elsevier" Auswirkungen auf den Betrieb von "Sci-Hub" u. die Arbeit Elbakjans. Aufgrund des wachsenden rechtlichen Drucks riefen Aktivisten im Mai 2021 dazu auf, "Sci-Hub" mithilfe von BitTorrent dezentral u. unzensierbar zu machen. Während des russ. Angriffskriegs gegen die Ukraine von 2022 sagte der Blog TorrentFreak, dass "Sci-Hub" die einzige Möglichkeit für Akademiker in Russland sei, auf Forschungsartikel zuzugreifen, da 15 grosse Verlage ihre Dienste in Russland eingestellt hätten.
Polit. Ansichten: Aleksandra Elbakjan lässt sich von den Ideen des Kommunismus leiten, ohne sich jedoch als konsequente Marxistin zu verstehen. Die polit. Überzeugung hält sie für eine persönl. Angelegenheit. Elbakjan steht den Aktivitäten der russ. liberalen Opposition ablehnend gegenüber. Sie befürwortet einen starken Staat, der dem Westen widerstehen u. seinen eigenen Entwicklungsweg wählen sollte. Sie ist gegen Korruption, stellt aber gleichzeitig fest, dass „die Unterstützung jeglichen Protests, solange er sich gegen die Behörden richtet, ihrer Meinung nach nicht sehr vernünftig“ sei, u. dass man dennoch „die Leute, die die Macht beanspruchen, sorgfältig betrachten sollte“. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem Leben in den USA u. der Meinung der dort lebenden Verwandten ist Elbakjan der Ansicht, dass das Leben in diesem Staat sich stark vom amerikan. Traum unterscheidet u. sich in eine negative Richtung entwickelt hat.
Reaktionen in den USA: Zum Jahresende 2019 berichtete die Washington Post über Ermittlungen der US-amerikan. Strafverfolgungsbehörden gegen Aleksandra Elbakjan wegen des Verdachts, "Sci-Hub" arbeite mit dem russ. militär. Nachrichtendienst GRU zusammen, um Militärgeheimnisse von US-amerikan. Rüstungsfirmen mittels Phishing zu erlangen. Verschiedenen Quellen zufolge werden oder wurden die entsprechenden Zugangsdaten zumindest teilweise ausser per Phishing auch via Hacking oder auf dem Schwarzmarkt käuflich erworben. Möglich sei auch eine freiwillige Weitergabe durch Universitätsmitarbeitende. Die New York Times verglich Elbakjan mit s. Edward Snowden, da sie unrechtmässigerweise Informationen veröffentlichte u. sich in Russland aufhält, um der US-amerikan. Justiz zu entgehen. Zumindest bis Ende 2016 gab Elbakjan ihren Aufenthaltsort nicht bekannt. 2021 schrieb sie auf "Twitter", dass "Apple2019 ihre vertraulichen Informationen auf rechtliche Anordnung hin an das FBI zu Ermittlungszwecken weitergeleitet habe.)

ELBAKJAN, Ekaterina Sergeevna II III IV V VI VII VIII IX X XI XII (sowjet. u. russ. Religionswissenschaftlerin, Spezialistin für philosoph. u. method. Grundlagen der Religionswissenschaft, religiöse Lehren u. Ideologien sowie für Geschichte u. Soziologie der Religionen in Russland. Studium der Philosophie an der Philosoph. Fakultät der MGU. Dissertation zum Thema "Das religiöse Phänomen im Bewusstsein der russ. Intelligenz des 19. - frühen 20. Jhs.“ zur Erlangung des Grads eines Doktors der Philosophie. 1992-2002 arbeitete sie in verschiedenen Stellungen am Forschungszentrum "Religion in der modernen Gesellschaft“ des "Russ. Unabhängigen Instituts für soziale u. nationale Probleme". Ab Dez. 2010 war sie leitende Forscherin am Institut für Weltgeschichte der RAW, 2012-17 Professorin an der Abteilung für Soziologie des Managements sozialer Prozesse an der Akademie für Arbeit u. soziale Beziehungen. Ehem. Direktorin des unabhängigen Zentrums für Religionsstudien "ReligioPolis“, Gründerin u. Chefredaktorin des Internetportals "Religiopolis.org". Leitende Sekretärin der Redaktion der wissenschaftl.-theoret. Zeitschrift Religiovedenie. Autorin von ca. 400 wissenschaftl. Arbeiten, darunter mehreren Monographien, u.a. einer Soziologie der Religion, u. eines Lehrbuchs sowie des grossen Nachschlagewerks "Religionen Russlands". Herausgeberin u. Mitglied der Redaktion mehrerer wissenschaftl. Publikationen u. von Forschungsprojekten zu theolog. Themen. Wissenschaftl. Übersetzungen aus dem Englischen. Mitglied des Vorstands der Vereinigung russ. Zentren für Religionswissenschaft, der "European Association for the Study of Religion" u. des Expertenrats der Religionsforscher des Zentralen Bundesdistrikts in der Abteilung für staatlich-konfessionelle Beziehungen der RANEPA. Ekaterina Elbakjan gilt in Fachkreisen als eine der führendsten u. angesehendsten zeitgenöss. russ. Religionswissenschaftler.)

ELMURZAEV, Sulejman Elmurzaevich (gew. Anführer der Separatisten-Rebellen der "Tschetschen. Republik Ichkerija", Teilnehmer am Einfall tschetschen. Rebellen in Dagestan im Aug./Sept. 1999, woraufhin er auf die Fahndungsliste Russlands gesetzt wurde. Feldkommandant u. Brigadegeneral des Abschnitts Vedeno der Ostfront der "Streitkräfte der Tschetschen. Republik Itschkerija". Er war Mitglied der persönl. Garde von s. Shamil Basaev, zu dessen engerem Kreis er gehörte, u. wurde von ihm zum Emir des "Jamaats" des Rayons Vedeno u. zu seinem Vertreter bei s. Abu al-Valid ernannt. Von seinem Status her war "Emir" Khajrullah, wie der einflussreiche Elmurzaev auch genannt wurde, in der Hierarchie annähernd ebenbürtig mit s. Rappani Khalilov u. s. Doku Umarov. Elmurzaev galt als einer der Hauptorganisatoren der Ermordung des Präsidenten der Tschetschen. Republik s. Akhmat Kadyrov im Mai 2004. Danach bezeichnete ihn Sohn s. Ramzan Kadyrov als persönl. Feind, da er „die Verantwortung für die Ermordung meines Vaters übernommen“ habe. Im Sept. 2006 verlieh der Präsident von "Ichkerija", s. Doku Umarov, Elmurzaev per Dekret den Rang eines Brigadegenerals u. ernannte ihn zum Kommandeur der neu gebildeten Südostfront der Streitkräfte von "Icherkija". Im März 2007 ernannte Umarov EImurzaev zum stv. Ministerpräsidenten von "Icherkija", verantwortlich für den sozioökonom. Bereich. Nach Angaben des Innenministeriums RF galt Elmurzaev-Khajrullah als wahrscheinlicher Nachfolger Doku Umarovs u. war mit Khalilov einer der gefährlichsten Rebellen, die auf dem Territorium der Tschetschen. Republik operierten. Nach Angaben des stv. tschetschen. MP der Kadyrov-Regierung s. Adam Delimkhanov u. des Innenministers der Republik Ruslan Alkhanov war Elmurzaev an zahlreichen schweren Verbrechen u. Terroranschlägen in Tschetschenien beteiligt. Es wurde darauf hingewiesen, dass Elmurzaev einer derjenigen war, die öffentlich seine Beteiligung an der Ermordung Akhmat Kadyrovs erklärten. Ramzan Kadyrov zufolge war er „auch an der Ermordung von Zivilisten, Schulleitern u. Vertretern der Verwaltung u. Zivilgesellschaft beteiligt gewesen.“ Nachdem er offenbar bereits im Nov. 2004 liquidiert werden sollte, wurde EImurzaev Anfang April 2007 während einer vom tschetschen. UFSB u. Innenministerium organisierten Sonderoperation getötet. Zum Zeitpunkt seines Todes stand er auf der internationalen Fahndungsliste von "Interpol". Im Okt. 2007 wurde ihm per Dekret des Präsidenten der Tschetschen. Republik "Ichkerija" Umarov posthum der höchste Orden der Tschetschen. Republik "Ichkerija", "Kъoman Sij“ /Ehre der Nation/, verliehen.)

ENTEO, Dmitrij Sergeevich (Bekannt für seine schockierenden und provokanten Aktionen. Als junger Kreationist der Erde vertritt er die Unwissenschaftlichkeit der Evolutionstheorie.

EPSHTEJN, Alek Davidovich IIa IIb III IVa IVb V VI VIIa VIIb VIII IX X XI XII XIII XIV XV (russ.-israel. Soziologe, Politologe, Historiker u. oppositioneller Zivilgesellschaftsaktivist. Absolvent der Hebräischen Universität von Jerusalem, Israel. Doktor der Soziologie. Seine PhD-Dissertation war der Bildung der israel. polit. Kultur in der Periode der Hegemonie der Arbeiterbewegung gewidmet. Seit 1999 ist er Mitarbeiter der Soziologie-, Politologie- u. Kommunikationsabteilung der Offenen Universität von Israel. Er lebt u. arbeitet in Jerusalem u. Moskau. Während 12 Jahren lehrte er Soziologie an der Judaistikabteilung des Lehrstuhls für die Länder Afrikas u. Asiens der MGU. Ferner schloss er auch mit den Universitäten von Nizhnij Novgorod, Ekaterinburg, Tomsk u. Kazan Zusammenarbeitsverträge. Ausserdem leitete er die interkulturellen Dialoge zwischen Wissenschaftlern u. Lehrern aus der ehem. UdSSR u. ihren israel. Kollegen. Epshtejn gilt als Experte für israel. Geschichte u. Politik u. für den arab.-israel. Konflikt. Er forscht zum Beitrag der Intellektuellen zur Entstehung der Zivilgesellschaft, zur Entwicklung des zivilen Ungehorsams als Indikator des Wandels der zivilen-militär. Beziehungen, befasst sich aber auch mit den israel.-russ. Beziehungen, der Geschichte des sowjet. u. postsowjet. Judentums u. der polit. Situation in Russland. Er nimmt an zahlreichen wissenschaftl. Ausbildungsprojekten u. verschiedenen Menschenrechtsinitiativen in den beiden Ländern teil. Epshtejn tritt für Grundrechte u. Gleichberechtigung aller Menschen ein, unterstützt gleichgeschlechtliche Ehen, spricht sich zugunsten der Adoption von Kindern durch homosexuelle Paare aus, ist ein Gegner der Todesstrafe u. lehnt die Idee eines starken Nationalstaats ab. Damit positioniert er sich eindeutig in Opposition gegenüber dem ultrakonservativ-nationalist. Putinstaat u. gerät wohl auch in Widerspruch zu den ultraorthodoxen Einstellungen in Israel. Epshtejn ist Autor von über 160 Beiträgen in verschiedenen Fachzeitschriften u. Sammelbänden u. von über 14 Büchern über Israel, den Nahen Osten u. Russland, die in Moskauer u. Jerusalemer Verlagen auf Russisch veröffentlicht wurden. V.a. seine Bücher "Die Gedankenpolizei. Macht, Experten u. der Kampf gegen den Extremismus im modernen Russland" /Полиция мыслей. Власть, эксперты и борьба с экстремизмом в современной России, Moskau 2011 II III/, das er zusammen mit Oleg Vasilev schrieb, u. "Beschützung der Macht vor der Gesellschaft: Zehn Jahre «Antiextremismus»-Kampagne´ in Russland" /Защищая власть от общества. Десять лет «антиэкстремистской» кампании в России, Moskau 2012 II/ waren unter den wichtigsten Werken über das intellektuelle Andersdenken im russ. öffentl. Leben der Gegenwart. Mit den Büchern "Der totale Krieg: Kunstaktivismus in der Zeit der Tandemokratie", "Kunst auf den Barrikaden: Pussy Riot, die Buss-Ausstellung u. der Protestkunstaktivismus" /II/ u. "Der spirituelle Zank. Der Kampf der sakralen Bilder des Christentums für ein neues Leben in der Kunst", ein Projekt von von Viktor Bondarenko u. Evgenija Malceva, trug er als Kunstsoziologe u Zivilaktivist weiter zu seiner Bekanntheit bei. 2012 stiftete er den "Alternativen Preis für Kunstaktivismus in Russland" u. ist seither als Vorsitzender der Jury tätig. Als Preisträger wurde u.a. die vom Kreml u. dem MP der russ.-orthod. Kirche verfogte Frauenpunkgruppe "Pussy Riot" ausgewählt. Epshtejns Name ist in der 5. Ausgabe von "2000 Outstanding Intellectuals of the 21st Century“ u. in "Who is Who in the World“ - alle Ausgaben von 2008-16 - enthalten.)

ERDOĞAN, Recep Tayyip II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV (türkischer Spitzenpolitiker, Vorsitzender der AKP, seit Aug. 2014 der 12. Präsident der Republik Türkei. Enger Partner Russlands u. des Präsidenten RF V.V. Putin. Nach einer anfänglichen Phase der Liberalisierung nahm Erdoğans Präsidentschaft zunehmend autoritäre Züge an. Schon ab etwa 2010 stellte der tonangebende AKP-Chef noch als Regierungschef in seinen massenaufputschenden demagogischen Reden immer wieder Islam-religiöse u. nationalist. Bezüge her. 2018 wurde in der Türkei sogar ein Präsidialsystem nach Erdoğans Geschmack eingeführt, wobei das Amt des Regierungschefs kurzerhand abgeschafft wurde u. Erdoğan so etwas wie die Stellung eines nationalen Führers einnahm. Den Staatsnamen Türkei liess er in der UN u. NATO auch im Englischen als "Türkiye" umbenennen, um das Land vom Namen "Turkey", dt. Pute, zu unterscheiden. Die schlechte Menschenrechtslage u. die Einschränkungen der Medienfreiheit, die immer härtere Unterdrückungs- u. Verfolgungspolitik des Erdoğan-Regimes gegenüber Oppositionellen, Journalisten u. Andersdenkenden, einschliesslich der Kurden, die von türk. u. westl. Kritikern mit der Situation in Russland u. islam. Schurken- u. Terrorstaaten verglichen wurde, führte praktisch zum Zerwürfnis zwischen ihm bzw. der Türkei einerseits u. dem Westen, v.a. der EU, andererseits. Für die EU, v.a. für dt. Politiker, stand nun eine Wiederbelebung der Beitrittskandidatur der Türkei für eine lange Zeit ausserhalb jeder Diskussion. Der erzürnte Staatschef, der wie ein osman. Sultan auftrat, distanzierte sich wütend von der EU, stiess am laufenden Band polit. unkorrekte Äusserungen u. Beleidigungen aus u. trat in Deutschland – wohl auch zur Freude Putins u. einiger Russlanddeutscher – lautstark u. aggressiv bei international Aufsehen erregenden Massenkundgebungen von Erdoğan- u. AKP-treuen Deutschtürken auf, um die Werbung für seine Wiederwahl u. die Wahl der AKP zu verstärken, wobei die Bundesregierung unter Kanzlerin s. Angela Merkel trotz vermutlicher Sicherheitsbedenken gelassen reagierte. Die Mehrheit der Deutschtürken wählten dann auch "ihren" Präsidenten wieder, während die türk.  Staatsangehörigen in der Schweiz, meist Kurden, sich gegen Erdoğan aussprachen u. andere Parteien wählten.
Beziehungen der Türkei zu Russland u. Verhältnis Erdoğans zu V.V. Putin: Während der Zeit des Kommunismus war das Verhältnis zwischen der Sowjetunion u. der Türkei politisch ziemlich angespannt /II/. Zu Beginn des 21. Jhs. herrschte in den Beziehungen zwischen beiden Ländern das Prinzip der wirtschaftl. Zusammenarbeit vor, wobei der Handelsumsatz zwischen der Türkei u. Russland zwischen 2002 u. 2011 kontinuierlich stieg. D
ie Beziehungen zwischen den beiden Ländern begannen sich zu verbessern, insbes. nach 2003, als Erdoğan Ministerpräsident der Türkei wurde. Die bilateralen Beziehungen hängen also weitgehend vom guten oder schlechten Verhältnis beider Staatsoberhäupter Erdoğan u. Putin ab, wobei die Stimmung zwischen diesen beiden unberechenbaren Despoten jederzeit ins Gegenteil umschlagen kann, wie der Zwischenfall mit dem Flugzeugabschuss in Syrien, die Krym-Annexion u. der Ukrainekonflikt zeigen, s. unten. Erdoğans Verhältnis zu Putin u. vice versa ist jedoch ambivalent u. wohl v.a. von polit. u. wirtschaftl. Interessen getrieben, wobei es sich bei diesen beiden grausamen Herrschern wohl auch um Rivalen handelt. Früher übte Erdoğan noch mehrfach Kritik an seinem russ. Kollegen, etwa im Zusammenhang mit seiner Unterstützung der Regierung s. Bashar al-Assads im syrischen Bürgerkrieg. Beobachter meinten, eine Art der "Männerfreundschaft“ zwischen dem Türken u. dem Russen zu erkennen. Die angeblich gute Freundschaft zwischen dem russ. u. türk. Autokraten wurde von der westl. Presse wiederholt bezweifelt – es soll sich um nicht mehr als eine rein pragmat. Beziehung, um ein Zweckbündnis bzw. eine taktische Partnerschaft zwischen Nachbarn handeln, wobei gemeinsame antiwestliche Reflexe zweier sich gedemütigt fühlender Politmachos aus dem Osten eine Rolle spielen dürften. Ob Erdoğan u. Putin mehr Partner oder Rivalen darstellen, bleibt unklar. Im Vordergrund des Interesses beider Länder stehen eindeutig Wirtschafts- u. Handelsbeziehungen  sowie die "kontrollierte Rivalität um die Vorherrschaft in der Schwarzmeerregion sowie beim Einfluss im Kaukasusgebiet u. in den zentralasiat. Turkstaaten wie auch im Nahen Osten. Die bilateralen Beziehungen wurden immer wieder durch unvorhergesehene Zwischenfälle belastet u. gestört u. gestalten sich nicht einfach. Das gegenseitige persönl. Misstrauen zwischen diesen beiden nationalist. Polithardlinern, die vor 2 Jahrzehnten als aufsteigende Nobodys aus dem Hinterhof an die Macht gelangten, die sie usurpierten, um ihren rückständigen Ländern zu neuer internationaler Grösse zu verhelfen, beileibe nicht zu unterschätzen. Nicht der demokrat. verfasste Rechtsstaat westlichen Typs ist ihr Ideal, sondern bei ihnen gelten v.a. Kriterien wie persönl. Loyalität, Gehorsam, Unterwerfung, Heuchelei, Vertrauen, Ehre, Verrat u. Beleidigung, die als zentrale Kategorien ihrer Machtausübung die Hauptrolle spielen. Damit gleichen sie eher klassischen orientalischen Despoten als demokrat. Staatschefs. Während ihrer langjährigen persönl. Einzelherrschaft als Regierungschefs oder Staatspräsidenten nahmen beide wohl auch aus Rache gegenüber anderen, Kritikern u. Gegnern, schwere Rechtsverletzungen der übelsten Sorte in Kauf, weshalb sie eigentlich nicht in einen Regierungspalast gehören, sondern wegen zahlreicher mutmasslicher polit. u. Wirtschaftsverbrechen vor Gericht gestellt werden müssten.
Erdoğan u. Putin trafen sich wiederholt in Russland, in der Türkei oder in einem Drittstaat, wo sie sich Seite an Seite demonstrativ als Verbündete fotografieren liessen. Ihre gemeinsamen Auftritte dienen wohl auch dem Zweck, die westl. "Partner" - eigentlich Feinde - zu provozieren, verärgern u. verunsichern. Putin meidet zwar den Besuch von NATO-Staaten, aber die Türkei bildet wohl eine Ausnahme. Im Dez. 2004 stattete V.V. Putin als Präsident RF der Türkei einen Besuch ab; dies war der erste Besuch eines Präsidenten RF in der Geschichte der modernen russ.-türk. Beziehungen – es scheint, dass Präsident s. Boris Elcyn die Türkei mied. Im Nov. 2005 nahm Putin an der Einweihung der gemeinsam gebauten Blue-Stream-Gaspipeline in der Türkei teil. Im Mai 2010 unterzeichneten Ankara u. Moskau anlässlich eines offiziellen Besuchs des damaligen Präsidenten RF s. Dmitrij Medvedev eine Reihe von Abkommen zur Entwicklung der Zusammenarbeit im Energie- u.a. Bereichen, darunter zum Bau des ersten türk. Kernkraftwerks mit russ. Finanzierung, u. zur Visumfreiheit für Touristen beider Länder. Nach der Annexion der Krym durch Russland von 2014 erklärte Erdoğan wiederholt, dass er diesen "Beitritt" der Krym zur RF „prinzipiell nicht anerkennt". Im März 2015 erklärte der stv. türk. Wirtschaftsminister Adnan Yıldırım, dass die Frage einer Freihandelszone zwischen Russland u. der Türkei auf der Tagesordnung stehe. Im Okt. gab der russ. Minister für wirtschaftl. Entwicklung s. Aleksej Uljukaev bekannt, dass Russland u. die Türkei ein Abkommen über eine Freihandelszone im Bereich Dienstleistungen u. Investitionen vorbereiten. Am 23. Sept. 2015 reiste "Sultan" Erdoğan nach Moskau, um mit "Zar" Putin die neue Dschuma-Hauptmoschee zu eröffnen. Nach Beginn der russ. Militäroperation in Syrien Ende Sept. 2015 verschlechterten sich die Beziehungen zwischen der Türkei u. Russland rasant, v.a. als Russland Luftangriffe auf Stellungen der gegen Assad kämpfenden Rebellen in Syrien zu fliegen begann u. es zu mehreren Zwischenfällen zwischen dem russ. u. türk. Militär kam. Der Tiefpunkt der bilateralen Beziehungen wurde erreicht, als am 24. Nov. ein türk. Jagdflugzeug wohl aus Versehen eine russ. Su-24-Maschine wohl im syrischen Luftraum abschoss, wobei der russ. Pilot ums Leben kam. Russland verhängte Sanktionen gegen die Türkei u. hob die Visumfreiheit auf. Ankara  verweigerte eine Entschuldigung für den Zwischenfall. Um das sonst gute Verhältnis zwischen den beiden Ländern bzw. Staatschefs nicht weiter unnötig zu belaslen, drückte Erdoğan - erst - im Juni 2016 in einer Botschaft an Präsident Putin sein tiefes Beileid zum Tod des Piloten aus u. entschuldigte sich bei seiner Familie. Nach einem Telefongespräch zwischen Erdoğan u. Putin ordnete der russ. Staatschef die Aufhebung der administrativen Beschränkungen für Touristen, die die Türkei besuchen, u. die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit im Handels- u. Wirtschaftsbereich an. Das Telefongespräch zwischen Putin u. Erdogan sollte den Beginn der Wiederaufnahme des polit. Dialogs zwischen den beiden Staaten markieren. Als Mitte Juli 2016 in der Türkei ein Putschversuch von Teilen des türk. Militärs mit dem Ziel stattfand, die türk. Regierung mitsamt Staatspräsident Erdoğan u. dem Kabinett Yıldırım zu stürzen, eilte Putin seinem bedrängten türk. Amtskollegen quasi zu Hilfe u. nahm mit ihm noch vor den Staatsoberhäuptern von NATO-Mitgliedsländern Kontakt auf. Der russ. Auslandsgeheimdienst soll von den Putschplänen gegen die türk. Regierung gewusst haben u. hatte möglicherweise Präsident Erdoğan in letzter Sekunde davor gewarnt. Im Aug. 2016 stattete Erdoğan Putin in St. Petersburg einen Besuch ab /II/, wobei in der Westpresse von einem Neustart der gegenseitigen Beziehungen die Rede war. Gleichzeitig wurde darüber spekuliert, ob die beiden "Verschwörer" ein Anti-EU-Bündnis schmieden wollen. Im Dez. 2016 wurde der Botschafter RF in der Türkei, Andrej Karlov, in Ankara durch Schüsse eines zivil verkleideten türk. Polizisten mit Dschihad-Hintergrund ermordet, wobei das Aussenministerium RF von einem Terrorakt sprach. Die Regierungen der Türkei u. Russlands wollten in dem Anschlag einen Versuch gesehen haben, um ihren Annäherungskurs zu torpedieren. Die türk. Führung selbst, die sich zunehmend paranoid gegenüber vermeintlichen Staatsfeinden gebärdete, beschuldigte Erdoğans Erzfeind Fethullah Gülen, den Mord organisiert zu haben, wobei diese Version bezweifelt wurde. Ab Ende 2016 kooperierten Russland u. die Türkei beim Militäreinsatz in Syrien. Zur Überwachung der Einstellung der Kriegshandlungen wurde eine russ.-türk. Kommission eingesetzt u. ein Memorandum zur Gewährleistung der Sicherheit militär. Luftfahrtflüge beider Länder unterzeichnet. Im Jan. 2017 begannen die russ. Luftstreitkräfte zum ersten Mal in der Geschichte gemeinsam mit der türk. Luftwaffe, Terrorgruppen in Syrien anzugreifen. Zum Entsetzen der NATO hatte die Türkei begonnen, russ. Waffen zu bestellen, v.a. das S-400-System für eine vertragliche Gesamtsumme von ca. 2,5 Mrd. USD. Danach wurde von Seiten der USA die Auslieferung der ersten F-35-Flugzeuge an die Türkei gestoppt. 2018 reiste Erdoğan erneut nach Sotschi, u. Putin fuhr in die Türkei, wo er sich bei einem Dreiergipfel in Ankara mit Erdoğan u. dem iran. Staatsoberhaupt Rohani  fotografieren liess. Im Okt. 2019 unterzeichnete Erdoğan bei einem Treffen mit Putin in Sotschi /II/, Russland, ein Abkommen über die Schaffung einer "Pufferzone“ in Nordsyrien u. die gemeinsame Überwachung der syrisch-türk. Grenze. Im März 2020 einigten sich Erdoğan u. Putin bei Gesprächen in Moskau auf einen Waffenstillstand in der syrischen Provinz Idlib nach einer Reihe bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen den türk. u. syrischen Streitkräften. Nachdem die Türkei im Okt. 2020 das russ. S-400-System auf einem Raketentestgelände am Schwarzen Meer getestet hatte, drohten die USA mit Wirtschaftssanktionen, sollte die Türkei das System in Betrieb nehmen. Im Dez. verhängte die scheidende Regierung Trump wegen der Beschaffung des Systems in der Tat Sanktionen gemäss CAATSA gegen das dem Büro des Präsidenten der Türkei unterstellte Direktorat für Verteidigungsindustrie. Im Sept. 2021 reiste Erdoğan erneut nach Sotschi, um über den Syrienkrieg zu beraten.

Ukrainekrieg ab 2022: Während des von Putin im Feb. 2022 entfesselten russ. Angriffskriegs gegen die Ukraine, bei dem der NATO-Staat Türkei auf die Beteiligung an westlichen Sanktionen gegen Russland verzichtete u. sich als neutraler Vermittler inszeniert, schlossen die beiden Kriegsparteien unter Vermittlung der Türkei u. der UN 2022 ein Abkommen für den sicheren Transport von Getreide u. Lebensmitteln aus ukrain. Häfen über das Schwarze Meer via den Bosporus. Dennoch ist in diesem Krieg das Verhältnis gegenüber Russland ambivalent. Zwar lieferte die Türkei der Ukraine Kampfdrohnen, aber Erdoğan liess sich mit den Worten zitieren: „Als Türkei haben wir immer eine Politik des Gleichgewichts zwischen der Ukraine u. Russland gepflegt, von nun an werden wir diese ausgewogene Politik weiter verfolgen." Im Juli 2022 liess sich Erdoğan bei einem Dreiergipfel in Teheran, Iran, mit Putin u. dem iran. Präsidenten Raisi demonstrativ Seite an Seite fotografieren, wobei in der internationalen Presse die Frage aufgeworfen wurde, ob am Flughafen auch wirklich der echte Putin oder ein Doppelgänger dem Flugzeug entstiegen war. Das Gespräch zwischen Erdoğan u. Putin in Teheran soll sich um die Verhandlungen über die Ausfuhr ukrain. Getreides aus dem blockierten Hafen von Odessa gedreht haben. Im Aug. reiste Erdoğan nach Sotschi, Russland, um über die weitere Kooperation rund um die Ukraine u. Syrien zu reden /II/. Im Sept. verurteilte Erdoğan bei einem Treffen mit dem serb. Präsidenten s. Aleksandar Vuèiæ in Belgrad die „provokative“ Politik des Westens gegenüber Russland, nachdem die EU u. die G7-Staaten eine Preisobergrenze für russ. Gas vorgeschlagen hatten, u. spottete darüber, wie die Leute im Westen ohne russ. Gas den Winter überwinden wollen. Die Schuld für die aktuelle Energiekrise gab er Europa die Schuld; wegen der Sanktionen habe Europa „geerntet, was es gesät" habe. Putin setze „alle seine Mittel u. Waffen ein", Erdgas sei „das wichtigste davon". Gleichzeit warf er dem Westen vor, die Ukraine nur mit Schrott" an Waffen zu beliefern u. meinte wohl die Panzer-Ringtausche. Bei einem Treffen in Kasachstan. Im Okt. 2022 schlug Putin bei einem Treffen mit Erdoğan in Kasachstan den Bau einer weiteren Gaspipeline u. die Schaffung eines Gashubs in der Türkei vor, um andere Länder, auch europäische, mit Brennstoffen aus dem Osten zu versorgen. Im Dez. erklärte Erdoğan gegenühber Putin, er wünsche sich, dass der Krieg in der Ukraine „so schnell wie möglich" beendet werde. Im April 2023 fand eine Zeremonie zur Lieferung von Kernbrennstoff an das Kernkraftwerk "Akkuyu" in der Südtürkei statt, an der die Präsidenten RF u. Türkei, Putin u. Erdoğan, per Videokonferenz teilnahmen. Nach einem Schwächeanfall während einer Wahlveranstaltung machte Erdoğan einen ziemlich müden Eindruck. Akkuyu ist das erste Kernkraftwerk der Türkei, das von "Rosatom" gebaut wurde, dessen Unternehmen fast 100% des Kapitals von "Akkuyu Nuclear" besitzen. Putin sagte bei der Zeremonie, dass die beiden Länder beabsichtigten, die Zusammenarbeit bei Wirtschaft u. Handel weiter zu stärken, u.a. mit dem Ziel, den Handelsumsatz zu steigern, der 2022 62 Mrd. USD überstieg. Bei der Präsidentschaftswahl vom Mai 2023 wurde Erdoğan trotz der allgemeinen miserablen Wirtschafts- u. Menschenrechtslage, einer ausufernden Inflation u. Korruption, trotz eines verheerenden Erdbebens in der Osttürkei u. trotz eines ziemlich starken Oppositionsbündnis in der Stichwahl mit 52,2% der Wählerstimmen wiedergewählt, während sein Kontrahent Kemal Kılıçdaroğlu auf 47,8% der Stimmen kam. Putin war einer der Ersten, die Erdoğan zur Wiederwahl gratulierte u. seinen türk. Amtskollegen bei dieser Gelegenheit einen lieben Freund" nannte. Der wiedergewählte u. ewige türk. Staatschef bildete das Kabinett Erdoğan V, in dem übrigens der langjährige Aussenminister Mevlüt Çavuºoğlu nicht mehr vertreten war. Eine Kapriole leistete sich die Türkei unter der Regie Erdoğans im Fall des NATO-Beitritts Finnlands u. Schwedens, die infolge des russ. Überfalls auf die Ukraine eine NATO-Mitgliedschaft anstrebten. Erdoğan kündigte an, dass die Türkei als NATO-Mitglied ein Veto gegen den Beitrittsprozess dieser beiden Länder einlegen werde. Die skandinavischen Länder, insbes. Schweden, nannte er „ein Gästehaus für Terrororganisationen“, weil sie PKK- u. YPG-Leuten Asyl gewährten. Während die Türkei im März 2023 Finnland grünes Licht gab, im April NATO-Mitglied zu werden, stemmte sie sich - zusammen mit Ungarn - weiter hartnäckig gegen den Beitritt Schwedens. Nachdem Erdoğan am 10. Juli 2023 noch eine Wiederaufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen zur Voraussetzung für seine Zustimmung zum NATO-Beitritt Schwedens gemacht hatte, erklärte er noch am selben Tag, dass er dem NATO-Beitritt Schwedens zustimmen werde. Moskau reagierte erwartungsgemäss gereizt auf den NATO-Beitritt der beiden bisher neutralen Ostseeländer in unmittelbarer Nachbarschaft Russlands.
Wende in der Beziehung zu Putin? Während des Kriegs bemühte sich Erdoğan verstärkt um gute Beziehungen sowohl zu Russland als auch zur Ukraine. Nach seiner Wiederwahl schien er jedoch eine auffallend freundliche Haltung gegenüber des ukrain. Präsidenten s. Volodymyr Zelenskyj einzunehmen, die mit der Signalisierung einer unerwarteten Wiederannäherung an die EU verbunden sein sollte. Dieses scheinbare Manöver hinterliess den Eindruck, als wollte er die Beziehungen zu Russland u. Putin zugunsten der Ukraine u. deren Präsidenten Zelenskyj verändern. Als Erdoğan am 7. Juli Zelenskyj in Istanbul empfing, gefangene Azov-Kommandanten in die Ukraine zurückkehren liess u. im Anschluss an das Treffen überraschend verlauten liess, dass die Ukraine eine Mitgliedschaft in der NATO verdient /II/ habe, war das Erstaunen gross, während die Brüskierung Putins perfekt gewesen sein muss. Ob diese unerwarteten diplomat. Winkelzüge eine Abwendung Erdoğans von Putin u. einen Wendepunkt im türk.-russ. Verhältnis markieren, wie die westl. Presse spekulierte, blieb unklar; einen Bruch zwischen Ankara u. Moskau schienen sie nicht zu bedeuten. A
m 17. Juli weigerte sich Russland, das von der Türkei vermittelte Getreideabkommen mit der Ukraine zu verlängern. Dies ist ein Beispiel, bei dem man das unheilvolle Intrigenspiel der angesprochenen Rivalität zwischen der Türkei u. Russland bzw. zwischen Erdoğan u. Putin gut beobachten kann - Putin verfügt jederzeit über Hebel, diplomat. zurückzuschlagen, um den Einfluss der Türkei zu unterminieren. Im Juni hatte Erdoğan Putin für Aug. in die Türkei eingeladen. Obwohl der Potentat Erdoğan den Potentaten Putin manchmal zappeln lässt, kann er vermutlich dennoch nicht ganz auf den Kremlherrscher verzichten. Bei einem Treffen Erdoğans mit Putin in Sotschi von Anfang Sept. 2023 liess der rachsüchtige russ. Machthaber seinen türkischen "Freund" abblitzen u. stellte Forderungen an den Westen in Bezug auf das Getreideabkommen /II III IV V VI/. In der Presse ist von einem Machtpoker Erdoğans mit Putin die Rede.) 4.9.23

ERLER, Gernot II III IV V (ehem. dt. Politiker /SPD/. Studium der Geschichte, Slavischen Sprachen u. Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin u. der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br., Staatsexamen für das Lehramt. Er arbeitete als Verlagsredaktor, wissenschaftl. Mitarbeiter am Seminar für Osteuropäische Geschichte der Universität Freiburg i.Br. u. als Verlagsleiter in Freiburg. In der SPD engagierte er sich auf kommunaler Ebene, dann als Vorsitzender des SPD-Kreisverbands Freiburg u. gehörte dem SPD-Landesvorstand u. dem SPD-Präsidium in Baden-Württemberg an. Ab 1987 war er Mitglied des Deutschen Bundestags, gehörte dem SPD-Fraktionsvorstand an u. war bis 2005 stv. Vorsitzender dieser Fraktion mit der Zuständigkeit für Aussen-, Sicherheits- u. Entwicklungspolitik sowie Menschenrechte. 2017 kandidierte er nicht mehr für den Bundestag. 2005-9 war er Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen u. 2014-18 Russland-Beauftragter der Dt. Bundesregierung im Kabinett Merkel III. Das Amt, bis 2013 mit alleiniger Zuständigkeit für Russland, wurde 2003 während der Amtszeit Joschka Fischers auf Erlers Initiative hin eingerichtet. Erler war ferner Vorsitzender des Deutsch-Bulgarischen Forums, Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft /2000-20), Vorsitzender der West-Ost Gesellschaft Südbaden e.V., sass im Vorstand der Deutsch-Kasachischen Gesellschaft u. im Stiftungsrat des Instituts für Ost- u. Südosteuropaforschung. Er war Mitglied im Lenkungsausschuss des dt.-russ. "Petersburger Dialogs". Des Weiteren ist er Mitglied des Kuratoriums des Dt.-Aserbaidschan. Forums. Autor mehrerer Beiträge u. Bücher zu Fragen u. Themen Russlands, u.a. "Die russ. Wahlen u. die Verantwortung des Westens". In: D. Weirich: Russland vor den Wahlen. Deutsche-Welle-Forum. Bd. 1/1995; "Geopolit. Denken in Russland nach der NATO-Osterweiterung". In: G. Gorzka u.a.: Auf der Suche nach einer neuen Identität. Russland an der Schwelle zum 21. Jh. 1998; "Osterweiterung: Stolpersteine auf Europas Weg in die Zukunft". In: Südosteuropa Mitteilungen. Bd. 40, Nr. 2/2000; "Die Russland-Politik des IWF oder das organisierte Verhängnis". In: G. Gorzka u.a.: Russlands Weg zur Zivilgesellschaft. Zentralismus ... 2000; "Der Fall Chodorkovskij. Zur Tomographie eines polit. Konflikts." In: Wohin steuert Russland unter Putin? Der autoritäre Weg in die Demokratie. 2004; "Russland kommt. Putins Staat – der Kampf um Macht u. Modernisierung." 2005; Weltordnung ohne den Westen? 2018.)

ERNST, Konstantin Lvovich II III IV V VI VII VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIXa XIXb XIXc XX XXI XXII XXIII XXIV XXV XXVI (sowjet. u. russ. Biowissenschaftler, TV- u. Filmproduzent, kremlnaher TV-Moderator u. -manager, Regisseur, Drehbuchautor. Seit 1999 Intendant / Generaldirektor / CEO des russ. halbstaatl. TV-Kanals "ORT" bzw. seit 2002 "1. Kanal". Sein Ururgrossvater hiess Leo Ernst u. war ein dt. Maschinist, der im Zusammenhang mit dem Bau der Eisenbahn Moskau-Nizhnij Novgorod aus Deutschland in das Gouvernement Vladimir kam. Er heiratete eine Russin u. wurde russifiziert. Konstantin Ernst verbrachte seine Kindheit u. frühen Jahre in Leningrad, wo sein Vater als anerkannter Biologe mit bedeutender Stellung sich mit Tierhaltung, Genetik u. Biotechnologie beschäftigte. Absolvent der Fakultät für Zooingenieure der nach K.A. Timirjazev benannten Moskauer Landwirtschaftsakademie u. der nach A.A. Zhdanov benannten Biologie- u. Bodenfakultät der Leningrader Staatsuniversität. Kandidat der Biowissenschaften mit einer entsprechenden Dissertation in Biochemie. Nach dem Studienabschluss arbeitete er in einem Leningrader Forschungsinstitut u. beschäftigte sich mit Gentechnologie. Ein Angebot für eine anschliessende zweijährige Ausbildung an der University of Cambridge, UK, schlug er aus, denn er beabsichtigte - zum Verdruss seines Kollegenumfelds -, seine akadem. Laufbahn als Biologe, die er auf Drängen seines Vaters eingeschlagen hatte, an den Nagel zu hängen, um seinen Kindheitstraum, in der Film- u. Kinobranche zu arbeiten, seine eigentl. Leidenschaft, zu verwirklichen. Nach der Kündigung seiner Anstellung im Institut kehrte er nach Moskau zurück, wo seine neue Wirkungsstätte zunächst die kreative Produktionsvereinigung "Videofilm“ wurde, bei der er 1988 mit seinem ersten Werk als Regisseur u. Produzent "debüttierte" – ​​dem Dokumentarfilm "Radio der Ruhe“, der dem Leningrader Konzert der sowjet. Rockgruppe "Aquarium" um s. Boris Grebenshchikov /II/ u. dem britischen Pop-Duo "Eurythmics" im Rahmen der Präsentation des ersten US-amerikan. Albums Grebenshchikovs "Radio Silence" gewidmet war /II III/.
"Vzgljad" u. "Matador": Anschliessend stieg Ernst beim populären TV-Programm "Vzgljad" /Blick/ ein, einem Medienssymbol der Gorbachjovschen Perestrojka, das unter der Leitung Anatolij Lysenkos im Zentralen Staats-TV u. -Rundfunk der UdSSR als eine Art Politmagazin neuen Stils mit eigenen, unabhängigen Recherchebeiträgen produziert wurde u. v.a. ein jüngeres u. urbanes Publikum ansprach. Typische Themen von "Vzgljad" waren Korruption in der KPdSU u. der sowjet. Regierung, Afghanistankrieg u. der DIssident Andrej Sakharov. Bei "Vzgljad" fungierte Ernst als Interviewer, Drehbuchautor u. Regisseur. Er gehörte zu einer kleinen Gruppe von Journalisten u. TV-Produzenten, die mit neuen Inhalten, Stilen u. Techniken experimentierten. Sein erster Beitrag war ein Interview mit der ChemikerinHochschullehrerin u. Politikerin Nina Andreeva, wobei Ernst u. sein Kollege Evgenij Dodolev vorgaben, BBC-Korrespondenten zu sein. Darüber hinaus drehte Ernst einen kurzen Spielfilm u. ein Musikvideo. 1989 schlug Lysenko Ernst vor, mit der Arbeit an seiner eigenen TV-Sendung zu beginnen. Die erste Ausgabe dieser künstlerisch-journalist. Kultursendung mit dem Titel "Matador“ /II/ wurde Anfang Jan. 1991 ausgestrahlt. Die Sendung befasste sich hauptsächlich mit dem Kino, der Kultur, Musik, Mode, Werbung u. mit bedeutenden Ereignissen wie die Filmfestspiele von Venedig, Pariser Modewoche, Sanfermines-Festlichkeiten in Pamplona, aber auch mit dem Leben u. Werk des spanischen Couturiers Paco Rabanne, dem Schöpfer der "Benetton"-Werbekampagnen Oliviero Toscani, dem Chansonnier Serge Gainsbourg, der Filmschauspielerin Marilyn Monroe u. den Regisseuren Jean-Luc Godard, Wim Wenders u. Rainer Werner Fassbinder. In der etwas schrägen Sendung lief Ernst mit schwarzer Lederjacke, langer Mähne u. einem drahtlosen Mikrofon herum. /Joshua Yaffa, Der Überlenskünstler, S. 56/ "Matador“ lief 1991-95 zunächst im 1. Programm der Zentralen TV, dann in den Sendern "Ostankino“ u. "ORT", der nach der Privatisierung vom Oligarchen s. Boris Berezovskij als Hauptaktionär kontroliert wurde. Die letzte Ausgabe der Sendung war dem Karneval von Venedig gewidmet. Inzwischen wurden Ernst u. seine Kollegen von der schockierenden Meldung getroffen, dass Vladislav Listev, ein ehem. vertrauenshafter Mitarbeiter Ernsts von "Vzgljad" u. Generaldirektor von "ORT", in Moskau von Unbekannten ermordet wurde. In einem teilweise vertraulichen u. verbotenen Interview des Journalisten Evgenij Levkovich mit Ernst von 2008, das im April 2013 auf der Website des Magazins Snob  /  II  III IV V VI VII VIII/ erschien u. in dem Ernst unter ausgeschaltetem Mikrofon eine Reihe heikler Themen ansprach, die von seinen eigenen Aktivitäten als CEO bis hin zur Zensur in der TV reichten, antwortete Ernst auf die Frage nach der Ermordung Vladislav Listevs, dass er trotz seiner Abneigung gegenüber Boris Berezovskij nicht der Meinung sei, dass er den Mord angeordnet hatte. Dieser habe mit Listevs Entscheidung zusammengehängt, die Reklame im "1. Kanal" zu entfernen, was einigen Werbeleuten gar nicht gefallen habe. Und er wisse auch, in welchen Kreisen die Täter zu suchen seien. Nach der Ermordung Listevs habe Ernst Sicherheitspersonal in Anspruch genommen, um das Schicksal seines Vorgängers zu vermeiden. Zu Beginn seiner Arbeit bei "ORT" habe jemand nachts auf seine Wohnung im 2. Stock geschossen, wobei die Fensterscheibe in die Brüche ging. Nach dem Ende der TV-Sendung brachte Ernst "Matador" mit insgesamt etwa 25 Ausgaben bis Ende 1998 im Format des gleichnamigen Hochglanzmagazins über Kultur u. Kunst neu auf den Markt.
Produktionsleiter von "ORT", 1995-2001: Ernst selbst sagte, dass er am Vorabend der Privatisierung von "ORT" von Listev den Vorschlag der Position des stv. Generaldirektors erhalten, ihn aber abgelehnt habe, weil er immer noch damit rechnete, die TV aufzugeben u. sich dem Film zuzuwenden. Nach Listevs Tod bot Berezovskij selbst, der Hauptaktionär des Senders war, Ernst den Posten des Generaldirektors bzw. Intendanten an, aber er verzichtete erneut darauf, denn er hatte beim Filmstudio "Mosfilm“ eigene Pläne, wie er 20 Jahre später erklärte. Einige Monate später übernahm er dann doch wenigstens die Stelle des Produktionsleiters, die im Stab der "ORT"-Führung neu geschaffen worden war, u. begründete seinen Entschluss mit dem Rückgang der Qualität der TV-Produktion unter der neuen Führung. Als Produktionsleiter erhielt Ernst die Möglichkeit, die Programmpolitik von "ORT" zu bestimmen, u. begann mit einer Umstrukturierung, die sich sowohl auf das Rundfunknetz als auch auf die Beziehung des Senders zu TV-Programmanbietern auswirkte. Als TV-Produzent lancierte Ernst 1995 mit 2 Kollegen das "Russ. Projekt", eine Reihe von teilweise humorigen u. skurrilen Werbespots, die die erste öffentl.-rechtliche Werbung innerhalb Russlands darstellten, die nach dem Untergang der UdSSR in der TV aufgeschaltet wurde. In diesen Jahren entwickelte Ernst zusammen mit s. Leonid Parfjonov auch das Format der jeweils zu Neujahr ausgestrahlten TV-Sendung "Starye pesni o glavnom" /Alte Lieder über die Hauptsache/, eine Musikshow, deren Schauplatz eine altsowjet. Kolchose war, in der bekannte SängerInnen wie s. Lev Leshchenko, s. Filip Kirkorov, s. Igor Nikolaev, Angelika Varum, s. Sofija Rotaru, s. Kristina Orbakaite, Natasha Koroljova, s. Alla Pugachjova, s. Laima Vaikule, Vladimir Presnjakov, s. Valerij Meladze u.a. populäre Melodien der Sowjetzeit sangen u. später auch die Popmusikkultur der Putin-Ära prägten. 1996 wurde Ernst ordentliches Mitglied der Stiftung der Russ. TV-Akademie "Fond ART" u. leitete in den folgenden 2 Jahren die von der Akademie ins Leben gerufene "TEFI"-TV-Preisverleihung, wobei er 1998 selbst Gewinner dieser Auszeichnung in der Nominierung "Beste Produktionsarbeit“ für sein Projekt "Alte Lieder über die Hauptsache" wurde u. in den Jahren 2001, 2007, 2008-10 u. 2014 erneut mit einem "TEFI"-Preis ausgezeichnet werden sollte.
Als Filmproduzent trat Ernst erstmals 1998 als Co-Produzent von Aleksandr Rogozhkins Film "Blokpost" /Checkpoint/ u. von Denis Evstigneevs Film "Mama“ in Erscheinung. Die Filme erfuhren in Russland u. im Ausland einen grossen Erfolg, erhielten günstige Rezensionen von Filmkritikern u. Auszeichnungen auf russ. u. internationalen Filmfestivals. Sie waren nicht für den Filmverleih bestimmt, sondern wurden auf Videokassetten vertrieben, die von der im Okt. 1996 gegründeten Firma "ORT-Video" hergestellt wurden. In Fortsetzung der Zusammenarbeit mit den erwähnten Regisseuren fungierte Ernst im Jahr 2000 als Produzent von Rogozhkins neuem Film "Besonderheiten der Nationalen Jagd im Winter“ u. 2002 als Co-Produzent von Evstigneevs neuem Film "Lasst uns mit Liebe beschäftigen“, der der erste russ. Film war, der sich mit den Themen Sex u. Jugendkultur befasste. Ausserdem veröffentlichte Ernst in den folgenden Jahren gemeinsam mit Anatolij Maksimov mehrere kommerziell erfolgreiche Filme, die ursprünglich als TV-Projekte konzipiert waren. Besondere Bedeutung erlangte die Arbeit an dem erfolgreichen Thrillerfilm "Nochnoj Dozor" /Wächter der Nacht II/, der 2004 nach dem gleichnamigen Roman /II/ des populärsten russ. Science-Fiction- u. Fantasyautorder Gegenwart Sergej Lukjanenko realisiert wurde u. Ernst als Filmproduzent weithin bekannt machte. "Fox Searchlight", eine US-Tochtergesellschaft von "20th Century Fox", interessierte sich für den kommerziellen Erfolg des Streifens, erwarb seine weltweiten Vertriebsrechte u. Fortsetzungen für 4 Mln. USD u. zeigte ihn in über 40 Ländern. Der Film spielte 34 Mln. USD ein, davon 16 Mln. USD in Russland. Im Herbst dieses Jahres nominierte die "Nationale Akademie der Kinokünste u. -wissenschaften" Russlands den Film für einen "Oscar" in der Kategorie "Fremdsprachiger Film“. Als Hauptgründe für den Filmerfolg nannten Marktteilnehmer die professionelle Produktionsarbeit, eine für den russ. Filmmarkt beispiellose Werbekampagne u. Informationsunterstützung durch den TV-Sender "1. Kanal". Das im Herbst 2004 abgehaltene Forum "Kino Expo" zeichnete Ernst als "Person des Jahres im Filmgeschäft" aus, u. 2005 erhielten Ernst u. Maksimov als Filmproduzenten den vom Magazin GQ jährlich vergebenen Preis in der Nominierung "Entdeckung des Jahres". In der Presse wurde "Wächter der Nacht" als „erster russ. Blockbuster“ u. Wendepunkt in der Geschichte des russ. Kinos gefeiert. Im Laufe mehrerer Jahre führte sein Erfolg zu einem deutlichen Anstieg der Investitionen in die russ. Filmproduktion. Nach einer Reihe von Kassenschlagern beteiligte sich Ernst an der Arbeit an experimentellen Projekten wie dem Animations- oder Zeichentrickfilm "Meine Liebe“ /II/ von Aleksandr Petrov, der 2008 für einen "Oscar" nominiert wurde. 2011 erschien ein weiterer, biograph. basierter Film von Ernst u. Maksimov über den berühmten unkonventionellen sowjet. Barden Vladimir Vysockij /II/. Die Arbeit an dem Film dauerte 5 Jahre. Eine weitere „langfristige Konstruktion“ war das russ. Historiendrama "Viking“ /II/, an dem Ernst u. Maksimov sogar 7 Jahre lang arbeiteten u. das schliesslich Ende 2016 Premiere feierte.

Generaldirektor / CEO von "ORT" ab 1999 u. "1. Kanal" - ab 2002: Nach dem Rücktritt Igor Shabdurasulovs, der "ORT" seit Okt. 1998 geleitet hatte, Anfang Sept. 1999, wurde der 38-jährige Konstantin Ernst kommissarischer Direktor des TV-Unternehmens, behielt aber den Posten des Produktionsleiters. Auf Empfehlung oder Vorschlag u. mit Unterstützung Shabdurasulovs sowie des Präsidenten RF s. Boris Elcyn, Boris Berezovskijs u. des Kreml-Intimus s. Valentin Jumashev ernannte die Aktionärsversammlung des TV-Unternehmens am 6. Okt. 1999 Konstantin Ernst zum neuen Intendanten / Generaldirektor / CEO von "ORT", wobei Ernst bis Juli 2001 die Aufgaben des Regisseurs u. Produzenten vereinte – Ernsts Nachfolger als Produktionsleiter wurde Aleksandr Fajfman. Im Interview mit Evgenij Levkovich von 2008 behauptete Ernst, er habe "ORT" 1999 verlassen wollen, habe jedoch befürchtet, dass mit dem Sender etwas Schlechtes geschehen könnte, wobei er vermutlich die Rolle Berezovskijs meinte. Zum Zeitpunkt der Ernennung Ernsts zum CEO kontrollierte Berezovskij in der Tat noch die Informationspolitik des Senders über die Direktion für Informationsprogramme, die ihm treu ergeben war. Ende 1999 fiel Ernst u. seinem Team die seltene u. verantwortungsvolle Aufgabe zu, die Rücktritts- u. Abschiedsrede des Präsidenten RF Boris Elcyn u. die Neujahrsansprache seines designierten Wunschnachfolgers V.V. Putin, der seit 9. Aug. MP RF war, aufzuzeichnen u. um Mitternacht zu senden, wobei Ernst, der von dieser Entwicklung völlig überrascht wurde, dafür zu sorgen hatte, dass dieses gut gehütete Geheimnis nicht vor der offiziellen Ausstrahlung publik wurde. /Yaffa 44-/ Im März 2000 wurde Putin, der in den 1990er Jahren seine Karriere weitgehend unbemerkt von der Welt/Öffentlichkeit vorangetrieben hatte, vom russ. Volk zum neuen Präsidenten RF gewählt u. leistete den Amtseid im Mai. Mit Putin hatte quasi das alte KGB in einem neuen Kleid des Autoritarismus die Macht in Russland wieder übernommen - mit fatalen Folgen für die Medien, die das schmutzige Handwerk, das Putin beim KGB gelernt hatte, nun selbst anwenden sollten. Doch bald änderte sich die Situation bei "ORT". Als sich im Aug. 2000 die Katastrophe des Untergangs des russ. U-Boots "Kursk" ereignete, bei der "ORT" mit der Federführung Berezovskijs die unbeholfene u. gleichgültige Haltung des Kremls u. v.a. Putins selbst geisselte, wurde der Konflikt zwischen den beiden Rivalen angeheizt. Putin, der Berezovskijs scharfe Kritik als Informationskrieg gegen den Kreml u. ihn persönlich auffasste, ging unverzüglich zum Gegenangriff über, um mit Kritikern u. Andersdenkenden fertigzuwerden. In dieser heiklen Situation übte Ernst quasi Verrat an seinem Chef /osteuropa.ch/, indem er den Kreml-Funktiononären zu verstehen gab, dass Berezovskij in diesem Fall die Berichterstattung aus polit. Eigeninteressen manipuliere, was wahrscheinlich auch zutraf. Nach diesem Vorfall u. dem Beginn sich verschärfender Meinungsverschiedenheiten zwischen dem widerspenstigen Geschäftsmann u. dem neuen russ. Präsidenten V.V. Putin wurde Berezovskij der Einfluss auf den TV-Sender entzogen; er wurde vom Kreml unter Druck gesetzt u. musste seine "ORT"-Anteile an Putin-"Amigo" s. Roman Abramovich verkaufen – ein Sender wie "ORT", der 98% der russ. Haushalte erreichte, konnte unter keinen Umständen aggressiven Kreml-Kritikern überlassen werden. Im komplizierten Machtpoker zwischen Berezovskij u. Putin musste sich Ernst für eine Seite entscheiden – er entschied sich für den Kreml, denn er hatte die Wahl, mit Berezovskij quasi unterzugehen oder dem Staat zu dienen. s. Aleksandr Voloshin, damaliger Chef der Präsidialverwaltung RF, sagte später, dass der Kreml Ernst Berezovskijs Einfluss entziehen musste. /Yaffa 65/ Nun hatte Ernst selbst schwierige Personalentscheidungen zu treffen. In diesem Zusammenhang ist die "Affäre Dorenko" zu erwähnen. Nach dem Untergang des U-Boots "Kursk" reiste Starmoderator s. Sergej Dorenko im Auftrag des "ORT" persönlich nach Vidjaevo bei Murmansk, wo die hinterbliebenen Familien der verunglückten U-Boot-Männer lebten. In der dortigen Garnisonssiedlung filmte er ihre heruntergekommenen Wohnungen, sprach mit den Witwen u. Waisen u. interviewte Marineangehörige. Den erschütternden Bericht präsentierte er den vermutlich schockierten TV-Zuschauern in Russland. Es war Dorenkos letzte Sendung bei "ORT". Seine Sendung wurde auf Veranlassung des "ORT"-Generaldirektors Konstantin Ernst abgesetzt u. ersatzlos aus dem Programm gestrichen, während Dorenko selbst Ende Jan. 2001, der offiziell als stv. Generaldirektor geführt wurde, entlassen wurde. Obwohl sich Ernst mehr für künstlerische Ästhetik als für polit. Belange interessierte, wurde er automatisch in den Sog der hohen Politik hineingezogen u. schloss sich wohl oder übel, gern oder ungern, der Werbekampagne des Kremls zur umfassenden Popularisierung Putins an, die v.a. mit modernsten medialen Mitteln vorangetrieben werden sollte. Dabei spielte in dieser Zeit auch, wie man weiss, der 2. Tschetschenienkrieg eine unheilvolle Rolle, der im Aug. 1999 aussbrach u. dessen Federführung unter formalem Elcyn-Dekret von russ. Seite Putin übernahm, der sich als Bekämpfer des internationalen Terrors profilieren wollte. Auf Ernsts Initiative hin stimmte die Jahresversammlung der "ORT"-Aktionäre Ende Juli 2002 dafür, dem TV-Sender seinen historischen Namen "1. Kanal" zurückzugeben. Ernst begründete die Namensänderung damit, dass der rechtliche Status des Senders nicht mit dem Konzept des "öffentlich-rechtlichen" Fernsehens übereinstimmte. Das Recht an der Marke "ORT" verblieb beim "1. Kanal". Als CEO des "1. Kanals" entwickelte sich Konstantin Ernst zu einem der engagiertesten u. einflussreichsten Machern in der TV-Landschaft Russlands u. gilt als Innovator bei der Einführung neuer Sendeformate für ein gesamtnationales TV-Publikum, das unter den komplizierten Bedingungen eines von Jahr zu Jahr repressiver sich gebärdenden Putin-Regimes entsprechend unterhalten u. polit.-propagandist. bearbeitet werden sollte, wobei Ernst neben Kritik auch internationale Anerkennung erntete. Statt eines abgebrühten Wirtschaftsmagnaten vom alten Schlage eines Boris Berezovskij kontrollierte jetzt ein ewig jugendlich u. unsowjetisch wirkendes postmodernes u. v.a. ehrgeiziges Film- u. TV-Talent mit einem Flair für Kultiges, Schräges u. Unkonventionelles wie Konstantin Ernst, Jahrgang 1961, einen grossen Teil des russ. Fernsehens.

Hauptsendeformate u. Informationspolitik im Dienst des Kremls u. Vladimir Putins:
Höchste Priorität hatte neben dem weitgehend nach US-amerikan. u. europäischen, also westlichen Normen u. Standards modernisierten Unterhaltungsprogramm, das Ernst für den "1. Kanal" neu entwickelte, die Ausgestaltung der Informationssendungen im Dienste des Kremls u. der Politik des Präsidenten RF Vladimir Putin, der einer zarenähnlichen Kunstfigur mit Kultstatus glich, deren Existenz als immer wieder alternativlos zu wählender Langzeitpräsident Russlands medial aufgepumpt werden sollte. Diesem Zweck diente z.B. die 2001 erstmals ausgestrahlte Sendung "Direkte Linie zu Vladimir Putin" /II/, eine nationale TV-Megafragestunde mit etwa 1000 Teilnehmern, deren Ideengeber Ernst war. Bei dieser pompösen u. für westliche Zuschauer leicht lächerlich wirkenden Audienzshow ging/geht es darum, Putin als allwissenden Staatslenker darzustellen, der für alle aktuellen Fragen, die den BürgerInnen unter den Nägeln brennen, zuständig u. kompetent scheint, wobei alle Störfaktoren, etwa kritische Fragen zu tabuisierten Themen, auszuschalten waren, um den perfekten Ruf des omnipotenten Staatschefs, auf den er offenbar so angewiesen schien, zu gewährleisten. Damit verschwamm die Grenze zwischen faktenbasierter Information u. trügerischer Staatspropaganda, die immer stärker in den Vordergrund rückte. Putin konnte sagen was er wollte, es galt als sakrosankt, war nicht unabhängig verifizierbar u. wurde auch von niemandem öffentlich hinterfragt. Die weitgehend gleichgeschaltete Presse wiederkäute die Aussagen u. Erläuterungen Putins eifrig, die den Lesern als massgebliche u. verbindliche Orientierung verkauft wurden. Andererseits wurden Live-Debatten mit Putin anlässlich von wiederkehrenden Wahlkampagnen systematisch vermieden, da Putin selbst von öffentlichen, demokratisch geführten Debatten mit polit. Konkurrenten nichts hielt u. die Risiken für einen Eklat wohl zu gross waren. Auch sollten sich  Informationspannen wie bei der "Kursk"-Katastrophe nicht mehr wiederholen. Über alle polit. heiklen Themen u. Tragödien, die sich im Land ereigneten u. die russ. Regierung in ein schlechtes Licht rücken könnten, sollte mit äusserster Vorsicht u. kontrolliert berichtet werden. Auch die äusserst tragischen Fälle der Geiselnahmen im Moskauer Dubrovka-Theater von 2002 u. von Beslan 2004 drohten für Regierung u. Medien zum Supergau der Berichterstattung zu werden u. zwangen die Staatssender zur Verbreitung von manipulierten u. Falschmeldungen. Anstatt über die internationales Aufsehen erregende Tragödie von Beslan vor Ort aktuell u. wahrheitsgetreu zu berichten, sendete der "1. Kanal" einen US-amerikan. Actionfilm. Ernsts Rechtfertigung dieses Vorgehens illustrierte sein kurioses Verständnis von Informationspolitik auf bizarre Weise, nach dem die Aufgabe, die Bevölkerung mit aktuellen informationen zu versorgen, zweitrangig sei.
Zeremonien u. Paraden: Ernst schlug auch vor, die Amtseinführungszeremonie des Präsidenten RF vom sowjetmodernist. Staatl. Kremlpalast in den zeremoniellen Andreassaal des Grossen Kremlpalastes zu verlegen. Unter Ernsts Leitung wurden die Amtseinführungen Putins noch aufwendiger inszeniert als früher. Ernst profilierte sich auch als Sendeleiter grosser zentraler staatl. Veranstaltungen wie des "Tags der Kriegsseeflotte" in St. Petersburg u. der 9.-Mai-Siegesparade in Moskau, bei denen ein riesiger Aufwand von Personal u. Technik betrieben wurde. Selbst ein Journalist von The New Yorker musste Ernsts Leistung anerkennen, diese Anlässe bei Live-Übertragungen in sensationelle Shows zu verwandeln, die sonst nur noch bei grossen Sportanlässen üblich waren. Um die Parade zu Ehren des "Tags der Kriegsseeflotte" von 2017 in St. Petersburg zu filmen, wurden ca. 70 TV-Kameras eingesetzt, die auf den Dächern wichtiger Sehenswürdigkeiten der Stadt, auf den Festungen von Kronstadt, auf Kränen, Kabeln, Drohnen, Hubschraubern u. Motorbooten angebracht waren, um die spektakulären Manöver von Schiffen u. Flugzeugen festzuhalten u. mit entsprechend imperialer Marschmusikbegleitung in der TV zu übertragen, wobei die Marinesoldaten Präsident Putin huldigten, der an sie eine jubilierende Grussbotschaft ausrichtete. Für diese Leistung erhielt Ernst den Preis der Regierung RF im Bereich Massenmedien.
Weitere Initiativen: 1999-2005 war Ernst CEO des russ. Plattenlabels "REAL Records", das auf der Website von "ORT-Records" begründet wurde. In diesem Zeitraum wurden unter diesem Label u. seinem Unterlabel "Iceberg Music" über 300 Alben veröffentlicht. Seit vielen Jahren ist oder war Ernst Vorsitzender der Jury der Oberliga von KVN, eine der beliebtesten Sendungen des "1. Kanals". 2002 startete der Sender seinen eigenen Dienst zur Messung der Einschaltquoten mithilfe der CATI-Technologie, die die Informationen über die TV-Nutzung mittels computerunterstützter Telefonumfragen sammelt, u. stellte 2005 die Zusammenarbeit mit dem früheren Anbieter "TNS Russia" ein. Darüber hinaus begann sich Ernst auch im Bereich der TV-Wohltätigkeitsorganisation zu engagieren, indem er ein neues, entsprechendes TV-Format schuf, wobei die ersten grossen Projekte erst 2011 gemeinsam mit "Rusfond" lanciert wurden. Einen Meilenstein für den Sender bedeutete der 10-stündige Spendenmarathon, bei dem Moderatoren u. TV-Stars Geld für die Flutopfer des Amurgebiets von 2013 sammelten, wobei über 575 Mln. Rubel zusammenkamen.
Weitere Sendeformate: 2003 erhielt Ernst mit anderen den "Staatspreis RF 2002" /II/ für die TV-Sendung "Formel der Macht", in der autoritäre u. mit Putin befreundete Staatslenker fremder Staaten wie G. Aliev, R. Erdoğan u. S. Berlusconi von Mikhail Gusman, der seit 1999 stv. Generaldirektor TASS war, interviewt wurden. Einer der beachtlichsten Erfolge Ernsts war das Konzept der Abend- u. Nachtsendung, das es ab 2008 ermöglichte, ein junges Publikum für die TV zu gewinnen, das auf das Internet umgestiegen war. Die Verwestlichung bzw. Amerikanisierung der entsprechenden Sendeformate war bei der radikalen Umstellung der Programme unübersehbar. Zur abendlichen Hauptsendezeit wurden ferner neue Humorshows eingeführt, in denen die Hauptthemen der vergangenen Woche ironisch diskutiert wurden. Die Sendung war sehr beliebt, gewann 4x in Folge den "TEFI"-Award, wurde aber eingestellt, nachdem 2 Moderatoren 2014 zu "TNT" wechselten. Eine weitere bedeutende TV-Neuerung der Jahre ab 2008 war die nächtliche Krimiserie "Gorodskie pizhony“ /Stadtgauner II/, die an ein junges gebildetes Publikum aus Grossstädten gerichtet war. Dabei wurde auch die Werbestrategie an ein jüngeres Publikum angepasst, wobei die Altersgrenze von 18 auf 14 heruntergesetzt wurde. In diesem Rahmen übersetzte u. veröffentlichte der Sender auch TV-Serien u. -filme, die auf der Grundlage von Suchanfragen, Downloads u. Bloggerinteressen ausgewählt wurden. Im Nachtprogramm des "1. Kanals" wurden so v.a. US-amerikan. TV-Serien wie The Office, Californication, Dirty Sexy Money, Boardwalk Empire, House of Cards, Mad Men, Transporter, Fargo oder englische wie Sherlock u.a. sowie Dokumentationen über Künstler u. Kultur gezeigt, für die der "1. Kanal" die Senderechte erhielt, wobei hohe Einschaltquoten erzielt wurden. 2013 wurde im "1. Kanal" auch "Ottepel" /Tauwetter II III IV/ gesendet, eine genuin russ. Drama-TV-Serie mit 12 Episoden u. einer Länge von 10,5 Std., bei der die Helden sowjet. Filmemacher waren, die in den 1960er Jahren unter Nikita Khrushchjov lebten u. arbeiteten. Die Serie befasste sich mit individueller Verantwortung, Konzessionen u. Unterdrückung künstlerischer Begabung in einem autoritären System. Sowohl Zuschauer wie Kritiker waren gleichermassen begeistert, so dass "Tauwetter" alle TV-Preise u. Auszeichnungen des Jahres auf sich zog u. 2015 auch den Preis der Regierung RF bezog. Zwei schwierige, lange unaufgearbeitete u. teilweise tabuisierte Themen, denen sich der "1. Kanal" wiederholt widmete, waren mit Beiträgen über den legendären sowjet. u. russ. Dichter u. Schriftsteller Evgenij Evtushenko, der 2017 in den USA verstarb /II IIIa IIIb IV Va Vb Vc Vd Ve VI VII/, u. das Nazimassaker an den Juden von Babyn Jar in der Ukraine /II III IV V/ vertreten.

Eurovision Song Contest ESC 2009 in Moskau: Im Aug. 2008 wurde Konstantin Ernst zum stv. Vorsitzenden des Organisationskomitees des Eurovision-Gesangswettbewerbs ESC ernannt, der 2009 in Moskau ausgetragen werden sollte. Im Rahmen des Wettbewerbs wurde der "1. Kanal" zur Plattform für die Auswahl des Vertreters Russlands beim ESC u. fungierte als Sender der Teilnehmerauftritte. Die Zuschauerzahl des "ESC 2009" belief sich in Europa auf einen Rekordwert von 122 Mln. Laut "TNS Russia" wurde die Live-Übertragung des Finals in Russland von 55,5% aller TV-Zuschauer an diesem Tag verfolgt, einschliesslich der Altersgruppe von 14-59 Jahren. Der "ESC 2009" wurde von dem gebürtigen Weissrussen Alexander Rybak gewonnen, der Norwegen vertrat. Ernsts Teilnahme an der Organisation des Wettbewerbs wurde mit einer Ehrenurkunde des Präsidenten RF s. Dmitrij Medvedev gewürdigt, während die Sendung selbst 5 "TEFI"-Preise erhielt. Wenige Tage vor Ernsts 50. Geburstag Anfang Feb. 2011 erschien MP Putin zu einem Gratulationsbesuch in der Sendezentrale, um dem Team für seine Leistung zu danken. 2012 führte Ernst nach dem Muster anderer Länder die russ. Version der Gesangscastingshow "Golos / The Voice" ein, von der 2023 die 11. Staffel ausgestrahlt wurde. 2014 begann der Sender, Gelder, die er während der bezahlten SMS-Abstimmung in der Show "Golos" einnahm, an gemeinnützige Stiftungen zu überweisen. 2015 gratulierte MP Dmitrij Medvedev dem "1. Kanal" mit Verweis insbes. auf die Wohltätigkeitsaktionen des Senders. Im folgenden Jahr wurde Ernst mit dem Allruss. Preis im Bereich Philanthropie bei Print- u. elektron. Medien ausgezeichnet. Als Generaldirektor seines TV-Senders beteiligte sich Ernst ferner im Rahmen gesellschaftlicher Aktivitäten an den Tätigkeiten öffentlicher u. branchenspezifischer Verbände, Organisationen u. Komitees u. liess sich überall als allgemein anerkanntes Mediengenie bewundern, würdigen u. feiern /s. russ. Wikipedia/.

Eröffnungs- u. Abschlusszeremonie der 22. Olympischen Winterspiele von Sotschi 2014: 2014 akzeptierte Ernst als kreativer Produzent u. Drehbuchautor auch die Herausforderungen für die Durchführung der Eröffnungs- u. Abschlusszeremonie der 22. Olympischen Winterspiele in Sotschi, Russlands, die je nach Standpunkt mit Bewunderung oder Verachtung als Spiele Putins apostrophiert wurden. Ernst übernahm die volle Kontrolle über den Arbeitsprozess u. alle damit verbundenen Risiken. Unter seiner Leitung arbeiteten 12 Tsd. Personen aus verschiedenen Ländern an der Eröffnungsaufführung, die die prunkvollste, technisch komplexeste u. teuerste aller Zeiten werden sollte. Putin, der sein Land zu neuer Grösse führen wollte, war allgemein dafür bekannt, dass er alle bisherigen Rekorde überbieten wollte, die bisher bekannt waren, auch in der Sportwelt. Sotschi sollte der Welt vor Augen führen, wie mächtig u. perfekt Russland sei /II/. Selbst einigen Regierungsfunktionären soll die ganze Installation zu kompliziert erschienen sein. Sie wollten einiges vereinfachen u. Ernst musste Putin persönlich überzeugen, um seine Ideen u. Pläne durchsetzen zu können. Speziell für die Eröffnungsfeier wurden Änderungen an der aufwendigen Einrichtung des Olympiastadions in Sotschi vorgenommen, das neu entworfen werden musste. Auf Drängen des Internationalen Olympischen Komitees musste jedoch auf eine Schweigeminute verzichtet werden, die Ernst zur Veranschaulichung der Jahre des Grossen Vaterländ. Kriegs einbauen wollte. Ernst verfolgte den Ablauf der Eröffnungshow aus einem Kontrollzentrum hoch über dem Stadion von Sotschi u. sah zu, wie sich seine Träume verwirklichten. Selbst s. Aleksej Navalnyj war von der Eröffnungsfeier begeistert, die er „ausgezeichnet" fand. Noch im März überreichte der Präsident RF V.V. Putin Konstantin Ernst den "Verdienstorden für das Vaterland II. Grades". Doch mit der russ. Realität hatte die Olympiade von Sotschi wenig zu tun. u. von Frieden wurde bald auf Krieg umgestellt. Noch im selben Monat leitete Putin nach dem Regierungsumsturz in der Ukraine überstürzt die völkerrechtswidrige Annexion der Krym als geopolit. Racheakt ein, während etwas später im Donbass sogar bewaffnete Kämpfe zwischen proruss. Separatisten u. dem ukrain. Militär ausbrachen. Bei der halben Menschheit lösten diese Ereignisse v.a. im Westen einen Schock aus u. führten zu Verurteilungen, Sanktionen u. Versuchen, Russland zu isolieren. Der Propagandaeffekt von Sotschi war verpufft, während die russ. Medien in einen hysterischen u. kriegstreiberischen Tonfall verfielen. Der langjährige Krieg Russlands gegen die Ukraine u. im Grunde auch gegen den Westen hatte begonnen. /Yaffa 92-96/

Russ. Des/Informationspolitik  u. -stil während des Ukrainekriegs ab 2014: Auch der "1. Kanal" wurde unverzüglich von der veränderten Stimmung in Russland erfasst. Der Tonfall gegenüber der Ukraine änderte sich schlagartig, auch wenn er etwas weniger aggressiv, hysterisch u. martialisch war als bei anderen halb/staatlichen TV-Sendern Russlands, die informationspolitisch jetzt noch mehr gleichgeschaltet wurden. Dabei leistete sich der Sender verschiedene grobe Fehltritte in der Berichterstattung, die aus medienethischer Sicht höchst bedenklich waren. Die Newssendungen u. Talkshows hatten sogleich das Narrativ vom faschistischen Putsch" in Kiev zu verbreiten, wobei gleichzeitig die Polemik gegen den Westen u. die NATO verstärkt wurde. Auch Ernst u. sein Team, wollten sie als staatl. Medienleute überleben, hatten wohl keine andere Chance, als den vom Kreml entfesselten Informationskrieg alternativlos mitzutragen, denn in Russland mussten jetzt alle Medien am gleichen Strick ziehen. Ein Mitarbeiter der Eröffnungsfeier von Sotschi sagte, Ernst u. sein Team seien von dieser Wende, mit der man nicht gerechnet hatte, erschüttert worden, zumal Ernst nach den Olympischen Spielen von einer neuen glanzvollen Ära Russlands geträumt habe. Aber Ernst, dem das Magazin GQ im Sept. 2014 den Titel "Person des Jahres“ verlieh, konnte vor der Öffentlichkeit jetzt weder die Nerven noch sein Gesicht verlieren u. musste die entsprechende Haltung annehmen, die von ihm verlangt wurde; dennoch liess er gelegentlich mit einer verhaltenen Bemerkung durchblicken, wie sehr sein olympischer Ruhm durch die Krymannexion u. die nachfolgenden Ereignisse in der Ukraine überschattet wurde. Aber Ernst haderte beileibe nicht so sehr mit dem polit. Stimmungswechsel, in den sein Land taumelte. Im Gegenteil: Er teilte Putins inszenierte Verärgerung über die angeblich unfaire Behandlung Russlands durch den Westen, v.a. die USA, seit dem Ende der Sowjetunion u. hielt die revanchist. Kampagne des Kremls für eine gerechte u. notwendige Sache. Die Zeit der Abrechnung war gekommen, in der Russland die nach dem Kalten Krieg entstandene Ordnung umkehren musste, um Russland seine historische Bestimmung als Grossmacht zurückzugeben. Das glaubte Ernst ebenso wie Putin selbst, die Kremlführung u. Millionen von Russen u. Russinnen. /Yaffa 96-98/ Zwei höchst problematische Episoden sind dabei hervorzuheben:
"Kreuzigung in Slavjansk/Slovjansk": Auf dem vorläufigen Höhepunkt der antiukrain. Hysterie sendete der "1. Kanal" eine abenteuerliche Geschichte aus Slavjansk/Slovjansk im ostukrain. Donbass, wo angeblich ein dreijähriger russ. Junge durch Kreuzigung von ukrain. „Faschisten" hingerichtet wurde. Im April 2014 wurde die Stadt während des bewaffneten Überfalls von der „Volksmiliz des Donbass“ besetzt u. zum Teil der selbsternannten "Volksrepublik Doneck" erklärt. Es stellte sich aber bald heraus, dass diese blutrünstige Story nicht der Wahrheit entsprach, sondern von der Mutter des Kindes selbst erfunden wurde; denn bei späteren Recherchen durch Journalisten von Novaja gazeta u. "Dozhd"-TV konnte vor Ort niemand die Echtheit des Vorfalls bestätigen. Julija Tschumakova, die Leiterin des südruss. Büros des "1. Kanals", die das skandalöse Video aufgenommen hatte, weigerte sich kategorisch, mit Journalisten der Novaja gazeta zu kommunizieren. Als Reaktion auf diese Geschichte warfen russ. Politiker u. Journalisten dem "1. Kanal" Propaganda u. Verletzung der Berufsethik vor; selbst einige kremltreue Medien kritisierten den Sender. Kremlsprecher s. Dmitrij Peskov verlautete, dass er über keine Informationen verfüge, die die Angaben über den Tod des Jungen bestätigten, er habe jedoch keinen Grund, die Richtigkeit der Angaben zu bezweifeln, die er aus den dortigen selbstproklamierten Republiken erhielt – welche das genau waren, ist unklar –, u. dass er sich nicht vorstellen könne, dass es sich dabei um Fake News handle. Ernst, der sich gerade im Urlaub in Spanien befand, äusserte sich öffentlich nicht näher über die Umstände, die dazu führten, dass dieser peinliche Beitrag über den Sender ging. Von Joshua Yaffa zu diesem Fall befragt, versuchte Ernst davon abzulenken, tischte Ausreden auf u. wies die Tat der Mutter des "gekreuzigten" Jungen zu, die diese Geschichte zum Besten gab. Diese, eine gewisse Galina Pyshnjak, war die Frau eines angeblichen Angehörigen der örtlichen Polizei u. Mitglieds der Girkin/Strelkov-Einheit der Donbass-Volksmilizen – die angebliche Augenzeugin wurde somit als eine russ. "Schauspielerin" entlarvt. Eine öffizielle jurist. Untersuchung oder Aufarbeitung der Entstehung der Falschmeldung fand nicht statt. Obwohl die Angelegenheit zweifellos beschämend für Ernst war, konnte er sich als Intendant des Senders gemäss den Spielregeln nicht offen von dem Fall distanzieren oder sich zu dieser kruden Desinformation ehrlich bekennen, um einen öffentl. Gesichtsverlust zu vermeiden. /Yaffa 101-4/
Abschuss von MH17: Ein anderes noch viel betrüblicheres Kapitel betrifft die entsprechende Berichterstattung seitens des "1. Kanals", als Mitte Juli 2014 über dem Donbass in der Ostukraine ein malaysisches Passagierflugzeug, das auf dem Weg von den Niederlanden nach Kuala Lumpur war, von proruss. Separatisten abgeschossen wurde, wobei alle 298 Insassen, vorwiegend niederländ. Staatsangehörige, ums Leben kamen. Die russ. TV-Sender einschl. "1. Kanal" stritten getreu der Diktion des Kremls vehement ab, dass Russland für diese Katastrophe verantwortlich sei, u. verbreiteten obsessiv alle möglichen absurden Gegenversionen, die aus russ. Sicht den Ablauf der Katastrophe erklären sollten. Aber nach stichhaltigen Recherchen des Westens wurden sie alle sehr bald u. ausnahmslos als dreiste Fälschungen u. Lügen entlarvt, die vom Kreml absichtlich als Verteidigungsstrategie erfunden u. in die Welt gesetzt wurden, damit Russland die eigene Schuld nicht zugeben musste. Das Verkehrsflugzeug wurde eindeutig von einer höchstwahrscheinlich aus Russland in die Ukraine geschafften russ. Buk-Rakete getroffen, die unter dem Kommando proruss. Separatisten auf von ihnen kontrolliertem Gebiet der Ukraine möglicherweise versehentlich auf die Boeing 777-200ER  abgefeuert wurde, die für ein ukrain. Militärflugzeug gehalten wurde. Von Yaffa befragt, warum sein Sender so leicht widerlegbare Falschmeldungen verbreiten konnte, flüchtete sich Ernst in die fadenscheinige Erklärung, dass wir alle nur Menschen seien u. Fehler machten, wobei er der Ansicht war, dass der niederländ. Untersuchungsbericht „unprofessionell" sei /Yaffa 103-7/ – auch diese Auffassung war dem Arsenal der russ. Gegenpropaganda entlehnt. "Ukrinform" brachte diese Aussagen auf den eigenen Seiten u. machte damit deutlich, dass Ernst im Dez. 2019 im Prinzip gestanden habe, dass der entsprechende Beitrag seines Senders über den Abschuss des Fluges MH17 durch ein ukrain. Kampfflugzeug ein Fehler u. eine grobe Fälschung war.
Auf dem Höhepunkt der total aufgeheizten Atmosphäre, die jetzt rund um die Uhr vom russ. Staatsfernsehen ausging, startete der "1. Kanal" die Sendung "Vremja pokazhet" /Die Zeit wird es zeigen/, eine schrille u. oft ruchlose Debatten-Talkshow zu aktuellen Themen, in der es immer wieder darum ging, wie der Westen versuche, Russland in die Knie zu zwingen oder zumindest ungerecht zu behandeln. Die lebhhafte Diskussion, bei der ein paar Aliberale u. 1 oder 2 Ausländer, meist US-Amerikaner, die in Moskau leben u. etwas Russisch verstehen, rhetorisch aneinander geraten, wird von einem Moderatorenpaar geleitet, das keinen Hehl aus seiner Verachtung von Liberalen u. Ausländern macht, die von russ. Seite als Bösewichte, Trottel oder nützliche Idioten hingestellt, missbraucht u. entsprechend behandelt werden. Dabei ist es Un/Sitte, dem Gegner das Wort augenblicklich abzuschneiden, sobald er die Spielregeln aushebeln u. etwas Kritisches sagen will, das nicht ins Konzept der Sendung passt, während in dieser Schmierenkomödie am Ende immer dem Pro-Kreml-Lager das letzte Worte erteilt wird, um alles andere zu übertönen. Wer sein Wissen nur aus diesem Programm bezieht, muss zur Überzeugung gelangen, dass Russland das Opfer einer geostrateg. Verschwörung unter der Führung der USA u. Europas ist u. die heilige Pflicht hat, sich dagegen zu verteidigen. Anlässlich des US-Präsidentschaftswahlkampfs s. Donald Trumps von 2016 liess sich der "1. Kanal" leidenschaftlich auf die Unterstützung des skandalösen Kandidaten ein, der als Putin- u. Russland-Freund markiert wurde, ohne vorauszuspüren, dass dies schief gehen könnte. Mit fatalen Konsequenzen, denn tatsächlich endete die Trump-Episode für die Russen im totalen Desaster. Die anfängliche Euphorie für Trump nahm bald ab u. wich der Ernüchterung, dem Spott u. der Feindseligkeit, als Russland von Seiten der USA mit dem ernsthaften Vorwurf konfrontiert wurde, sich mit illegitimen Mitteln in die US-Wahlen zu Gunsten Trumps eingemischt zu haben. Die neue "Liebes"-Beziehung zu den USA erhielt viele Risse, als sich herausstellte, dass Präsident Trump nicht in der Lage war, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben u. das Verhältnis zu Moskau nach den Vorstellungen des Kremls zu gestalten. So erwies sich Trump zur gewaltigen Entttäuschung der Russen für Russland schliesslich als nutzlos. Die russ. Medien waren somit quasi in die Falle der enormen Widerstandskraft des polit. Systems der USA getappt, die sie sträflich unterschätzt hatten – eine Blamage u. ein Gesichtsverlust, den die Russen kaum verkrafteten. Als Präsidentschaftskandidat s. Joe Biden verkündete, dass es für Russland besser wäre, wenn Putin auf eine 3. Amtszeit verzichten würde, war das Verhältnis zwischen den beiden Ländern vollends zerstört u. der alte Hass Russlands auf Amerika wieder voll entbrannt. Auch sollte von den russ. Journalisten u. den Talkshow-Gästen der Name des wichtigsten russ. Oppositionsführers s. Aleksej Navalnyj nicht in den Mund genommen werden, so wie es Putin vormachte, der seinen Erzfeind mit Verachtung diesen Figuranten", „diesen Herrn" u.ä. nannte. Auch Ernst selbst hatte kein Interesse, zum polit. Aufstieg Navalnyjs beizutragen. Bei den Massenprotesten der Oppositionsbewegung in Russland nährte der Sender die Vorstellung, dass diese von ausländ. Kräften angezettelt worden seien, i.e.L. vom US-Aussenministerium selbst. /Yaffa 109-16/ Mit s. Artjom Shejnin, einem ehem. Afghanistankrieg-Fallschirmspringer, leistete sich der "1. Kanal" einen besonders obszönen, enthemmten u. skandalösen Moderator, der nicht davor zurückschreckt, sich auch physisch auf seine erschrockenen Talkshow-Gäste zu stürzen. Privat, so die Erfahrung Yaffas in einem Gespräch mit ihm, führte sich Shejnin aber nur halb so wild auf wie in der TV-Arena, so dass er mit seinem rabiaten Doppelgänger in der Show kaum etwas gemein hatte. Bei Shejnin scheint es sich um einen professionellen Zyniker zu handeln. Seine Rolle als Moderator der Sendung versteht er, als Informationskrieger im Konflikt zwischen Russland u. dem Westen aufzutreten u. einen „Boxkampf" mit den gegnerischen Talkshow-Gästen zu bieten – dies letztlich wohl v.a. mit der Absicht, die Einschaltquote zu erhöhen. /Yaffa 116-21/
2017 wurde Ernst von Variety, einem US-Branchenblatt der Unterhaltungsindustrie, in die Liste der 500 einflussreichsten Menschen in der Welt des Showbusiness aufgenommen.

Finanzielle Probleme: Im Dez. 2019 veröffentlichte das investigative Online-Newsportal Meduza einen Artikel über die finanziellen Probleme von "Kanal 1". Unter Bezugnahme auf zahlreiche Gesprächspartner aus der TV-Branche erläuterte die Autorin die Umstände, die zum Schuldenanstieg des wichtigsten TV-Senders des Landes beitrugen. So ging aus dem Artikel hervor, dass ausser der spärlichenen Subventionierung des halbstaatl. "1. Kanals" durch den Staat, der die Verpflichtung vermieden haben soll, 2 gesamtruss. TV-Kanäle gleichzeitig zu finanzieren, Ernsts Sender vom Einbruch des Werbemarkts u. vom Rubelabsturz infolge der internationalen Sanktionen wegen der Krymannexion durch die RF hart getroffen worden sei. Bis 2014 habe der "1. Kanal" sich keine grossen Gedanken über die Ausgaben gemacht u. habe viel Geld in die Programme investiert. Die erzwungenen Einsparungen hätten sich nach 2014 stärker auf die Einschaltquoten u. Werbeeinnahmen ausgewirkt als erwartet.
Verdacht in Bezug auf Schwarzgelder, Geldwäsche u. Verstrickung in Korruption: Nach Angaben des "Internationalen Netzwerks Investigativer Journalisten", das 2021 die "Pandora"-Papers /II/ veröffentlichte, ist Ernst seit 2014 Begünstigter von 47% des auf den Britischen Jungferninseln registrierten Offshore-Unternehmens "Moscow Dvorik Ltd." Die Gesellschaft "Haldis Corporation", die im Besitz von Konstantin Ernst ist, soll 16 Mln. USD von der zypriot. "RCB Bank" geliehen haben, von der einer der Haupteigentümer die russ. Staatsbank "VTB" ist. 2014 veranstaltete das Moskauer Bürgermeisteramt eine Auktion zum Verkauf von 39 Kinos in den Wohnbezirken Moskaus, die laut "Radio Liberty" ohne echte Ausschreibung u. zu einem Mindestpreis von 9,6 Mrd. Rubel verkauft wurden. Der Käufer war das Unternehmen "Edisonenergo", das über eine zypriot. Firma im Besitz von "Moscow Dvorik Ltd." war. "Edisonenergo" begann mit dem Abriss dieser Kinos aus der Sowjetzeit u. dem Bau von Einkaufszentren an ihrer Stelle. BBC-Quellen gehen davon aus, dass Ernst diese Offshore-Beteiligung als Belohnung für seine erfolgreiche Arbeit bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi erhielt. Ernst bestätigte die Teilnahme an dem Projekt u. beteuerte, dass er nichts Illegales getan habe, wobei er die Behauptung zurückwies, dass die Erlangung einer Offshore-Beteiligung mit Aktivitäten bei den Olympischen Spielen zusammenhängt.
2022 wurden zwei Leiter des mit dem "1. Kanal" verbundenen TV-Senders "Az Art TV" wegen Unterschlagung von 500 Mln. Rubel des für die Ausrichtung der FIFA-Fussball-WM 2018 in Russland vorgesehenen Betrags festgenommen. Medienberichten zufolge verliess Aleksandr Fajfman, der stv. Generaldirektor des "1. Kanals", der an den Vorbereitungen der WM beteiligt war, Russland am Vorabend der Einleitung des entsprechenden Strafverfahrens, bei dem Ernst nicht ins Verhör einbezogen wurde. Einige Veröffentlichungen stellten einen direkten Zusammenhang zwischen der erwähnten Unterschlagung u. dem Abzug von Geldern für die WM durch Offshore-Firmen her.

Russ. Krieg in der Ukraine ab 2022: Konstantin Ernst selbst äusserte seine Haltung zu dieser von Putin am 24. Feb. 2022 angeordneten Militäroperation gegen die Ukraine nicht öffentlich, obwohl seine 27 Jahre jüngere Ehefrau Sofja Pavlovna Ernst, geb. Zaika /II III/, ehem. Modell u. Schauspielerin, Anfang März dieses Jahres in sozialen Netzwerken ihr Mitgefühl für die Zivilbevölkerung der Ukraine zum Ausdruck brachte. Dennoch geriet Ernst unter polit. Druck, als Mitglieder der Arbeitsgruppe zur Untersuchung antiruss. Aktivitäten im Kulturbereich der Staatsduma RF bei ihrer ersten Sitzung von Anfang Aug. 2022 erklärten, dass Ernst für die Äusserungen einzelner Moderatoren verantwortlich sei, die die russ. Sonderoperation in der Ukraine nicht unterstützten. Der Abgeordnete der Partei "Gerechtes Russland“ s. Dmitrij Kuznecov sagte, dass Ernst selbst zurücktreten sollte, wenn diese Moderatoren sich nicht für ihre Aussagen entschuldigten u. nicht entlassen würden. I.e.L. ging es um die Moderatoren Ivan Urgant u. Aleksandra Vasileva. Mit Ivan Urgant /II/ konnte sich Ernst gerade noch einen Moderatoren leisten, der in seiner Abendsendung mit polit.-satir. Bemerkungen immer wieder die Aufmerksamkeit des TV-Publikums auf sich zieht. Am 14. März 2022 geschah etwas Ungewöhnliches: Als s. Ekaterina Andreeva gerade ihre Abendsendung im "1. Kanal" moderierte, wurde sie von einer TV-Kollegin namens s. Marina Ovsjannikova unterbrochen, die mit einem hochgehaltenen Plakat hinter ihrem Rücken gegen den Krieg Russlands in der Ukraine protestierte u. damit internationales Aufsehen erregte.

Kritik: Es ist offensichtlich, dass, Konstantin Ernst ohne den "1. Kanal" seine Arbeit u. Träume in dieser Art nicht hätte verwirklichen können. Es ist auch möglich, dass er persönlich den Krieg seines Kremlherrn gegen die Ukraine, wie er sich entwickelte, nicht gutheisst, wobei er sich in diesem Konflikt neutral zu verhalten schien u. dazu keine Stellung nehmen wollte. Dennoch muss sich ein halb/staatl. Medienmanager wie Konstantin Ernst als Hauptverantwortlicher der Sendeprogramme des "1. Kanals" den Vorwurf gefallen lassen, eine vom Kreml gesteuerte u. manipulierte "öffentlich-rechltiche" TV zu betreiben, deren Hauptaufgabe es ist, die Putin-Herrschaft zu verklären sowie den Westen u. die Russland umgebenden postsowjet. Republiken, die Moskau nicht parieren, zu verteufeln, anstatt die anstehenden Probleme Russlands auf die Traktandenliste zu setzen u. sie in der Öffentlichkeit wahrheitsgetreu, objektiv u. transparent zu diskutieren. Ernst, der zwar gleichzeitig als Täter u. Opfer des Putin-Systems betrachtet werden kann, ist somit mit Absicht u. Vorsatz getätigte systematische Verfälschung u. Unterschlagung der Wahrheit in schwerem Mass u. Täuschung der Öffentlichkeit in grossem Stil u. im Dienst eines schwerkriminellen polit. Systems vorzuwerfen. Mit seiner den Kremlvorgaben angepassten Informations- u. Sendepolitik machte sich Ernst zum Komplizen des autoritären u. illiberalen Unrechtsregimes Putins mit dem Risiko, in einem rechtsstaatl. Strafprozess, sollte er dereinst stattfinden, angeklagt zu werden oder zumindest als Zeuge aussagen zu müssen. /osteuropa.ch/
Vom "Forum Freies Russland", das die sog. "Putin-Liste" führt, wird Konstantin Ernst Mitwirkung an der Organisation aggressiver Propaganda des Putin-Regimes vorgeworfen. Die Hauptgrundlage für diesen Vorwurf sei seine offizielle Stellung als Chef einer der grössten russ. Medienstrukturen, die seit vielen Jahren aktiv für Propagandazwecke genutzt werde. Ernst habe seine hohe Autorität im professionellen Medienumfeld bewusst gegen absolute Loyalität gegenüber dem Putin-Regime getauscht u. sei einer seiner Nutzniesser geworden. Ernst sei ein wichtiger Akteur bei der Operation gewesen, Boris Berezovskij die Kontrolle über "ORT" zu entziehen, während Vladimir Putin im Jahr 2000 seine Macht stärkte u. den Sender anschliessend in eines der wichtigsten Instrumente der Staatspropaganda in Russland verwandelte. Ernst habe diese Entwicklung bereitwillig mitgetragen. Seine Aufgabe sei es gewesen, mitzuhelfen, das autoritäre Machtsystem in Russland zu etablieren u. zu stärken, die chauvinist. Ideologie des Putin-Regimes zu verbreiten u. die öffentl. Meinung zu manipulieren u. von inneren Problemen abzulenken. Ernsts Sender habe einen bedeutenden Beitrag zur Anwendung von Aggression des russ. Regimes auf internationaler Ebene u. zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit geleistet, darunter in Fällen wie dem Krieg mit Georgien, der Besetzung u. Annexion der Krym u. der Militäroperationen im Südosten der Ukraine sowie beim Abschuss des MH17-Flugzeugs u. nicht zuletzt bei der Ermordung von s. Aleksandr Litvinenko u. bei einem Attentat auf die s. Skripals in England. Usw. Ein indirekter Beweis für Ernsts Mitschuld an den Verbrechen des Putin-Regimes sei der Erhalt zahlreicher höchster staatlicher Auszeichnungen, darunter des Ordens "Für Verdienste um das Vaterland“ - Grad IV, III u. II u. des Ordens der Freundschaft - "für die objektive Berichterstattung über die Ereignisse während der bewaffneten Aggression Georgiens gegen Südossetien im Aug. 2008". Ferner erhielt Ernst Dankesbriefe u. Preise der Regierung RF u. des Präsidenten RF sowie die Medaille für "Teilnehmer der Militäroperation in Syrien“ - für hohe Professionalität u. Objektivität der Berichterstattung über den Militäreinsatz in der Arabischen Republik Syrien“. 2023 wurde Ernst im Kreml von Putin persönlich zum 2. Mal nach 2003 der "Staatspreis RF" überreicht. Er erhielt ihn für 2022 im Bereich Literatur u. Kunst zusammen mit dem Regisseur Klim Shipenko u. der Schauspielerin Julija Peresild für den Film "Vyzov" /Herausforderung II/, der weltweit der erste Spielfilm war, der an Bord der Internationalen Raumstation ISS gedreht wurde. Putin nannte den Film „ein einzigartiges Ereignis für das Weltkino“. "Vyzov“ war ein Gemeinschaftsprojekt des "1. Kanals", von "Glavkosmos", "Roskosmos" sowie der Studios "Yellow, Black and White". 6 Wochen lang wurde "Vyzov" von über 5 Mln. Zuschauern gesehen. wobei der Streifen in Russland teilweise Spott auslöste.

Sanktionen: 2014 befasste sich der Sicherheitsdienst der Ukraine SBU mit dem Antrag des Nationalrats der Ukraine für TV u. Rundfunk, 49 vorgeschlagenen Mitarbeitern von russ. Medien, die Einreise in die Ukraine zu verbieten, wobei der Petition bezügl. 35 Personen, einschliessl. Konstantin Ernsts, entsprochen wurde. 2016 wurde Ernst zusammen mit anderen Chefs grosser russ. Staats- u. kremlfreundlicher Medien im Auftrag des Präsidenten der Ukraine s. Petro Poroshenko auf die Liste der personenbezogenen Sanktionen gesetzt, die ein Verbot der Einreise in das Hoheitsgebiet der Ukraine vorsahen. Ernst wurde wegen „Handlungen beschuldigt, die eine reale u./oder potenzielle Bedrohung der nationalen Interessen, der nationalen Sicherheit, Souveränität u. territorialen Integrität der Ukraine darstellen, zu terrorist. Aktivitäten beitragen u./oder die Rechte u. Freiheiten von Menschen u. Bürgern sowie die Interessen der Gesellschaft verletzen u. die zur Besetzung des Territoriums, zur Enteignung oder Einschränkung der Eigentumsrechte führen u. die vollständige Umsetzung der Rechte u. Freiheiten der Bürger der Ukraine behindern.“ Durch ein Dekret des Präsidenten der Ukraine s. Volodymyr Zelenskyj vom Juni 2021 unterliegt Ernst den Sanktionen der Ukraine. Dort heisst es u.a.: „Konstantin Ernst ist ... ausserdem einer der führenden Geschäftsleute in Wirtschaftszweigen, die eine bedeutende Einnahmequelle für die russ. Regierung darstellen, die für die Annexion der Krym u. die Destabilisierung der Ukraine verantwortlich ist. ..."
Mitte März 2022 verhängte die EU im Zusammenhang mit dem von Putin im Feb. 2022 entfesselten russ. Angriffskrieg gegen die Ukraine entsprechende Sanktionen gegen Konstantin Ernst, „weil er antiukrain. u. antiamerikan. Propaganda der russ. Behörden organisiert u. verbreitet“. Die EU stellte fest, dass Ernst CEO des "1. Kanals" ist, eines der grössten russ. Medienunternehmen, das von den russ. Behörden seit vielen Jahren für Propagandazwecke genutzt wird. Von Kanada wurde Ernst wegen „Mitschuld an der ungerechtfertigten Invasion Russlands in der Ukraine“ auf die Sanktionsliste bezügl. der „Eliten u. engen Mitarbeiter des Regimes“ gesetzt. Im Mai 2022 setzte UK/GB Ernst auf seine Sanktionsliste mit der Feststellung, dass der „1. Kanal nach der Invasion Russlands in der Ukraine seine polit. Programme durch kremlfreundliche u. interventionistische Ideen erheblich intensivierte“. Aus ähnlichen Gründen wurde Ernst auf die Sanktionsliste der Schweiz gesetzt. Seit Dez. 2022 figuriert er auch auf der Sanktionsliste Neuseelands, seit Feb. 2023 auf derjenigen Australiens, wobei ihm die Einreise in diese Länder verboten wurde u. die dort befindlichen Vermögenswerte eingefroren wurden.

Charakteristik u. Schlussfolgerungen von Joshua Yaffa: In seinem lesenswerten Beitrag über Konstantin Ernst im engl. 2020 / dt. 2021 erschienenen Buch "Die Überlebenskünstler", dt. S. 43-123, versuchte der US-amerikan. Autor u. Russlandkenner Joshua Yaffa, die Leistungen des prominenten russ. „Zeremonienmeisters" einzuordnen er hatte ihn wohl nicht ganz zufällig im Rahmen seiner einschlägigen Persönlichkeits- u. Fallstudien über den Typus des post/sowjet. "verschlagenen" Menschen gemäss Jurij Levadas Definition ausgewählt. Konstantin Ernst ist einer von relativ seltenen Fällen, die bei der TV langfristig eigene kreative Visionen verwirklichen u. die eigene Sicht der Dinge gestalten konnten, wobei er sich letztlich aber dem Staat unterordnet habe. Er gehöre zu den Etatisten, russ. gosudarstvenniki, zur Führungsschicht Russlands, als welcher er sich immer als Teil seines Landes verstanden habe. Obwohl Ernst sich als einen "liberal gesinnten Patrioten" bezeichne/t habe/, habe ein TV-Produzent, der Ernst seit Jahren kennt, gesagt, dass man Ernst nicht für einen Liberalen halten könne, aber er sei mit Sicherheit ein Intellektueller. Unter der Führung Ernsts vertritt der "1. Kanal" die Linie des Kremls pflichtschuldig u. lässt keine Kritik an der Staatsspitze zu. Aber dank des ästhetischen Gefühls Ernsts sei der "1. Kanal" professioneller u. zurückhaltender als andere Sender wie RTR oder NTV. Unter den komplizierten Bedingungen des Putin-Systems sei Ernst deshalb so gut in seinem Job, weil er in der Lage sei, die polit. Schwankungen u. Stimmungsumschwünge an der Staatsspitze zu erspüren, wie sie sonst niemand anderes mitbekomme, da Ernst in täglichem Kontakt mit mehreren Regierungsvertretern stehe. Ernst selbst habe sehr gut zu unterscheiden gelernt, was die Herrschenden wünschen u. was nicht, was möglich u. was zu vermeiden sei. Er scheue Provokateure u. Provokationen, für die er keine Verantwortung übernehmen wolle. Laut der Moskauer Medienkritikerin Arina Borodina katzbuckle Ernst zwar nicht vor der Macht, aber er sei ein Putinist u. seine Loyalität gegenüber Putin sei echt. In künstlerischer Hinsicht sei in Russland niemand ausser Ernst in der Lage, den Kreml mit der entsprechenden Pracht u. Opulenz in TV-Szene zu setzen wie der Kreml es wünsche. Ernsts Natur sei ambivalent. Er beherrsche die Sprache sowohl des besessenen Cineasten ebenso sicher wie die des autoritären Staatsministers u. er wisse immer, wie er den Eindruck erwecken kann, einem bestimmten Kreis zuzugehören, habe ein mit Ernst befreundeter Produzent gesagt. Wie Ernst gegenüber Yaffa im persönl. Gespräch einräumte, werde den Zuschauern des "1. Kanals" ein unvollständiges Bild der Welt vermittelt, was jedoch letzlich keine Rolle spiele. Die Leute würden es selbst herausfinden, wenn sie etwas Bestimmtes interessiere. Bei seinem Sender entscheide Ernst persönlich, wo die Grenze zwischen Wichtigem u. weniger Wichtigem verlaufe. Die Diskussion rund um die MH17-Katastrophe habe aber die wahre Problematik des Verhältnisses Ernsts zu den Medien gezeigt: Aufgrund seines relativistischen Wahrnehmungsmusters bezügl. der Wahrheit u. seiner Erfahrung mit der sowjet. Presse halte er die westl. Presse für gleichermassen verlogen wie die russische. Es sei schwierig, Ernsts Schaffen insgesamt angemessen zu bewerten, denn man müsste dabei die verschiedenen Bereiche voneinander trennnen. Die Grenze zwischen Kunstengagement u. Propaganda lasse sich nicht eindeutig ziehen. Ernst habe in seiner Doppelrolle als Medienfunktionär - Intendant u. Propagandist - herausragende Fähigkeiten bewiesen, aber letztlich sei er ein Geschöpf des heutigen Russland. Ernsts Sturz wurde schon mehrmals prophezeit. Dennoch habe er sich halten können u. stehe nach wie vor auf dem Höhepunkt seiner Macht. Laut Parfjonov habe Ernst schon immer ein Trendsetter für die Massen sein wollen, der davon besessen sei, Millionen von Menschen zu beeinflussen u. zu verändern. Deshalb sei er beim "1. Kanal" geblieben.
PS Im Feb. 2023 wurde durch einen gutinformierten russ. Blogger im "Telegram"-Kanal das Gerücht publik, Konstantin Ernst leide an einer Depression u. habe einen Rücktritt als Generaldirektor des "1. Kanals" in Betracht gezogen. Die meisten Businessprojekte des "1. Kanals" seien abgesetzt worden, der Sender sei praktisch aus den Teleratings verschwunden u. habe 70% seiner Einnahmen eingebüsst. Sadalskij sagte, der Kreml habe Ernsts Ausstiegsversuch mit der Begründung gestoppt, niemand könne jetzt das Schiff verlassen.)

ESTEMIROVA, Natalja Khusainovna II III IV V (gew. russ.-tschetschen. Historikerin, Journalistin u. Menschenrechtsaktivistin. Ihr Vater, Khusejn Estemirov, ein Tschetschene, wurde in der Stalinzeit als Kind zusammen mit seiner Familie aus Tschetschenien nach Kasachstan deportiert. In den 1950er Jahren durften die Tschetschenen Kasachstan verlassen; Khusejn Estemirov heiratete eine Russin aus dem Gebiet Sverdlovsk u. lebte mit ihr in der Stadt Kamyshlov im Ural, wo Natalja geboren wurde. Absolventin der Fakultät für Geschichte der Universität Groznyj, Tschetschenien. Bis 1998 arbeitete sie als Geschichtslehrerin in Groznyj u. kämpfte als Gewerkschaftsaktivistin für Gerechtigkeit, danach begann sie sich mit Menschenrechten u. journalist. Aktivitäten zu beschäftigen. Ab 2000 war sie Mitarbeiterin der Vertretung der Menschenrechtsgesellschaft "Memorial" in Groznyj. Während der „Anti-Terror-Operation“ Russlands in Tschetschenien dokumentierte sie Menschenrechtsverletzungen, also im Kern Kriegsverbrechen u. Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Als Mitglied der Kommission für die Kontrolle der Haftbedingungen in Haftanstalten wehrte sie sich gegen manipulierte Strafverfahren u. Folterpraktiken u. führte Ermittlungen zu Entführungen u. aussergerichtlichen Hinrichtungen durch. Für ihre Arbeit, die die tschetschen. Führung in Wut versetzte, wurde Estemirova von verschiedenen europäischen Instanzen ausgezeichnet: Vom schwedischen Parlament, von der Europäischen Volkspartei - Europ. Demokraten u. der Nobel Women's Initiative. Estemirova war auch die erste tschetschen. Frau, die sich öffentlich für tschetschen. LGBT-Personen aussprach; diese werden in Tschetschenien unter dem Kadyrov-Regime diskriminiert, unterdrückt u. verfolgt.
Ermordung: Eine der letzten Mitteilungen Natalja Estemirovas war, dass die Leute des Tschetschenienführers s. Ramzan Kadyrov Menschen entführten u. öffentlich hinrichteten – wahrscheinlich stand diese Nachricht
in Zusammenhang mit der von ihr durchgeführten Recherche über die Entführung von Menschen durch Mitarbeiter der Abteilung für innere Angelegenheiten des Rayons Kurchaloj. Diese Enthüllung habe die Führung der Republik Tschetschenien u. insbes. Ramzan Kadyrov selbst in Zorn versetzt u. brachte das Fass wohl zum Überlaufen. Laut Tatjana Lokshina, Leiterin des Moskauer Büros von "Human Rights Watch", wurde Natalja Estemirova am 15. Juli 2009 gegen 8.30 Uhr in der Nähe ihres Wohnhauses in Groznyj entführt. Zeugen wollen gesehen haben, wie Estemirova in der Strasse in Groznyj, wo sie wohnte, in ein Auto gestossen wurde. Ihre Menschenrechtskollegen schlugen Alarm, als sie nicht zu einem vorher vereinbarten Treffen erschien. Nach Angaben des Pressesprechers des Ermittlungskomitees der Staatsanwaltschaft RF Vladimir Markin wurde am Nachmittag dieses Tages die Leiche einer Frau mit Schusswunden an Kopf u. Brust in einem Waldgürtel nahe der Autobahn im Bezirk Nazran in Inguschetien gefunden. In ihrer Tasche befanden sich Dokumente, die die Leiche Natalja Estemirovas als diese Person auswiesen. Am nächsten Tag fand in Groznyj eine Abschiedszeremonie für Natalja Estemirova statt, an der 100-500 Personen teilnahmen. Danach wurde Estemirova im Dorf Ishkhoj-Jurt im Rayon Gudermes in Tschetschenien beigesetzt.
Reaktionen:
s. Oleg Orlov, Vorstandsvorsitzender der Gesellschaft "Memorial", warf dem tschetschen. Oberhaupt u. berüchtigten Putin-Komplizen vor, die Menschenrechtsaktivistin bedroht u. vom Amt der Vorsitzenden des Gesellschaftl. Rats von Groznyj entfernt zu haben. In einer offiziellen Erklärung von "Memorial" hiess es u.a., dass in Russland Staatsterror herrsche u. man über die Morde in u. ausserhalb Tschetscheniens informiert sei. Wer in Tschetschenien es wage, die Wahrheit zu sagen u. die Behörden zu kritisieren, werde getötet. Ramzan Kadyrov habe die Arbeit der Menschenrechtsaktivisten in der Republik unmöglich gemacht; er betrachte die Menschenrechtsverteidiger als Feinde", die in Tschetschenien keinen Platz haben, wenn sie einen schlechten Einfluss auf das tschetschen. Volk haben". Diejenigen, die Natalja Estemirova getötet haben, hätten den Fluss wahrheitsgemässer Informationen aus Tschetschenien stoppen wollen. Laut dem Chefredaktor der Novaja gazeta, s. Dmitrij Muratov, handelte es sich um ein polit. Attentat. Die Aussenminister Frankreichs, Bernard Kouchner, u. Schwedens, Carl Bildt, verurteilten die Ermordung der Menschenrechtlerin u. verlangten, dass alles getan werde, um die Mörder zu finden. Auch der Nationale Sicherheitsrat der USA forderte in einer Erklärung die Identifizierung u. Bestrafung der Mörder. Laut seiner Pressesprecherin äusserte auch der damalige Präsident RF s. Dmitrij Medvedev „seine Empörung über diesen Mord u. wies s. Aleksandr Bastrykin, den Leiter des Ermittlungskomitees der Staatsanwaltschaft RF an, alle notwendigen Massnahmen zur Untersuchung des Mordes zu ergreifen.“ Medvedev brachte die Ermordung Estemirovas mit ihren Menschenrechtsaktivitäten in Verbindung. Der tschetschen. Republikschef Ramzan Kadyrov selbst bezeichnete den Mord an Estemirova als „ungeheuerlich“ u. versprach, dass er die Suche nach den Mördern persönlich überwachen werde. Kadyrov wies aber die Behauptungen Oleg Orlovs kategorisch zurück, rief ihn persönlich an u. sagte ihm, dass er „sich schämen werde", wenn sich herausstellt, dass seine Behauptungen unwahr sind. Er sei weder Staatsanwalt noch Ermittlungsbeamter, um solche Aussagen zu machen. 2009 wurde Estemirova posthum mit dem Menschenrechtspreis der "Moskauer Helsinki-Gruppe" ausgezeichnet. In den folgenden Jahren fanden in Russland u. anderen Ländern Gedenkveranstaltungen statt.
Ermittlungen: Unmittelbar nach der Ermordung Estemirovas wurden 2 entsprechende Strafverfahren wegen Entführung u. Mord eingeleitet, sowohl in Tschetschenien als auch in Inguschetien. Aber die Ermittlungen kamen nie richtig voran. Kollegen der ermordeten Menschenrechtlerin – Mitarbeiter von "Memorial", FIDH u. Journalisten der Novaja gazeta – präsentierten Mitte Juli 2011 in Moskau den Bericht "Zwei Jahre nach der Ermordung von Natalja Estemirova: Die Ermittlungen sind auf dem falschen Weg“ /II II/. Gleichzeitig wurde von Seiten des Ermittlungskomitees RF gemeldet, dass die Ermittlung von der Beteiligung eines gewissen Alkhazur Bashaev, s.Z. Rekrutierer von Rebellen, u. anderer Mitglieder der Bande um Islam Uspakhadzhiev ausgehe.
Der Befehl, Estemirova zu töten, sei von s. Doku Umarov, dem legendären Führer des "Kaukas. Emirats", ausgegangen. Die Ermittler vermuteten bzw. kamen zum Schluss, dass das Motiv für dieses Verbrechen Rache für Estemirovas Veröffentlichungen in den Medien über die Rekrutierung von Rebellen durch Bashaev u. den Angriff auf die Familie eines Moskauer Geschäftsmanns sowie die Diskreditierung der staatl. Behörden der Tschetschen. Republik sei, wie es in der Erklärung des Ermittlungskomitees hiess. Bashaev wurde gemäss Art. 208 Teil 2 a, c, d StGB RF wegen "Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation“, Art. 126 Teil 2, c, g wegen "Entführung“, Art. 105 Teil 2 wegen "Mordes“ u. Art. 222 Teil 2 wegen "Illegalen Waffenhandels“ angeklagt. Nach Angaben der Ermittler kam Bashaev am Morgen des 15. Juli 2009 zusammen mit anderen Mitgliedern der erwähnten Bande zu Estemirovas Haus in Groznyj, wartete, bis die Menschenrechtlerin den Eingang verliess, entführte sie u. brachte sie nach Inguschetien, wo Estemirova noch am selben Tag in der Nähe des Dorfes Gazi-Jurt oder Ali-Jurt im Bezirk Nazran getötet wurde. Der Mann, der sich vermutlich in Frankreich versteckte, wurde zur Verhaftung ausgeschrieben u. auf die internationale Fahndungsliste gesetzt. Wie später berichtet wurde, sei Bashaev bereits im Nov. 2009 bei einer Sonderoperation getötet worden. Während Aleksandr Cherkasov, Leiter von "Memorial“, Mitte Juli 2013 sagte, dass die Ermittlungen inzwischen wohl eingestellt worden seien u. sich behördenseits niemand mehr um die Ermordung Estemirovas sorge, meldete das Ermittlungskomitee, dass die Ermittlungen noch andauerten, d.h. bis Mitte Aug. 2013 verlängert worden seien. Im Strafverfahren seien über 1000 Zeugen vernommen, über 80 forensische Untersuchungen durchgeführt, über 380 Anweisungen u. Anfragen an Strafverfolgungsbehörden u. Menschenrechtsorganisationen gesendet u. ausgeführt. Es scheint, dass für die Generalstaatsanwaltschaft RF der Fall der Ermordung Estemirovas aufgeklärt u. quasi erledigt war, denn die staatl. Behörden hatten vermutlich kein Interesse mehr, dieses heisse Eisen länger anzurühren. Menschenrechtsaktivisten vermuten, dass die Spuren des Verbrechens bis in die höchsten polit. Kreise Tschetscheniens u. Russlands führen.
Zeit nach der Ermordung Estemirovas: Wie Medien berichteten, habe das Menschenrechtsbüro "Memorial“, in dem Natalja Estemirova arbeitete, unmittelbar nach ihrer Ermordung die Arbeit in Groznyj eingestellt. Aber Ende 2009 habe es den Betrieb wieder aufgenommen. Einer der Initiatoren war s. Ojub Titiev, ein Kollege Estemirovas. Dieser wurde 2018 in Groznyj festgenommen u. später wegen Drogenbesitzes verurteilt. Menschenrechtsaktivisten erklärten, die Drogen seien Titiev untergeschoben worden, während er sich selbst als nicht schuldig bekannte. Nach seiner Haftentlaassung sollte er im Moskauer Büro von "Memorial“ arbeiten. Titiev erzählte dem US-amerikan. TV-Newskanal "Present Time", wie die Tschetschenen den Mord an Natalja Estemirova vor 10 Jahren wahrnahmen. Jedermann habe in Tschetschenien u. Russland verstanden, dass Estemirova aufgrund ihrer Menschenrechtsaktivitäten getötet wurde u. man habe keine Zweifel, dass die Zentralbehörden im Kreml dafür verantwortlich seien. 2010 wurde in Oslo das "Natalja Estemirova-Dokumentationszentrums" gegründet /II III/. Im Juli 2016, am 7. Jahrestag der Ermordung Estemirovas, hielten 10 Personen Einzeldemonstrationen vor dem Ermittlungskomitee in Moskau ab u. forderten, dass die eigentlichen Täter gefasst u. vor Gericht gestellt werden. Zu den Teilnehmern der Aktion gehörten Vertreter von "Amnesty International", des "Komitees zur Verhütung von Folter" u. des
Menschenrechtszentrums "Memorial". Die Aktivisten hielten Plakate mit der Aufschrift „Wer hat Natalja Estemirova getötet?“ in der Hand. Das Ziel der Aktion sei gewesen, die russ. Behörden an ein ungelöstes Verbrechen zu erinnern. Wie Kavkazskij uzel in seinem Bericht hinzufügte, seien Passanten befragt worden, die an den Streikposten vorbeigingen, wobei die meisten von ihnen, die die Plakate lasen, sich geweigert hätten, einen Kommentar abzugeben, mit dem Hinweis, dass sie nichts über Estemirova wüssten. Ein Passant habe Estemirova dennoch als „heldenhafte Frau“ beschrieben, während ein anderer gesagt habe, dass er von seinen Freunden aus Tschetschenien wisse, dass diese früher Angst vor den Bundeskräften einerseits u. den Rebellen andererseits gehabt hätten, während sie sich jetzt vor dem „örtlichen Zaren u. seinem Gefolge“ fürchteten. Im Juli 2021 veröffentlichte "Memorial Deutschland" ein Memorandum, in dem die Autoren festhielten, dass sie nicht an die offizielle Version des Ermittlungskomitees RF über das Verbrechen glaubten, u. sich beschwerten, dass nach dem erwähnten "Memorial"-Bericht von 2011 10 Jahre vergangen sind, ohne dass die Drahtzieher, Organisatoren u. Ausführenden dieses polit. Mordes gefunden wurden. Für die Autoren des Memorandums war offensichtlich, dass Mitarbeiter der tschetschen. Sicherheitsstrukturen dieses Verbrechen begangen hatten. Im Juli 2023 wurden die Kenntnisse zum Fall Natalja Estemirova von Kavkazskij uzel noch einmal zusammengefasst.

Schwester u. Tochter Estemirovas: Svetlana Estemirova, die in Ekaterinburg lebende Schwester der Ermordeten, reichte 2011 beim EGMR Beschwerde gegen Russland ein. Ende Aug. 2021 fällte der EGMR ein Urteil im Zusammenhang mit der Ermordung Natalja Estemirovas: Das Gericht stellte einen Verstoss im Hinblick auf das Fehlen einer ordnungsgemässen Untersuchung fest. Die Anschuldigung, dass Estemirova von Vertretern des Staates entführt wurde u. dass der Staat an ihrer Ermordung beteiligt war, wurde vom Gericht jedoch als unbewiesen angesehen.
Tochter: Die Verstorbene, deren Ehemann vor langer Zeit getötet worden sein soll, hinterliess eine 15-jährige Tochter, Lana Sajdaminovna Estemirova, die als Minderjährige Vollwaise wurde. Unmittelbar nach der Beerdigung ihrer Mutter verliess Lana Tschetschenien u. ging später nach Grossbritannien, wo sie ein Internat in Oxford besuchte u. anschliessend ein Studium an der London School of Economics and Politics im Fach internationale Beziehungen absolvierte. Sie ist verheiratet u. als Mitarbeiterin für die Stiftung "Justice for Journalists" tätig. Anfang 2018 sprach sie zusammen mit Oleg Orlov, dem ehem. Vorsitzenden von "Memorial", im britischen Parlament vor u. beschrieb die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien. In diesem Jahr gab Lana ein Interview für das US-amerikan. WebzineThe Daily Beast /II/, in dem sie sagte, dass Putin ein Monster geschaffen habe, das alle seine Kritiker zerstöre u. eine Atmosphäre völligen Gehorsams schaffe, so dass nur Putin diese Ungerechtigkeit stoppen könne. In einem Interview vom Juli 2019 mit "Radio Svoboda" erzählte sie von der Drohung Kadyrovs gegen ihre Mutter wie folgt: „.... 2008 wurde sie von Ramzan Kadyrov selbst bedroht. Irgendwie rief er sie zu einem Treffen, kam u. schrie sie an. Er sagte zu ihr: "Denk an deine Tochter, denk an deine Familie! Was machst du?!“ Da ihre Mutter ihr davon zwar nichts erzählt habe, habe sie es als 14-jähriges Kind wahrscheinlich dennoch irgendwie mitbekommen. Es sei ihr aber klar geworden, wie ernst alles war, denn wenn das Oberhaupt der Republik ihre Mutter bedrohte, sei das eine sehr ernste Sache. Ausserdem meinte sie, dass die Mörder ihrer Mutter höchstwahrscheinlich nicht gefunden werden, solange Putin u. Kadyrov an der Macht sind.
Es sei klar, dass alle Verbrechen wie Entführungen, Säuberungen u. Ermordungen in Tschetschenien von sehr hochrangigen Personen begangen wurden. Das Volk Tschetscheniens werde von den Behörden u. dem Kadyrov-Regime so weit wie möglich eingeschüchtert. Dies sei eine beispiellose Periode in der Geschichte des Landes. Tschetschenien sei ein Ort, an dem das Gesetz überhaupt nicht funktioniere, es gebe nur ein Gesetz – Kadyrovs Gesetz – gemäss einem Zitat von Oleg Orlov von "Memorial". Unter diesen Bedingungen müssten die Menschen des Landes zumindest die Möglichkeit haben, sich an jemanden zu wenden, der ihnen zuhört, sie beschützt u. ihnen Hoffnung geben kann. Wenn Menschenrechtsaktivisten mit allen Mitteln aus dem Land vertrieben werden, hätten seine Menschen keine Hoffnung auf Gerechtigkeit.
In einem anderen Interview vom Juli 2019 mit dem russischsprachigen US-amerikan. TV-Newskanal "Nastojashee vremja" /II/ sagte Lana Estemirova, dass sie die Entführung ihrer Mutter an diesem 15. Juli 2009 nicht mitbekommen habe, denn sie habe in der Wohnung geschlafen. Aber an diesem Tag, an dem ihre Mutter getötet wurde, habe sie aufgehört, Tschetschenien als ihre Heimat zu betrachten u. erkannt, dass sie ihr Leben woanders aufbauen würde. Danach befragt, wen Lana für den oder die Schuldigen am Tod ihrer Mutter halte, antwortete sie: „Ich werde im Moment auf niemanden mit dem Finger zeigen, weil alles Spekulation ist. Aber ich möchte einfach sagen, dass jeder daran schuld ist: Putin, Kadyrov u. dieses ganze System, das sie in den letzten 20 Jahren aufgebaut haben. Es ist ein System, in dem man nicht ohne Konsequenzen die Wahrheit sagen kann, ein System, in dem man die Handlungen oder Untätigkeit der Behörden nicht kritisieren kann. Schuld ist dieses ganze System, gegen das meine Mutter gekämpft hat, gegen das der Kampf von Hunderten von Menschenrechtsaktivisten, Journalisten u. Anwälten weitergeht." Der Frage, ob die Ermordung ihrer Mutter in direktem Zusammenhang mit der von ihr untersuchten Geschichte der Entführung von Menschen durch Mitarbeiter der Abteilung für innere Angelegenheiten des Rayons Kurchaloj stehe, wie die sowohl von Journalisten der Novaja gazeta als auch von "Memorial“ vertretene Auffassung laute, stimmte sie zu, denn sie vertraue den Kollegen ihrer Mutter absolut, 100%. Wenn sie sich an diese Version halten, sei sie sicher, dass dies höchstwahrscheinlich der Wahrheit nahe kommt. Sie frage diese Kollegen immer um Rat u. erkundige sich nach dem Stand der Ermittlungen u. nach ihrer Meinung zu diesem Thema. Obwohl sie keine typische Tschetschenin sei, da sie sehr liberal erzogen worden sei, betrachte sie sich trotzdem als Tschetschenin. Sie werde Groznyj vermissen u. träume davon, eines Tages, wenn Kadyrov endlich in der Vergessenheit der Geschichte versunken sei, nach Groznyj zurückzukehren, um dort ein Denkmal für ihre Mutter zu errichten. Sie möchte dieses Denkmal aber nicht errichten, solange Kadyrov an der Macht ist, denn damit würde seinerseits zwangsläufig eine Menge Heuchelei verbunden sein. In GB wüssten ihre neuen Freunde Bescheid darüber, warum sie Russland verlassen habe, denn sie wolle daraus kein Geheimnis machen. "Radio Svoboda" erzählte sie noch, dass sie nach dem Tod der Mutter ein paar Mal in die Republik gereist sei, das letzte Mal 2012, hauptsächlich, um das Grab ihrer Mutter zu besuchen. Von Groznyj hatte sie das Gefühl einer toten Stadt gewonnen: Alles sei aus Plastik gewesen, Fake – neue Häuser, Wolkenkratzer, in denen niemand wohne, wie in einem Zombiefilm. Sie habe sich während ihrer Anwesenheit zwar nicht wirklich in Gefahr gefühlt, weil sie geglaubt habe, dass sich niemand für ihre Person interessiere. Ihr erstes Buch, das mit dem Titel "Please, Live!" in engl. u. russ. Sprache verfasst werden sollte u. Erinnerungen an das Leben mit ihrer Mutter enthält, wurde vom John Murray-Verlag für 2024 angesagt. Im Feb. 2022 gab Lana Estemirova einem polnischsprachigen Medium ein Interview. Einige Artikel von ihr sind auf der Website von "The Foreign Policy Centre" verfügbar.)

ETKIND, Aleksandr Markovich II III IV V VI VIII IX X XI XII XIII XIV XV XVI XVII XVIII XIX XX XXI XXII XXIII (sowjet. Psychologe, später britischer u. US-amerikan. Kulturwissenschaftler, Kulturhistoriker u. Literaturkritiker. Absolvent der Psycholog. Fakultät der Staatsuniversität Leningrad. 1. Doktorarbeit über "Entwicklung medizin. u. psycholog. Methoden zur Untersuchung der emotionalen Komponenten von Persönlichkeitsbeziehungen u. deren Anwendung bei der Untersuchung von Neurosen u. affektiven Störungen“. 2. Ph.D.-Doktorarbeit in slavischer Philologie an der Universität Helsinki, Finnland; in Russland wurde sie als separate Publikation mit dem Titel "Khlyst. Sekten, Literatur u. Revolution" /II/ veröffentlicht. Seine Forschungsinteressen umfassen russ. Geschichte, insbes. Geistes- u. Kulturgeschichte, Kolonisierungsprozesse im Russ. Reich, vergleichende Studien zum kulturellen histor. Gedächtnis u. globale Geschichte der natürlicher Ressourcen. Sein Onkel war der berühmte Literaturkritiker Efim Etkind. In den 1980er Jahren arbeitete A. Etkind am Psychoneurolog. Institut "V.M. Bekhterjov in Leningrad, wurde jedoch aus polit. u. ideolog. Gründen von der Arbeitsstelle entlassen, wobei er die Institutsleitung verklagte u. den Prozess gewann. Danach war er Forscher am Institut für Naturwissenschafts- u. Technikgeschichte der AW UdSSR u. am Institut für Soziologie der RAW in St. Petersburg, Professor /1999-2005/ an der Europa-Universität in SPB. Nach seiner Emigration war er 2005-13 Professor für russ. Literatur u. Kulturgeschichte in Cambridge, GB. 2010-13 leitete er das europäische Forschungsprojekt "Memory at War: Cultural Dynamics in Poland, Russia and Ukraine“. Seit 2013 ist Etkind Professor am Lehrstuhl für Geschichte u. Zivilisationen namens M.M. Bakhtin des Europäischen Universitätsinstituts EUI in Florenz /II/, Italien. Zu finden ist er auch auf der Website der Central European University in Wien/Budapest, bei The European Institute for International Law & International Relations bei Carnegie Endowment CEU Vienna. Ferner war er Gastprofessor an den Universitäten New York u. Georgetown, USA, sowie Gastwissenschaftler an den Universitäten Harvard u. Princeton, am Woodrow Wilson International Research Center, am Institute for Advanced Study Berlin u. an der University of Canterbury in Neuseeland.
Bücher: Etkind, ein führender exilruss. Intellektueller der Gegenwart, ist in der Welt der Geistes- u. Sozialwissenschaften für seine Buchreihe /II III/ bekannt, die für die Wahrnehmung der russ. Geschichte von grundlegender Bedeutung sei, wobei histor., literar. u. soziolog.-psycholog. Mittel der Analyse verwendet werden. 2013 erschien sein Buch über die "Innere Kolonisierung Russlands" /II III IV V/, das gemässs Verlagsprospekt eine radikal neue Lesart der russ. Kulturgeschichte bietet. In dem Buch wird in Einzelstudien zu verschiedenen themat. Aspekten wie Pelzhandel, Leibeigenschaft, russ. Einverleibung der Krym oder ausländ. Kolonien in Russland, insbes. die der Deutschen an der Volga, nachgezeichnet, wie Russland gleichzeitig innerlich u. äusserlich, d.h. sowohl das eigene Volk als auch andere Völker kolonisierte. Etkind unterscheidet die Kolonisierung vom Imperialismus. Die innere Kolonisierung habe ihren Ursprung in der Idee der Selbstkolonisierung, die Vasilij Kljuèevskij zu Beginn des 20. Jhs. formuliert habe. Darüber hinaus nehme Russland eine einzigartige Position als „Subjekt u. Objekt der Kolonisierung u. ihrer Folgen" ein, wie eine französ. Rezension darlegt. Das Russ. Reich sei daher einzigartig oder aussergewöhnlich in der Geschichte, da in seinem Fall die Kolonisierungsprozesse sowohl nach innen als auch nach aussen gerichtet waren. Dieses bahnbrechende Buch, in dem in dem der Autor von einer unausweichlichen Entkolonialisierung u. Entföderalisierung Russlands ausgeht, verbinde auf höchst originelle Weise historische, theoretische und literarische Analysen. 2019 wurde die engl. Version von Etkinds Buch "Eros of the Impossible: The History of Psychoanalysis in Russia" herausgegeben, das 1993 in Russland auf Russ. erschien. Dieses Buch spiegele das komplexe Gefüge der russ. Beteiligung an der Psychoanalyse wider. Der Schwerpunkt liegt auf dem Leben u. Werk einzelner Personen u. präsentiert allgemeinere Untersuchungen zu bestimmten Epochen der Wahrnehmung, Entwicklung u. Transformation der Psychoanalyse in Russland. 2023 erschien sein neustes Buch zum Thema "Russia against Modernity" /II III IV V/, in dem der Autor schonungslos Stellung zur Politik V.V. Putins u. dessen Krieg gegen die Ukraine nimmt. Die Hauptthese lautet, dass Putins "Sonderoperation“ gegen die Ukraine im Grunde ein Krieg gegen die Moderne sei. Die Invasion richte sich i.e.L. zwar gegen die Ukraine, aber der Krieg habe eine viel breitere Zielsetzung: die moderne Welt des Klimabewusstseins, der Energiewende u. der digitalen Arbeit anzugreifen. Durch den Handel mit Öl u. Gas, die Unterstützung Trumps u. des Brexit, die Förderung der sozialen Ungleichheit u. der Homophobie, die Verbreitung von Korruption, die Subventionierung rechtsextremer Bewegungen u. die Zerstörung der Ukraine ziele Putins Clique darauf ab, den anhaltenden Wandel moderner Gesellschaften zu unterdrücken. Bei ihren Zielsetzungen, sich der Moderne zu widersetzen u. sie zu untergraben, habe Putins Clique verschiedene Strategien eingesetzt – von Klimaleugnung u. Wahleinmischung bis hin zu Krieg u. Völkermord.
In einem Interview mit RFE/RL /russ./ vom Sept. 2022 ging Etkind auf die Notwendigkeit einer Psychoanalyse der tiefgreifenden Pathologie ein, die sich in der gegenwärtigen russ. Regierung manifestiert habe. Er behauptet, dass man durch das Verständnis der Probleme u. Ambitionen in der Vergangenheit Russlands den wahren Mechanismus von Putins Beweggründen erkennen können, mit denen er Russland von der modernen Welt losgelöst u. letztlich seine unprovozierte Invasion in der Ukraine entfesselt habe. Das Problem des Putinismus sei seine intellektuelle Dürftigkeit. Bei Putin selbst müsse man davon ausgehen, dass er kaum viel führende Fachliteratur gelesen habe. Etkind denkt, dass es bei Putin um Fetischismus geht. Fetischismus sei etwa, wenn ein Teil wichtiger als das Ganze wird. Der Fetisch Krym oder der Fetisch Donbass habe sich mittlerweile darüber hinaus ausgeweitet, denn der wahre Fetisch sei die Ukraine selbst, u. er sei mit Revanchismus verbunden. Es gehe auch um neuen Eroberungen, um eine neue Beherrschung dessen, was man bereits einmal besass – die Ukraine als Teil Russlands. Dabei würden die Gefühle eines abgelehnten Partners eine Rolle spielen, die man schon einmal oder mehrmals mit ihm erlebt habe u. sie erneut erleben wolle. Und es gehe auch um den Export von Öl u. Gas, aber am Ende habe sich herausgestellt, dass Russland Gefahr läuft, die Hauptquellen seiner Existenz zu verlieren. Für Russland, wie es sich in den letzten 30 Jahren postsowjet. Herrschaft entwickelt habe, sei die globale Moderne eine Bedrohung seiner Existenz, denn die Modernisierung sei für Russland ein Schock gewesen. Die tiefen u. unverarbeiteten Traumata u. Katastrophen, ein patholog. Fetischismus u. der Widerstand gegen die Moderne würden damit zusammenhängen. Die Energieproduktion sowie die Umverteilung des Geldes u. des Reichtums funktionierten in Russland wie folgt: All diese Reichtümer kommen aus Westsibirien, insbes. aus 2 bestimmten Regionen – aus dem Gebiet der Jamal-Nenzen u. dem benachbarten
Gebiet der Chanten u. Mansen. Dort werde der gesamte nationale Reichtum produziert. Das Gas fliesse durch Rohre gen Westen u. werde von Ländern in Westeuropa gekauft. Grosse Geldbeträge flössen nach Moskau zurück. Moskau verteile das Geld neu; Betrag X gehe an Tschetschenien, Betrag X an Tuva, Betrag X verbleibe in Moskau u. der Rest gehe informell an die sog. Elite. Was aber, wenn niemand mehr russ. Gas kaufe? Moskau werde Tschetschenien, Tuva, Komi oder Voronezh nicht mehr alles wie früher geben können. Es gebe eine Vorstellung davon, dass die Russen sehr bescheiden seien. Sie könnten in Armut leben u. würden das alles ertragen so wie unter Stalin, Chruschtschov oder Breschnev, aber diese Zeiten seien längst vorbei. In den vergangenen Wohlstandsjahren hätten sich die Russen an einen gewissen Wohlstand gewöhnt. Dieser verblasse natürlich im Vergleich mit demjenigen der Niederländer oder sogar der Letten. Etkind denkt, dass all diese Orte, Länder u. Republiken in Russland beginnen werden, ihr eigenes Leben zu führen, wenn Moskau die Mittel für die Umverteilung ausgehen. Tschetschenien müsse dann selbst herausfinden, wie es Geld verdienen könne, u. dasselbe gelte auch für Tuva oder Voronezh. Bis zum Beginn des Krieges gegen die Ukraine sei die Russ. Föderation ein angesehenes, reiches Land mit Atomwaffen u. anderen Dingen gewesen, die man am besten vermeiden sollte. Auf dieser Grundlage könnte das Regime zwar noch einige Jahrzehnte in seiner jetzigen Form bestehen bleiben. Aber Putin habe die Entscheidung getroffen, diesen Koloss zu bewegen, u. jetzt schwimme u. schmelze er wie ein Eisberg dahin. Zukünftige Historiker werden wohl Bände über Putins Motive schreiben, diesen Krieg u. eine solche Politik zu führen, u. sie werden sich alle widersprechen. Etkinds Meinung sei einfach: Putin habe diesen Krieg aus Langeweile entfachen lassen, oder aus Unzufriedenheit, Ehrgeiz oder dem Gefühl, dass dies seine letzte Chance sein würde, etwas Wichtiges, Heldenhaftes zu erreichen. Die erfolgreichen Jahre seien aus seiner Sicht langweilige Jahre gewesen. Sollte Etkind noch ein Buch über Russland schreiben, dann werde die Idee der polit. Langeweile ein zentrales Thema sein, es werde eine Psychoanalyse des Kremls sein.
In einem Essay vom Jan. 2023 im Magazin Noéma, einer Publikation des US-amerikan. "Berggruen Institutes" in Los Angeles, wies Aleksandr Etkind darauf hin, dass beachtet werde sollte, dass der aktuelle Krieg Russlands gegen die Ukraine zwischen zwei benachbarten Völkern mit ähnlichen Sprachen aber unterschiedlichen Kulturen geführt werde. Soziologisch gesehen sei es zudem ein Krieg der alternden Babyboomer gegen die Generation X u. die Millennials. Diese Verschiedenheit stelle in jedem Land eine tiefe Kluft dar, aber der Bruch des Jahres 1991 habe sie noch grösser gemacht. Dies sei also kein Krieg zwischen Ethnien, sondern ein Krieg zwischen Generationen – ein gigantischer ödipaler Konflikt. Im zweiteh Teil des Beitrags befasste sich Etkind mit der Psychologie der Genozide u. Massenmorde unter Ethnien. Putin, sein Staat u. seine Armee seien entschlossen gewesen, das “nationale Muster“ der Ukrainer zu zerstören u. es durch das "nationale Muster“ der Russen zu ersetzen. Die wahrgenommenen Unterschiede seien gering gewesen, aber die polit. Ergebnisse seien um so grösser gewesen. In mancher Hinsicht seien die Russen u. Ukrainer einander so ähnlich, dass auch kein Aussprache-Test sie hätte unterscheiden können. Um die Ukrainer dennoch als solche zu identifizieren, hätten sie die Menschen an Kontrollpunkten nach "Nazi-Tätowierungen“ untersucht, u. jeder, der irgendetwas auf seiner Haut hatte, das als eine solche interpretiert werden konnte, sei geschlagen oder getötet worden. Russlands Krieg gegen die Ukraine sei ebenso sinnlos wie jeder andere Völkermord: Er habe Russland auf keinen Fall einen polit. oder wirtschaftl. Gewinn bringen können, u. das habe er auch nicht getan. Der einzig nachvollziehbare Rahmen dafür sei ein klassischer russ. Imperialismus gemischt mit einem spezifisch postsowjet. Revanchismus. Aber es habe noch einen dritten Teil in der Mischung gegeben: Fetischismus. Darüber sprach Etkind im oben erwähnten RFE/RL-Interview bereits. Der Fetisch sei das ukrain. Territorium, dessen einziger Wert in der Vorstellung gelegen habe, dass es früher „unser“ war u. zurückgewonnen werden sollte. Angeblich hätte dies dem russ. Präsidenten, seinen Eliten u. ihrem Volk Ruhm, Ekstase oder eine andere Form der Befriedigung gebracht. Der Fetischismus sei im Imperialismus zusammengefasst worden. Es habe Mut erfordert, die brutalen Völkermordakte zu sehen, was sie waren: sinnlos. Hinter jedem Völkermord stecke ein bestimmter Fetisch: beschnittenes Fleisch, die Art der Aussprache bestimmter Wörter, eine Tätowierung. Keiner von ihnen rechtfertige Mord, u. nur ein Fetischist würde dem widersprechen. Aber man wisse aus der Geschichte, dass es zu einer Fetischisierung dieser kleinen Unterschiede kommen könne, die Millionen von Menschenleben kosten. Mit dem Symbol "Z" sei ein neuer Schritt in diesem erstaunlichen Schauspiel der Geschichte getan worden. Da es keine echten Wörter gegeben habe, die zur Unterscheidung von Freund u. Feind dienen konnten, musste ein Symbol von Grund auf erfunden werden. Völlig sinnlos sei aber der Glaube an das "Z", die Liebe zum "Z", die Identifikation mit dem "Z", die einen wahren Patrioten ausmachten. Übrigens habe es ja keine offizielle Erklärung gegeben, was das "Z" zu bedeuten habe, zumal es sich um einen lateinischen Buchstaben handelte, der dem kyrillischen Alphabet fremd war. Also häuften sich die Theorien. Einige meinten, das "Z" stamme vom russ. Wort "zapad", was "Westen“ heisst, gegen den sich der Krieg richtete; andere argumentierten, es stehe für Zelenskyj, u. wiederum andere sahen im "Z" eine Hälfte des Hakenkreuzes, von dem sie behaupteten, es sei ein altes Symbol der Slaven. Die Geschichte, warum sich dieses seltsame Zeichen in Russland so stark verbreiten konnte u. so beliebt wurde, findet Etkind faszinierend.
Mehrere Beiträge Aleksandr Etkinds sind auch auf der Website der The Moscow Times zu finden.)

 

Neuster Stand: 08.23 (16)  Keine Garantie für Richtigkeit u. Vollständigkeit der Angaben.